: Sunnyboy mit Schönheitsfehlern
■ Peru nach zwei Jahren Sozialdemokratie unter Alan Garcia / Wirtschaftlich geht es aufwärts / Die Regierungspartei APRA profiliert sich als bürokratische Staatspartei / Im Inneren herrschen Repression und volkstümliche Selbstdarstellung / Gefangenenmassaker vor einem Jahr immer noch nicht aufgeklärt
Von Wolf Stock
Seine Freunde nennen ihn den „Kennedy Lateinamerikas“, Gegner sprechen ehrfürchtig vom „Caballo Loco“, vom „wilden Pferd“. Gemeint ist Perus junger Präsident Alan Garcia, dessen sozialdemokratische APRA–Partei nach einem überwältigenden Wahlsieg vor zwei Jahren Perus Staatsgeschicke in Händen hält. Der Einzug des charismatischen 37jährigen Garcia in den Präsidentenpalast bedeutet eine Zäsur in der Geschichte des Andenstaates. Genau 61 Jahre hatte Perus geschichtlich beständigste und einflußreichste Partei, die 1924 von Haya de la Torre im mexikanischen Exil gegründete APRA „Alianza Popular Revolucionaria Americana“, „Revolutionäre amerikanische Volksallianz“, warten müssen, bis sie im Juli 1985 endlich das Regierungsruder übernehmen konnte. Von Militär und Oberschicht beargwöhnt, hatte der APRA–Gründer 1962 schon einmal die Präsidentenwahl für sich entschieden, doch verhinderten Generale durch einen Putsch eine apristische Regierungsübernahme. Die APRA zeigte sich stets als personalistisch ausgerichtete und straff organisierte Partei ohne klare programmatische Konturen. Heute gilt sie als mittelschichtorientierte, populistische Bewegung. In der ihm eigenen ungestümen Art packte „Caballo Loco“ den Reform–Stier bei den Hörnern. Durch Dezentralisierung soll fortan den Regionen mehr wirtschaftliche Handlungs freiheit und politische Mitbestimmung eingeräumt werden. Außenpolitisch lehnt sich Garcia stark an die blockfreie Bewegung an und in Lima gilt es als offenes Geheimnis, daß der redegewandte APRA–Chef die Präsidentschaft der Blockfreien anstrebt. Garcias Regierung reihte sich darüber hinaus aktiv in die Unterstützergruppe der Contadora–Initiative, die eine Befriedung Mittelamerikas anstrebt, ein. Schuldenzahlungen verringern Die größten Erfolge kann die sozialdemokratische Regierung auf wirtschaftlichem Feld vorweisen. Mit einem Wirtschaftswachstum von 8,5 höchsten Lateinamerikas, und einer auf 63 Erholungskurs. Eine expansive öffentliche Ausgabenpolitik stimulierte einen privaten Konsumboom und bewirkte eine Ankurbelung der Konjunktur. Die Senkung der Zinsen, Devisenkontrollen und ein Einfrieren der Preise führten insbesondere in der Bauwirtschaft, im Fischfang und der Industrieproduktion zu einem rasanten Aufschwung. Die wirtschaftliche Expansionspolitik Garcias schuf zahlreiche neue Arbeitsplätze. Nicht nur im weiter aufgeblähten Verwaltungsapparat, sondern auch im peruanischen ABM–Programm, hier PAIT (Programa de Apoyo al Ingreso Temporal) genannt. 8.000 der gut 500.000 ambulanten Kleinhändler Limas wurden mit Kleinkrediten zwischen 70 und 700 DM bedacht. Garcias Vorgänger hatte noch versucht, die Händler verscheuchen zu lassen. Der Aufschwung wurde im wesentlichen durch die Verringung von Schuldendienstzahlungen erreicht. Zwar hat die Regierung Garcia prinzipiell die peruanische Außenschuld von 14 Milliarden Dollar akzeptiert, doch ist sie offiziel nicht bereit, mehr als 10 Exporterlöse pro Jahr für Zinszahlung und Tilgung an nordamerikanische und europäische Banken zu überweisen. Der tatsächliche Prozentsatz allerdings dürfte höher liegen. Garcias Muskelspiel gegenüber den ungeliebten Gringo–Gläubigern brachte der Regierung in der eigenen Bevölkerung zusätzliche Pluspunkte ein. Im Gegensatz zu Garcias konservativem Vorgänger, dem altväterlichen Architekten Belaude, der hilflos vor Perus Staats– und Wirtschaftskrise stand, vermittelt der Kurs des Sozialdemokraten den Peruanern Optimismus. Doch Sunnyboy Garcia zeigt auch beträchtliche Schönheitsfehler. Gerade auf dem Gebiet der Innenpolitik, auf dem man sich von der sozialdemokratischen Regierung mehr Freiheit und Liberalität versprochen hatte, spitzte sich in den letzten Jahren die Lage dramatisch zu. Gebeutelt vom maoistischen „Sendero Luminoso“ (“Leuchtender Pfad“) und den Stadtguerilleros der Revolutionsbewegung Tupac Amarau (MRTA) verhängte die Regierung vor anderthalb Jahren den Ausnahmezustand, der in Lima mit einer nächtlichen Ausgangssperre von ein bis fünf Uhr früh verbun den ist. Bewaffnete Soldaten patrollieren an allen Ecken und Enden. Die Menschenrechtssituation verschlechtert sich zusehends. Seit 1983 sind mindestens 2.500 Personen spurlos „verschwunden“. Das Massaker während der Gefängnisrevolte im Juni 1986, bei dem rund 500 Häftlinge ums Leben kamen, ist bis heute noch nicht vollständig aufgeklärt. Weder existiert eine genaue Liste mit den Namen der Toten noch ein detaillierter Bericht über den Ablauf des Gemetzels. Kein Verantwortlicher wurde bisher zur Rechenschaft gezogen. Die Regierung schaut dem mörderischen Treiben der Militärs hilflos zu und reiht sich mitunter selbst in die Reihe der Scharfmacher ein. Im Februar überfielen auf Anordnung von Innenminister Salinas Polizei– und Militäreinheiten drei Universitäten Limas und ver hafteten 793 Studenten und Professoren. Die Aktion kostete einen 22jährigen Universitätswächter das Leben. Die tagtägliche Repression hat sich verschärft. Kaum noch eine Zeitung, die gegen den „schmutzigen Krieg“, der zunehmend Unschuldigen das Leben kostet, zu protestieren wagt. Journalisten geben nur noch hinter vorgehaltener Hand ihrer Abscheu vor den Maßnahmen von Militär und Regierung Ausdruck. Zeitungen und Fernsehstationen wirken wie gleichgeschaltet. Zuckerbrot und Peitsche Überhaupt scheint die APRA mit den staatlichen und parlamentarischen Institutionen nach Gutsherrenmanier umzugehen. Nach dem schlechten Vorbild der mexikanischen Staatspartei PRI werden Verwaltung und Behörden nur mit eigenen Anhängern besetzt. Bürokratie und Korruption wachsen. Die Opposition spielt keine ernstzunehmende Rolle mehr. Die Konservativen haben sich von ihrer Wahlniederlage noch nicht erholt, die marxistsche „Izquierda Unida“ (Vereinte Linke) wird mit Zuckerbrot und Peitsche in die Schranken verwiesen. Bei den Kommunalwahlen im November 1986 schreckte die APRA vor offenem Wahlbetrug nicht zurück, um Alfonso Barrantes, den populären Oberbürgermeister Limas, aus dem Amt zu hebeln. Die APRA profilierte sich mehr und mehr als allein seligmachende Staatspartei. Sie wird straff geführt und gibt sich in Selbstdarstellungen und Wahlkämpfen betont modern und europäisch. Die Sozialistische Internationale und insbesondere die SPD fördern den 37jährigen Garcia nach Kräften. „Unseren Wahlsieg verdanken wir der SPD“, meint gegenüber der taz ein enger Berater des Präsidenten. Und in der Tat, während in der Bundesrepublik die SPD das Siegen verlernt hat, schreitet sie in Peru von einem Wahlerfolg zum anderen. Der Präsidentenwahlkampf mit Garcias Generalthema „Ich bin allen Peruanern verpflichtet“ und der Wahlslogan „Juntos“ (“Gemeinsam“) der Kommunalwahlen tragen deutlich Bonner Handschrift. Hans Matthöfer, mittlerweile Boß der Gewerkschaftsholding BGAG, wurde zuvor von Garcia als „Schuldenberater“ verpflichtet - ein Job, für den der ehemalige SPD–Finanzminister reichhaltige Erfahrung mitbringt. Auch wenn das Militär einen Putschversuch der APRA in der Provinzstadt Trujillo und die Ermordung einiger Soldaten vor Jahrzehnten nicht vergessen hat, so scheint sich das Offizierskorps inzwischen mit den Apristen arrangiert zu haben. Ein Militärputsch steht in nächster Zeit nicht in den Kalendern der Generäle. Doch die Konflikte zwischen Militär und Politik schwelen weiter. So nahm das Offizierskorps eine von Garcia verfügte Absetzung des Oberbefehlshabers der Luftwaffe nicht tatenlos hin. Nach Absetzung des Generals jagten Militärflugzeuge mit Donnergetöse im Tiefflug über die Hauptstadt Lima und zeigten so, wer noch immer Herr im peruanischen Haus ist.
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