: Der Poker geht weiter
Bonn (taz) - Die Veranstaltung könne ein „Echo auslösen, das den Einigungsprozeß in der KMK stört“, warnte der nordrhein– westfälische Kultusminister Hans Schwier (SPD) brieflich seinen Fraktionskollegen, den SPD– Landtagsabgeordneten und Bundesvorsitzenden der SPD–Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokraten im Bildungswegen (AfB), Manfred Dammeyer. Gemünzt war der Schwier–Brief auf Dammeyers Einladung zu einem Expertengespräch zur „Neugestaltung der gymnasialen Oberstufe“ am 4. Juni im Bonner Erich–Ollenhauer–Haus. Daselbst wurde die Schwier–Depesche mit Erstaunen registriert. Die barsche Forderung des Düsseldorfer Genossen, „daß meine Position in den kommenden Verhandlungen durch Eure Tagung nicht erschwert wird“, mußte auch die angesagten Referenten der Tagung düpieren - darunter prominente SPD–Bildungspolitiker wie der Bremer Bildungssenator Horst Werner Franke, der hessische Ex–Kulturminister Karl Schneider und der niedersächsische Fraktionsvize Rolf Wernstedt. Ebenfalls brieflich konterte AfB–Chef Dammeyer daher dem „lieben Hans“ zurück, Ziel der Veranstaltung sei es, die sozialdemokratische Position „zu stärken“ und über Reformmodelle wie die Kollegschule „republikweit“ zu informieren, statt „mit Informationen hinter dem Berg (zu) halten“. Zwangsläufig wurde die Bonner AfB–Veranstaltung so auch indirekt zu einem Tribunal über eine allzu zaghafte Vertretung sozialdemokratischer Reformpositionen durch das Düsseldorfer Kultusministerium. Offensive ist angesagt Offensive statt Defensive ist bei den Sozialdemokraten angesagt, seitdem die Bemühungen, mit den Unionskultusministern das brisante Thema „Fortschreibung der gymnasialen Oberstufe“ durch einen Kompromiß hinter den Kulissen zu bereinigen, am Widerstand der Minister aus Stuttgart, Mainz und München gescheitert waren. Die unverhoffte Protestwelle der Schülerinnen und Schüler besorgte, daß trotz des Verlustes des SPD–Kultusministeriums in Wiesbaden und der damit verbundenen Verstärkung des Übergewichts der CDU/CSU in der Kul tusministerkonferenz erstmals wieder unter SPD–Genossinnen und Genossen gilt: „Wehrlos sind wir nicht“ (Franke). Der niedersächsische SPD–Fraktionsvize Rolf Wernstedt präzisierte denn auch die Erwartungen der Schülerinnen und Schüler in Richtung auf die eigene Partei: Immer wieder sei die skeptische und zugleich hoffnungsvolle Erwartung geäußert worden, „daß die SPD sie (die SchülerInnen–Demonstranten) nicht verraten werde“. In diesen Tagen, so Wernstedt, sei es ungeheuer wichtig, daß die SPD nicht als „opportunistische Partei“ wahrgenommen wird. Argwohn scheint tatsächlich angebracht. Auf Drängen der SPD hatte eine KMK–Staatssekretärskommission Überlegungen angestellt, auf welcher Basis denn Einstimmigkeit unter den Kultusministern und ein neues Abkommen zustandekommen könnten, doch Zweifel sind angesagt, ob die dabei produzierten Texte - laut Franke eine „erstaunliche Aufnahme von SPD–Positionen“ - auch die Gnade der CDU/CSU– Kultusminister finden werden. Dabei sind sich die Kultusbürokraten hinsichtlich der Regelungen für die allgemeinbildende gymnasiale Oberstufe so weit nahe gekommen, daß zwei von drei Fächern Deutsch, Mathematik und Fremdsprache durchgängig bis zum Abitur belegt werden müssen, ebenso durchgehend ein naturwissenschaftliches Fach und vier Kurse Geschichte bzw. Sozialwissenschaften (mit stark historischen Bezügen), die Abiturprüfung mit ihrer punktuellen Streß–Situation künftig schwächer bei der Gesamtbewertung des Abiturabschlusses gegenüber den in den Kursen erworbenen Punkten zu Buche schlagen soll und im Fach Deutsch die Fähigkeiten zur mündlichen und schriftlichen Kommunikation - bezogen auf literarische wie Sachtexte - anhand bundesweit einheitlicher Prüfungsanforderungen (EPA) ermittelt werden sollen. Den Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Dieter Wunder treibt die Furcht um, ob nicht selbst bei den jetzt erzielten Annäherungen letztlich sozialdemokratische bzw. gewerkschaftliche Reformpositionen abgeräumt werden. Dies z.B dadurch, daß die Festschreibung einer „fortgeführten“ Fremdsprache bis zum Abitur vor allem Haupt– und Realschüler beim Übergang in die gymnasiale Oberstufe abschotten und damit die Durchlässigkeit beseitigen wird, daß einheitliche Prüfungsanforderungen in Deutsch die klassische Literatur aufwerten, während zugleich moderne Unterrichtsmethoden und die politisch–kritischen berufs– und arbeitsweltbezogenen Sachtexte, wenn nicht preisgegeben, so doch jeweils besonderer Legitimation bedürfen, um im Deutschunterricht vorzukommen. Streitpunkt Kollegschule Doch selbst die Annäherung über eine partielle Verschärfung der Abiturbedingungen kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß jede Fortschreibung der gymnasialen Oberstufe mit der Frage steht und fällt, was aus den beruflichen Gymnasien und den nordrhein–westfälischen Kollegschulen wird. Nicht einmal eine Annäherung der Standpunkte hat sich dazu abgezeichnet, sieht man einmal von der erstaunlichen Tatsache ab, daß der baden–württembergische Kultusminister Gerhard Meyer–Vorfelder (CDU) für die eigenen doppelt–qualifizierenden Modellschulen (in Stuttgart), wo ähnlich wie bei den Kollegschulen gleichzeitig Abitur als auch ein berufsbildender Abschluß erworben werden können, eine dreijährige Ausbildungszeit (Klassen 11 - 13) reklamiert, während er die NRW–Kollegschulen nicht unter vier Jahren wegkommen lassen möchte. Insofern kann von der Dortmunder KMK nach gegenwärtigem Stand „kein Durchbruch“ (Franke) erwartet werden. Ob sich freilich die Unionsländer auf die bei der AfB–Konferenz ausgegebenen Formel einlassen mögen, daß sich einstweilen „mit der unverändert gültigen, weil (noch) ungekündigten KMK–Vereinbarung von 1972 gut leben läßt“, ist wiederum fraglich. Nicht ausgeschlossen ist, daß die CDU/CSU–Kultusminister im Falle einer Nicht–Einigung versucht sein könnten, durch eine Kündigung des 72er–Abkommens den Druck auf die SPD–Länder zu verstärken - hatte doch SPD– Sprecher Franke unbeschadet aller wilder Entschlossenheit zu weiterem Pokerspiel das Ende der Fahnenstange schon angezeigt: Es dürfe nicht dazu kommen, daß die Republik in „zwei Abiturkreise“ (SPD–Abitur und CDU/CSU– Abitur) zerlegt werde.
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