Indien taktiert mit den Tamilengruppen

■ Neue Meldungen über die Vermittlungsbemühungen Indiens im Sri Lanka–Konflikt zeigen, daß sich die regionale Großmacht der Tamilengruppen primär im eigenen geostrategischen Interesse bedient / Rätselraten über weitergehende militärische Interventionspläne

Aus Madras Biggi Wolff

Nach Tagen der gegenseitigen Beschimpfungen bahnt sich zwischen Indien und Sri Lanka ein neues diplomatisches Manöver an: Wie am Mittwoch aus Regierungskreisen in Colombo verlautet, soll Indien seine Vermittlungsgespräche mit den Tamilengruppen wiederaufnehmen, während die Regierung in Columbo ihre Offensive unterbricht. Indien soll die größte Tamilengruppe LTTG überzeugen, mit der srilankischen Regierung zu verhandeln. Diese erneuten indischen Vermittlungsversuche passen sich nahtlos in die sogenannte „Bandari–Linie“ ein, die die Sri Lankapolitik der indischen Zentralregierung seit 1985 bestimmte. Dieses Konzept, benannt nach dem außenpolitischen Berater Rajiv Gandhis, Romesh Bandari, läßt sich folgendermaßen charakterisieren: Der Konflikt wird als „Gewaltanwendung von beiden Seiten“ analysiert. Neu Delhi bietet sich Colombo als neutraler Vermittler an, gleichzeitig wird Druck auf die tamilischen Militanten ausgeübt, ihre Forderung nach einem eigenen Staat aufzugeben. Geschickt wurden dabei mittels Intrigen und Geldgeschenken die fünf großen Guerillagruppen gegeneinander sowie gegen die bürgerliche Tamilenpartei TULF ausgespielt. Bandari konnte sich dabei die ideologischen Differenzen zwischen den Gruppen zunutze machen. Das Spektrum der tamilischen Guerilla reicht von der EPRLF mit engen Kontakten zu den kommunistischen Parteien Indiens über die ebenfalls marxistische, aber von der palästinensischen PLO unterstützte und trainierte EROS bis zu den militärisch stärksten, aber ideologisch nur auf einen vagen Nationalismus festgelegten Liberation Tigers of Tamil Eelam, LTTE. Im Spannungsfeld zwischen der traditionell progressiven indischen Außenpolitik und einer repressiv–kapitalistischen Innenpolitik waren die tamilischen Gruppen einerseits willkommen, um „imperialistische Tendenzen“, sprich den Einfluß der westlichen Staaten und Israels auf Sri Lanka, zu bekämpfen, andererseits befürchtete New Delhi das Übergreifen linker Theorien auf Teile der indischen Gesellschaft, denn viele südindische Linke verbanden große Hoffnungen mit dem Befreiungskampf auf Sri Lanka. Auch wollte sich die indische Zentralregierung angesichts der im eigenen Land blutig bekämpften separatistischen Bewegungen nicht allzu sehr für einen Tamilenstaat Eelam einspannen lassen. Sie stritt daher auch die Existenz der inoffiziell geduldeten Trainingslager der Guerilla in Südindien ab und unterstützte je nach politischer Konjunktur mal die eine, mal die andere Gruppe. Zunächst genossen die heute relativ schwache PLOT und TELO die Gunst Delhis, dann die LTTE und zuletzt die EPRLF. Als die LTTE im letzten Jahr gewaltsam gegen TELO und EPRLF vorging und sich (zusammen mit der kleineren und daher nicht als Konkurrenz empfundenen EROS) als Alleinherrscher in Jaffna etablierte, ließ die Zentralregierung die Guerilla insgesamt fallen wie eine heiße Kartoffel.Auch in der südindischen Bevölkerung verscherzten sich die Gruppen viele Sympathien, als Teile der Guerilla anfingen, ihre Kassen mit Kidnap pings und Raubüberfällen aufzubessern. Anläßlich des Treffens der südasiatischen Gemeinschaft Ende letzten Jahres, an dem auch der lankanische Präsident Jayewardene teilnahm, ließ Gandhi dann kurzerhand die Tamilenführer in Madras festsetzen und das für die Guerillaoperationen in Nord– und Ost–Srilanka notwendige Kommunikationsgerät vorübergehend sicherstellen. Vor vier Wochen wurde auf Initiative New Delhis gar ein neues Bündnis namens Eelam National Democratic Liberation Front aus Aussteigern anderer Tamilengruppen gegründet, das vermut lich nach taktischen Gesichtspunkten im indischen Interesse eingesetzt werden sollte. Letztendlich hat sich diese Schaukelpolitik New Delhis in den letzten Jahren jedoch als Bumerang erwiesen. Sie konnte die Aufrüstung und zunehmende Integration Sri Lankas in die militärischen Interessen des Westens nicht verhindern. Und nach der Luftwaffenaktion aus der vergangenen Woche stand plötzlich auch noch Indiens innen– und außenpolitische Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Dementsprechend kreisten die Spekulationen in Madras in den letzten Tagen um die Frage: Wird Indien weiter militärisch intervenieren oder nicht? Drei Optionen schienen offen: 1. Indien hat genug Stärke demonstriert, auf offene Intervention wird verzichtet; stattdessen erhalten die Gruppen bessere Waffen und werden gleichzeitig stärker im Interesse Indiens unter Druck gesetzt. 2. Indien mobilisiert bei den Blockfreien für eine Einschaltung der UNO. 3. Indien schickt Truppen nach Jaffna, um die lankanische Armee zu neutralisieren. Ob die neuen Vermittlungsversuche eine Fortsetzung der gescheiterten Bandari–Linie sind, wird sich in den nächsten Tagen erweisen.