Glasnost in der Glotze

■ Unbefriedigende Antworten auf unbequeme Fragen in einer Live–Sendung des sowjetischen Fernsehens

Berlin (taz) - Halben Mut zu „Glasnost“ bewies Dienstag abend das UdSSR–Fernsehen: In der Live–Sendung „Resonanz“ durften zwar Sowjetbürger telefonisch Fragen stellen - die Antworten fielen aber weder durch Originalität noch durch halsbrecherische Offenheit auf. Das Auffallendste an der Show - außer daß es sie gibt - ist die Mitwirkung des Metropoliten von Minsk. Er antwortete auf die Frage nach der geringen Anzahl von Bibeln im Land: Am Papiermangel liegts! Daß „Glasnost“–Übereifer zu nichts führt, mußte ein Bürger aus Minsk erfahren: Mit der Frage nach Auswanderungsmöglichkeiten handelte er sich die pampige Antwort ein, er möge sich an ein Visa–Büro wenden, diese Sendung sei schließlich kein Auskunftsbüro. Einem Zuschauer, der es für eine gute Idee hielt, die Direktwahl des Parteichefs durch die Bevölkerung anzuregen, erging es nicht besser: Ziemlich geistlos antwortete ihm ein Regierungsbeamter, es sei „Sache des ZK, den Generalsekretär zu wählen“. Ein gewisser Lomeiko, Ex– Sprecher des Außenministeriums, konterte eine Frage nach Reisemöglichkeiten mit der kühnen Behauptung, vielen Bürgern würden Westreisen verweigert, wiel sie im Besitz von Staatsgeheimnissen seien. Insgesamt ein Fall von sozialistischem Formalismus: Eine solche Sendung hat zweifellos mit „Glasnost“ zu tun - ihr Ablauf aber erinnert an ein „offenes Gespräch“ zwischen zwei Personen, von denen eine ständig lügt, abblockt oder herumalbert. Klaus Nothnagel