: Palästinenser will in den Stadtrat Jerusalems
■ Orthodoxer Rabbiner erläutert Vorschlag des Palästinensers Hanna Siniora für eine arabischen Beteiligung an den Kommunalwahlen in Jerusalem / Arabische Kritik an Sinioras Schritt / Lob von israelischer Seite / Furcht vor einer antizionistischen Front in Jerusalem
Aus Tel Aviv Amos Wollin
In die Kontroverse um eine palästinensische Liste bei den nächsten Kommunalwahlen im von Israel annektierten Ostjerusalem hat am Montag der Führer der ultra–orthodoxen Gemeinde, Rabbi Mosche Hirsch, eingegriffen. Just dieser antizionistisch eingestellte religiöse Führer, der die Gründung des Staates Israel als Vorgriff auf die Ankunft des Messias ansieht, erläuterte die Vorstellungen des Chefredakteurs der palästinenischen Zeitung Al Fajr, Hanna Siniora, der vergangene Woche seine Bereitschaft erklärt hatte, bei den nächsten Kommunalwahlen erstmals eine arabische Liste anzuführen. Siniora, so der Rabbi, plane die Errichtung eines autonomen arabischen Stadtrats, der unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen arbeiten solle. Nähere Einzelheiten werde Siniora Ende des Monats vorlegen, wenn er von einer Reise in die USA und nach Lateinamerika zurückgekehrt sei. Die überwältigende Mehrheit der 130.000 Palästinenser Jerusalems (gegenüber 340.000 Juden), die jordanische Pässe und israelische Identitätskarten besitzen, ist bislang den Wahlen zur Stadtverwaltung fern geblieben. Daher hatte die Initiative Sinioras wie eine Bombe eingeschlagen. Ausgerechnet am 20. Jahrestag des Sechstageskrieges, in dessen Verlauf auch Ostjerusalem zunächst besetzt und später annektiert wurde, hatte er seine Ausführungen als Gast vor dem Verein der Auslandskorrespondenten gemacht. Zu diesem Zeitpunkt war das öffentliche Leben in der Stadt durch einen palästinensischen Generalstreik gegen die Besatzung lahmgelegt. Siniora betonte, daß er mit seiner Bereitschaft zur Kandidatur keineswegs die israelische Herrschaft über Jerusalem anerkenne, das langfristig die Hauptstadt eines zu schaffenden palästinensischen wie auch des israelischen Staates sein müsse. Doch unter den Palästinensern stießen Sinioras Äußerungen auf scharfe Kritik. Der amerikanische Herausgeber von Al Fajr, Paul Ajlouni, hat sich bereits von der politischen Initiative seines Chefredakteurs distanziert. Ibrahim Dakkak, Ingenieur und bekannt für seine linken Ansichten, erklärte, Siniora repräsentiere nur sich selbst und nicht das palästinensische Volk. Seine Vorschläge stellten einen Beitrag zu den israelisch–amerikanischen Bemühungen um eine „Normalisierung“ der Besatzung dar. „Wir lehnen Sinioras Vorstellungen total ab“, erklärte auch der Vorsitzende der palästinensischen Journalisten–Vereinigung, Radwan Abu Ajash. „Für uns ist Jerusalem Teil der besetzten Gebiete. Wie können wir die Verwaltung Jerusalems durch die Besatzungsbehörden akzeptieren, die wir doch sonst überall ablehnen?“, meinte der Journalist. Bisher hat auf palästinensischer Seite lediglich der Bürgermeister von Bethlehem, Elias Freij, den überraschenden Schritt Sinioras öf fentlich begrüßt. Mehr Zustimmung erhielt Siniora im israelischen Lager. Hier wurde seine Initiative als realistischer Schritt der Anerkennung israelischer Souveränität über Ostjerusalem gewertet. In den Medien war die Rede von einem „revolutionären“ Angebot, weil damit erstmals ein „palästinensischer Führer, der der Mehrheitsströmung innerhalb der PLO zuzurechnen ist, sein Volk dazu aufruft, sich an dem israelischen politischen Prozeß innerhalb des israelischen Establishments zu beteiligen“ (Jerusalem Post). Die Zeitung Davar wies daraufhin, daß Siniora, der sich der Ablehnung Israels jedweder Verhandlungen mit der PLO bewußt sei, einzig auf den „demographischen Faktor“ setzen könne. Er wolle Israel vor die Entscheidung stellen, ob es bei Aufrechterhaltung der Besatzung ein demokratischer Staat oder aber ein jüdischer sein wolle, der seine arabische Bevölkerung diskriminiert. Im Falle einer Wahlbeteiligung der Palästinenser könnten diese höchstens auf ein oder zwei Sitze in dem bisher rein jüdischen Stadtrat von Jerusalem hoffen. Daher wird die Initiative Sinioras auch nicht als Problem oder Bedrohung angesehen. Israelische Regierungsbeamte wiesen auch das Argument Sinioras und seiner Freunde zurück, eine Allianz der Araber mit den antizionistischen orthodoxen Juden in Jerusalm könnten den status quo der politischen Kräfte in der Stadt verändern. Solche Befürchtungen könnten durch die jüngsten Äußerungen von Rabbi Hirsch nun erneut genährt werden.
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