„Wir werden diesen Krieg gewinnen“

■ Anton Balasingham, politischer Sprecher der stärksten tamilischen Guerillaorganisation „Liberation Tigers of Tamil Eelam“, über die Situation nach der Großoffensive im Norden Sri Lankas, über Flüchtlinge, konkurrierende Guerillagruppen und das Verhältnis der Widerstandsbewegung zu Indien

taz: Wie ist die Situation auf der Jaffna–Halbinsel nach der Offensive? Es heißt, Jaffna–Stadt sei von Soldaten umzingelt... Balasingham: Die Behauptung, die gesamte Halbinsel sei in Händen der Armee, ist unwahr. Es ist für die Regierungstruppen unmöglich, dieses für sie fremde Territorium über längere Zeit zu halten. Ein kleiner Abschnitt im Nordosten ist von der Armee besetzt, wir hoffen aber, ihn demnächst wieder übernehmen zu können, der Rest ist unter Kontrolle der LTTE. Die LTTE scheint vom Beginn der Offensive am 26. Mai überrascht worden zu sein... Nein, wir wußten, daß die Armee Vorkehrungen traf, es gab Truppenbewegungen, die Stellungen wurden ausgebaut. Aber wir kämpfen gegen eine Armee von 23.000 Mann, die mit massiver Luftunterstützung und mit Hilfe ausländischer Söldner agieren. Trotz dieser überwältigenden Übermacht ist die von der Regierung beabsichtigte Invasion und Unterwerfung der Halbinsel gescheitert. Die Zivilbevölkerung war der Armee schutzlos ausgeliefert. Wurden keine Vorkehrungen getroffen? Die tragische Dimension dieser Offensive ist in der Tat, daß mehr als 1.000 unschuldige Zivilisten getötet wurden und mehrere Küstendörfer durch Bombardements dem Erdboden gleichgemacht wurden. Wir kämpfen gegen einen modernen Staat, der Bomberflugzeuge und Kampfhubschrauber einsetzt. Den Menschen können wir nur raten, sich in Bunkern in Sicherheit zu bringen. Aber Sie kannten doch die Regierungsarmee seit vielen Jahren. Mußten Sie nicht mit einem solchen Vorgehen rechnen? Wir haben niemals erwartet, daß die Streitkräfte sich so verhalten. Sie verletzen alle Regeln der Kriegsführung und der Menschenrechte. Die Regierung benutzt sie, um unser Volk physisch zu vernichten, das ist Genozid. Aber wir befinden uns in einem Befreiungskampf, in dem Blutvergießen, Tod und Tränen gewöhnliche Erscheinungen sind. Unser Volk ist bereit, alle Leiden zu ertragen, denn wir wissen, daß wir für eine legitime Sache kämpfen und am Ende diesen Krieg gewinnen werden. Die Zeit wird kommen, wo wir uns mit Luftabwehrsystemen verteidigen können. Tausende von Tamilen fliehen aus Jaffna. Hat die Bevölkerung das Vertrauen in die „Tigers“ verloren? Das mag das Ziel der Regierung sein, aber da sind sie auf dem Holzweg: Es gibt keinen Unterschied zwischen Befreiungsbewegung und Volk (hinter dem tamilischen Widerstand steht eine Massenbewegung). Daß bestimmte Sektoren der Bevölkerung, vor allem der Mittelschicht, flüchten, heißt noch nicht, daß alle leute aus Jaffna weglaufen. Aber die Flüchtlinge, die hier täglich ohne irgendeine Habe ankommen und die 150.000 Tamilen, die schon in den Lagern des südindischen Bundessaates Tamil Nadu leben, sind doch wohl nicht alle Angehörige der Mittelschicht... Es Stimmt, daß einige leute sicherer leben wollen, aber die meisten stellen sich der Situation. Im übrigen fordern wir alle jungen Männer auf, die irgendwo in der Welt gestrandet sind, zurückzukommen und sich dem Befreiungskampf anzuschließen. Ihre Zukunft liegt im eigenen Land. Hat die LTTE nicht selbst den Kampf der Tamilen geschwächt, indem sie versucht hat, andere tamilische Gruppen, namentlich TELO und EPRLF, physisch zu liquidieren? Wir waren gezwungen, sie zu entwaffnen, das tamilische Volk will eine einzige nationale Widerstandsbewegung und nicht eine Vielzahl von Gruppen wie bei der palästinensischen PLO. Wenn die anderen bereit sind, sich uns gegen den gemeinsamen Feind anzuschließen, sind sie willkommen. Unterschiedliche Strategien und Programme aber schwächen den Widerstand. Warum wurde die Offensive von den Regierungstruppen abgebrochen? Zum ersten war die Armee wegen unseres heftigen Widerstandes mit logistischen Problemen konfrontiert, zweitens wollte sie den Soldaten eine Ruhepause gönnen, und drittens hat sicher das (soeben beendete) Treffen der südasiatischen Gemeinschaft und die bevorstehende Zusammenkunft des srilankanischen Hilfskonsortiums eine Rolle gespielt. Die Regierung fährt die weiche Linie, um internationale Unterstützung zu erhalten. Danach wird die Offensive sicher wieder aufgenommen. Haben die Interventionen Indiens auch eine Rolle gespielt? Ja, unter anderem. Der Abwurf indischer Hilfsgüter über tamilischem Gebiet war eine Art Warnung und New Delhi hat Colombo wegen der massenhaften Tötung von Zivilisten angegriffen. Betrachten Sie es heute als taktischen Fehler, daß die LTTE am 1.1. dieses Jahres den unabhängigen Tamilenstaat Eelam ausgerufen hat? Wir haben kein „Eelam“ ausgerufen, das ist reine Regierungspropaganda. Jeder weiß, daß die Jaffna–Halbinsel unter unserer Kontrolle war. Wir wollten lediglich ein Sekretariat zur Koordination der Verwaltung eröffnen im Hinblick auf eine spätere einseitige Unabhängigkeitserklärung von Colombo. Auf Anraten Indiens haben wir selbst das unterlassen. Trotzdem hat die Regierung in Colombo unsere Pläne als Anlaß benutzt, um über die Halbinsel ein Wirtschaftsembargo zu verhängen und eine militärische Offensive zu starten. Die srilankanische Regierung behauptet, New Delhi sei unfähig, Sie an den Verhandlungstisch zu bekommen? Wir haben ein sehr gutes Verhältnis sowohl zur indischen Zentralregierung als auch zur Landesregierung von Tamil Nadu, und wir haben mit der indischen Initiative für eine Verhandlungslösung kooperiert. Wir werden jedoch nicht an Gesprächen teilnehmen, solange die Offensive läuft. Sri Lanka muß das Töten einstellen, die Blockade aufheben und die unschuldigen Jugendlichen, die verhaftet wurden, wieder freilassen. Das haben wir Indien mitgeteilt, und Indien hat großes Verständnis für unseren Standpunkt. Sind die von der Regierung im Dezember 86 vorgelegten Vorschläge - Aufteilung des tamilischen Nordens und des Ostens in zwei getrennte Verwaltungseinheiten - für Sie ein akzeptabler Ausgangspunkt für Verhandlungen? Nein. Wir fordern das Konzept eines tamilischen Heimatlandes, das den Norden und den Osten als linguistische Einheit und als Territorium mit angemessenem Autonomiestatus vorsieht. Interview: Biggi Wolff