Flammen über Ruhr?

■ Zu den Protesten gegen die Stahlkrise

Die drohende Ankündigung, daß die Republik in Flammen stünde, wenn der Funke an der Ruhr sich entzünde, taugt vielleicht zur Selbstsuggestion auf den Protestversammlungen der Stahlarbeiter. Einen nachhaltigen Eindruck auf die Bonner Politiker aber kann er nicht machen, denn er ist offensichtlich falsch. Die Stabilität dieses Staates ist keineswegs gefährdet, wenn die Arbeitslosigkeit in einigen Revieren auf 30 Prozent steigt, und die Hallenbäder in Hattingen geschlossen werden, weil die Stadt pleite ist. Soziale Ausgrenzungen, seien sie regional oder schichtenspezifisch, bedrohen die „Regierungsfähigkeit“ dieses Gemeinwesens keineswegs, so lange die Masse der Bevölkerung sich in gesichertem Wohlstand wähnen kann. Vor Jahren wurden sozialwissenschaftliche Untersuchungen breit diskutiert, wonach diese Gesellschaft mehr als fünf bis sechs Prozent Arbeitslosigkeit nicht „verkraften“ könne. Nun schwankt schon die offizielle Arbeitslosenstatistik seit Jahren zwischen acht und zehn Prozent, ohne daß es deshalb erkennbare Zeichen von sozialer Unruhe gäbe. Noch steht nicht einmal das Revier in Flammen, und es ist weder zu hoffen noch zu erwarten, daß dies geschehen wird - auch wenn sich die Stahlkrise weiter verschärft. Die Proteste sind dennoch nicht wirkungslos, wie Bundesarbeitsminister Blüms Warnungen vor Massenentlassungen zeigen. Aber das hängt eher damit zusammen, daß die CDU in Krisenregionen mit traditionell sozialdemokratisch geprägter Kultur kaum Chancen auf Zugewinn hat, und das Revier sich von anderen Krisenregionen durch eine Eigentümlichkeit unterscheidet: Es ist nach wie vor die am dichtest bevölkerte Region der Republik, und das ist wahlentscheidend. Martin Kempe