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Reagans Kanonenboot–Politik unter Beschuß

■ Im US–Kongreß stößt das Säbelrasseln des Präsidenten gegen Iran zunehmend auf Widerstand / Senatoren und Abgeordnete warnen vor stärkerem militärischen Engagement im Persischen Golf / Gesetzentwurf verbietet Flaggenwechsel und Tanker–Eskorte / Zeichen für wachsende Ungeduld mit zerfahrener US–Außenpolitik?

Von Martin Kilian

Noch im März, während Ronald Reagans letzter Pressekonferenz, dachte der Meister außenpolitischer Überraschungen in ganz großen Zügen, geostrategisch und staatsmännisch und differenziert. Der Präsident, vor sich eine durch den Iran–Contra–Skandal auf Trab gebrachte Journalistenschar, verteidigte die Waffenschieberei an die Ayatollahs mit der Suche nach iranischen „Gemäßigten“. Von einer „Öffnung“ war die Rede. Vorbei ist es damit: Rechtzeitig zum Beginn der Sauregurkenzeit dampft die Reagan–Administration unter den mißtrauischen Augen von Alliierten und Kongreß in den Persischen Golf, statt Karotten für iranische „Gemäßigte“ schwingt sie den Prügel. Auch in der Sprache des Präsidenten schägt sich das neue Politfeeling nieder, denn nicht mehr - wie im März - von der „iranischen Revolution“ ist jetzt die Rede, sondern vom „barbarischen Regime“ der Ayatollahs. Vor dem Iran– Contra–Untersuchungsausschuß kommt derweil heraus, daß Ollie North und Richard Secord ihren iranischen Gesprächspartnern nicht nur Hilfe für den Fall eines sowjetischen Angriffs zusicherten, sondern freundlicherweise auch beim Sturz Saddam Husseins zu Diensten sein wollten. Aber das war vor dem Bekanntwerden des Skandals und vor der tiefen Verunsicherung, die des Präsidenten Suche nach iranischen Gemäßigten unter den arabischen Golfstaaten auslöste. Die arabischen Golfanrainer haben im Unterschied zur Washingtoner Regierung ein funktionierendes Kurzzeitgedächtnis, und leider, so gesteht Ronald Reagans Nahost–Staatssekretär Richard Murphy einem Kongreßausschuß, sei es kein Zufall, daß die kuwaitische Regierung gerade im November 1986 beim Kreml zwecks Protektion ihrer Tanker anklopfte. Wie andere arabische Nationen, so wurden auch die Kuwaitis von Existenzangst erfaßt, als sie vom Waffen–Deal und den iranisch– amerikanischen Kontakten erfuhren. Allah ist fern, der Iran nah, und so wandte man sich zum Schutz der Öltransporte zuerst an Moskau, dann an Washington, neuerdings sogar an Peking, immer in der Hoffnung, die Weltmächte würden ein Ende des zunehmend bedrohlichen Golfkrieges erzwingen. Statt Backwerk blaue Bohnen Der Trick wirkte, denn gerade ein Jahr nachdem Robert McFarlane mit Kuchen und Reagan–signierter Bibel in Teheran einflog, soll es für die Ayatollahs nun statt Backwerk blaue Bohnen geben. Doch ungeachtet der politischen Argumente, die für das kuwaitisch–amerikanische Flaggenspiel in Washington präsentiert werden, drängt sich dabei der Verdacht auf, hier wolle jemand wettmachen, daß er blamiert wurde - ein gefährliches, weil irrationales Element in Ronald Reagans neuester, auf Konfrontation mit dem Iran angelegter Politik. Über Mangel an Merkwürdigem läßt sich fürwahr nicht klagen: Obwohl nicht der Iran, sondern die irakische Luftwaffe die „USS– Stark“ exocierte, schob Ronald Reagan den Ayatollahs die Schuld für alles zu, während das nicht minder unappetitliche Regime Saddam Husseins mit Nachsicht und Verständnis bedacht wurde. Und wundersam mutet an, daß der amerikanische Geleitschutz zur Sicherung der Schiffahrtswege im Golf sich allein gegen den Iran richtet. 240 Schiffe sind im Golf seit 1984 angegriffen worden, die meisten von irakischen Streitkräften. So mag denn die Sicherung der westlichen Ölversorgung ein Nebenprodukt der Reagan–Politik im Golf sein, vornehmlich aber geht es der Administration um eine Herausforderung an die iranische Führung. Und als Beigabe, vielleicht um sie zu ködern, wird den Herausgeforderten bedeutet, die Stationierung von Schiffsabwehrraketen habe gefälligst zu unterbleiben. Öffentlich und genüßlich debattiert die Washingtoner Regierung, ob die iranischen Raketen durch einen Präventivschlag ausgeschaltet werden sollten, wobei völkerrechtliche Bedenken selbstverständlich keine Rolle spielen. Bei soviel Machismo wäre nicht weiter verwunderlich, wenn es die kuwaitische Regierung beim Anblick der sich laut auf ihre Brust trommelnden Reagan– Administration mit der Angst zu tun bekäme. Richtig kalkuliert hatte das Scheichtum freilich, als es die Sowjets einlud und die rote Fahne unübersehbar vor den Augen der Washingtoner Regierung wehen ließ. Kaum hatten Washingtons reflexkonditionierten Politicos die roten Seemänner im Golf ausgemacht, setzte Paranoia ein. Erinnerungen an 1979 wurden wach, als ein grimmig dreinblickender, von seinem Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski gehörig angetörnter Jimmy Carter die sowjetische Aggression in Afganistan in einer TV–Rede als die schwerste Krise seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges brandmarkte. Eine Landkarte hinter Carter verhieß Schlimmes, zeigte sie doch, wie nahe die Sowjetunion nun an den Ölquellen und Schiffahrtswegen der Golfregion saß. Neu war derlei geostrategische Panik natürlich nicht, denn bereits 1975 hatte der unverwüstliche Henry Kissinger den widerspenstigen Kongreß zum Eingreifen in den angolanischen Bürgerkrieg ermuntern wollen, indem er prophezeite, der Verlust Angolas werde zu sowjetischer Kontrolle über die Ölrouten im Südatlantik führen. Auch jetzt, da der kuwaitische Schachzug zu einer sowjetischen Minipräsenz im Golf führte, schalteten die Ölstrategen wie gehabt auf Overdrive. Truppenverlagerung zum Golf In der Washington Post durfte Zbigniew Brzezinski plötzlich laut über die Verlagerung amerikanischer Streitkräfte aus Westeuropa an den Persischen Golf nachdenken, weil nicht Zentraleuropa, sondern der Nahe Osten wahrscheinlichstes Ziel eines so wjetischen Ausgreifens sei. Damit die sorgfältig inszenierte Reagan–Herausforderung an den Iran im großen strategischen Szenario jedoch nicht ganz unterging, empfahl Brzezinski zur Pazifierung der Ayatollahs einen „entscheidenden Schlag“ inklusive Flugzeugträger und B 52–Bomber. Ähnlich sah es der republikanische Kongreßabgeordnete und Präsidentschaftskandidat Jack Kemp, den Einsatz von Nuklearwaffen freilich hielt er nicht für notwendig. Wohl dürfen Brzezinski, Kemp und andere frustrierte Iran–Feinde in den Vereinigten Staaten hoffen, daß die Administration sie hinsichtlich des Irans nicht enttäuschen wird, Brzezinskis Aufforderung, die Front von Mitteleuropa an den Golf zu verlegen, wird die Washingtoner Regierung allerdings nicht nachkommen. Statt dessen befand Reagan–Stabschef Howard Baker rechtzeitig zum Beginn des Venedig–Gipfels, daß man mit der sowjetischen Präsenz im Golf leben könne und sich vielleicht sogar die Möglichkeit einer Zusammenarbeit anbiete - eine Feuerwehraktion, denn der stellvertretende sowjetische Außenminister Juli Worontsow hatte gegenüber der New York Times erklärt, die Sowjetunion wolle keinesfalls die Zahl ihrer Kriegsschiffe im Golf erhöhen und habe sich bereits an die US–Administration gewandt, um eine Koordination der beiderseitigen Aktionen im Golf auszuloten. Bislang, so Worontsow, habe Moskau jedoch keine Antwort erhalten. Vor diesem Hintergrund wurde plötzlich verständlich, warum Baker bereit war, die sowjetische Präsenz im Golf zu loben und sich dafür den Zorn amerikanischer Konservativer zuzuziehen: Im Kongreß stößt der unilaterale amerikanische Ausflug in den Golf auf zunehmenden Widerstand, und eine starke Minderheit unter den Abgeordneten drängt statt dessen auf eine UN–Aktion oder gar eine bilaterale sowjetisch–amerikanische Initiative zur Sicherung der kuwaitischen Öltransporte. Hatten Parlamentarier beider Parteien zunächst auf den geplanten Flaggenwechsel und den Einsatz einer amerikanischen Flottille im Golf mit Staunen reagiert, so wich das Staunen bald dem Ärger. Zu viel außenpolitisches Kapital hat diese amerikanische Regierung verspielt, als daß der Kongreß ihr nun auch widerspruchslos in den Golf folgen würde. Statt dessen erhob sich lauthals Wehklagen unter den Kongreßmitgliedern, von einer „Mietmarine“ im Dienste Kuwaits war die Rede, von unüberlegten politischen Entscheidungen - und von Beirut. Dort starben vor vier Jahren 241 Marines, weil sie von der Regierung Reagan ohne klar definierte politische und militärische Ziele an den Strand gesetzt worden waren. Damals hatte sich der Kongreß trotz größter Zweifel auf das Abenteuer eingelassen, weshalb nachträgliche Kritik am Präsidenten unterblieben war, daß die europäischen Alliierten und Japan wieder einmal abseits stehen, obwohl es um ihren und nicht um den amerikanischen Ölnachschub geht. Der republikanische Fraktionsvorsitzende im Senat, Robert Dole (Kansas), sprach denn auch offen aus, was im Kongreß gedacht wird: Amerika müsse „immer die Rechnung bezahlen, obwohl wir gar nichts essen“. Zwar versuchte sich Außenminister Shultz vor der Abreise nach Venedig noch schnell an einer lahmen Rechtfertigung der europäisch–japanischen Nonchalance, zu suspekt aber ist dem Kongreß die neue amerikanische Rolle im Golf, als daß dies verfangen hätte. Wohlbekanntes Dilemma So finden sich Abgeordnete und Senatoren denn in einem alten, ihnen wohlbekannten Dilemma: Sollten sie mittels ihrer Haushaltshoheit oder mit Hilfe der im Anschluß an den Vietnamkrieg verabschiedeten „War Powers Resolution“ die Administration an die Leine legen oder ihr trotz aller Bedenken den Rücken stärken? Schlägt der Kongreß sich auf die Seite der Administration, hätte Kritik, wie damals nach dem Debakel in Beirut, zu unterbleiben, falls etwas schiefgeht im Golf. Das Erzwingen einer Kursänderung durch einen direkten Eingriff des Kongresses in die amerikanische Außenpolitik zöge andererseits nicht nur eine Neuauflage verfassungsrechtlicher Auseinandersetzungen nach sich, sondern erlaubte es der Administration überdies, dem Kongreß die Verantwortung für mögliche Katastrophen in die Schuhe zu schieben. Dennoch beherzigte eine Mehrheit der Kongreßmitglieder die Warnung des demokratischen Abgeordneten Ted Weiss. Er würde, so Weiss, seinen „letzten Dollar“ darauf verwetten, daß die Administration im Falle eines Scheiterns im Golf sagen werden, der Kongreß habe Gelegenheit zum Einspruch gehabt, sie jedoch nicht wahrgenommen. Und während das Repräsentantenhaus lediglich umfassende Information über die Intentionen der Administration am Golf forderte, brachten die Senatoren Pell (Rhode Island), Cranston (Kalifornien) und Hatfield (Oregon) im Senat einen Gesetzentwurf ein, der Flaggenwechsel und Eskorte verbieten würde. Der Plan der Administration, so der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses im Senat, Clairborne Pell, sei „schlecht durchdacht und gefährlich“ und wäge Nutzen und Risiken nicht genügend ab. Mit 91 zu fünf Stimmen forderte der Senat deshalb die Regierung Reagan auf, erst einmal genauestens darzulegen, wie man sich das Engagement im Golf vorstelle und was man im Falle eines iranischen Angriffs zu tun gedenke. Danach soll über den Antrag der drei Senatoren entschieden werden. Für das Weiße Haus bedeutet diese Entwicklung wenig Gutes, denn zum einen signalisiert sie wachsende Ungeduld des Kongresses mit der zerfahrenen Außenpolitik der Regierung Reagan, und zum anderen beweist sie, daß der Iran–Contra–Skandal und die täglichen Hearings ihre Wirkung in Washington nicht verfehlen.

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