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Im Zweifel für den Status quo

■ Schüler und Gewerkschaften befürchten, daß die SPD–Kultusminister im Streit ums Abitur nachgeben / Mit Demonstrationen wollen die Betroffenen Druck machen / Von Holger Lührig

Auf der heute in Dortmund beginnenden Kultusministerkonferenz der Länder steht erneut die Reform der gymnasialen Oberstufe auf dem Programm. SPD und CDU streiten sich um die Verschärfung des Abiturs, in diversen Städten der Republik streiken oder demonstrieren die betroffenen Schüler. Vor allem die Kollegschulen in Nordrhein–Westfalen sind den konservativen Bildungspolitikern ein Dorn im Auge. Doch die schlichte Rückkehr zum alten Gymnasium ist auch in der Union umstritten. Angesichts des Zwangs ur Einstimmigkeit ist in Dortmund mit einem Ende der Debatte noch nicht zu rechnen.

Bei der am heutigen Donnerstag in Dortmund beginnenden Plenarsitzung stehen die Kultusminister der Länder weder unter Entscheidungsdruck, noch gibt es ausgereifte entscheidungsfähige Diskussionsgrundlagen, die irgendeine Vereinbarung über die Fortentwicklung der gymnasialen Oberstufe rechtfertigen würden. Zu diesem übereinstimmenden Ergebnis kamen die VertreterInnen des Bundeselternrates, der Bundesschülervertretung und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft bei einem Hearing mit Betroffenen am Mittwoch in Bonn. Die Vorsitzende des Bundeselternrates Ilse Maria Oppermann betonte: „Die KMK–Vereinbarung (über die gymnasiale Oberstufe, d.R.) von 1972 gilt.“ So einig sich Eltern–, Schüler– und Lehrerverteter in der Einschätzung waren, daß die KMK noch weit davon entfernt sei, zu brauchbaren Ergebnissen zu gelangen, so unübersehbar waren andererseits die Differenzen zwischen der Elternvertreterin Oppermann und der ganz überwiegenden Zahl der übrigen Teilnehmer an diesem Hearing. Während die Sprecherin des mehrheitlich konservativen Bundeselternrates einer Integration von allgemeiner und beruflicher Bildung in der Sekundarstufe II eine deutliche Absage erteilte, unterstützten Sprecher der Schülervertretungen im Einklang mit GEW und einer Reihe von Wissenschaftlern die Forderung nach Stärkung und Ausbau der nordrhein–westfälischen Kollegschule. Ein Vertreter der Kollegschule votierte dafür, lieber auf eine bundesweite Vereinbarung zu verzichten, als die Kollegschulen einem „faulen Kompromiß“ zu opfern. Von einem „Chaos der Vorschläge“ sprach der GEW–Vorsitzende Dieter Wunder, der in dieser Sichtweise auch von den eingeladenen Experten aus Schule und Hochschule unterstützt wurde. Ebenso wie der langjährige Leiter der Odenwaldschule, Gerold Becker, der „keinen Durchblick mehr“ hat, kritisierte auch der Frankfurter Erziehungswissenschaftler Hubert Ivo die bisher auf Beamtenebene ausgehandelten Texte. Erschreckende Sammlung von Banalitäten Anhand eines Entwurfs für „Einheitliche Prüfungsanforderungen“ für das Fach Deutsch charakterisierte Ivo die Texte als erschreckende Sammlung von Banalitäten, mit denen sich die Verfasser - die Kultusbeamten - an ihrem eigenen Anspruch messen lassen müßten, bestimmte Anforderungen an die sprachliche und literarische Ausdrucksfähigkeit der SchülerInnen zu richten. Nachdrucklich warnten andere Wissenschaftler wie der Kollegschulforscher Andreas Gruschka (Münster) und der Paderborner Hochschullehrer Wolfgang Keim davor, die jungen Heranwachsenden (die OberstufenschülerInnen sind zumeist älter als 18 Jahre) auf den Status von Kindern oder UnterstufenschülerInnen zurückzudrängen, die Bildung zu konsumieren hätten. Gerade die Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Fächern in der gymnasialen Oberstufe müßten als tragendes Prinzip erhalten bleiben, betonten die Wissenschaftler, gestützt auf einschlägige empirische Untersuchungen. Argumente bleiben auf der Strecke Die Aussprache machte jedoch deutlich, daß in der Kontroverse zwischen den Kultusministern von CDU/CSU und SPD Argumente aus wissenschaftlichen Untersuchungen weitgehend auf der Strecke zu bleiben drohen. Prof. Keim beschrieb deshalb - ebenso wie Wilfried Heck vom Bundesvorstand der Grünen - den KMK– Konflikt als Ausdruck bildungspolitischen Streits im Zeichen der gesellschaftlichen Wendepolitik von CDU und CSU. Ähnlich zog auch Alexander von Dülmen (Bundesschülervertretung) eine Verbindungslinie zwischen der beabsichtigten Verschärfung der Abiturbedingungen einerseits und dem Schüler–BAföG–Kahlschlag andererseits. Dagegen sei mit allen Kräften und Organisationen anzukämpfen.

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