K O M M E N T A R In der Zwickmühle

■ Südkoreas Diktatur in der Defensive

Wird Südkoreas Diktator Chun Doo Hwan angesichts der nunmehr schon zehn Tage andauernden Aufstände gegen sein Regime das Kriegsrecht ausrufen oder nicht? Diese Frage beschäftigt jeden, der in den letzten Tagen die Bilder von den Straßenschlachten in Seoul und anderen Städten gesehen hat. Was ist das für eine Diktatur, die es geschehen läßt, daß ganze Polizeieinheiten von Studenten umzingelt, entwaffnet und zum allgemeinen Hohn in Springbrunnen verfrachtet werden? Obschon sich in Südkorea unabhängige und bürgerliche Oppositionsgruppen allmählich der Aufstandsbewegung anschließen, sitzt Chun noch fest im Sattel: Das Militär steht ohne jeden Zweifel hinter ihm, und eine unabhängige starke Gewerkschaftsbewegung existiert in Südkorea ebensowenig wie eine bewaffnete Guerilla. Der entscheidende Grund, der das Regime derzeit vor einer Entscheidung über das weitere Vorgehen zögern läßt, sind die olympischen Spiele im September 1988, für die sich Seoul als moderne, weltoffene Metropole präsentieren will. Unabsehbaren Schaden würde hier die Ausrufung des Kriegsrechts oder gar ein neues Kwangju–Massaker anrichten. Reizgas überm Stadion - undenkbar. Eine Alternative, die der Regierung erlauben würde, das Gesicht zu wahren und die Studenten als isolierte Grüppchen darzustellen, wären Scheinverhandlungen mit der gemäßigt–bürgerlichen Opposition. Doch auch hier ist der als dialogfreudig bekannte designierte Präsidentennachfolger Roh Tae Woo bereits abgeblitzt: Kim Young Sam, Galionsfigur der Konservativen, hat klargestellt, daß er mit einem „Mann ohne Funktion“ nicht verhandeln werde. Bleibt nur noch eine Alternative offen: nachgeben. Sprich: Die Wahl Roo Tae Woos für ungültig erklären und freie Präsidentschaftswahlen durch das Volk gestatten. Doch nachgegeben haben Südkoreas Diktaturen in den letzten 20 Jahren nicht ein einziges Mal. Nina Boschmann