: Shopping auf Amerikanisch: per TV
■ In den USA sitzen immer mehr Hausfrauen vor der heimischen Glotze, um ihre Sonderangebote per Telefon zu bestellen / In ein paar Jahren werden vermutlich ein Viertel aller Einkäufe so getätigt / Während Yuppies die Boutiquen frequentieren, zieht sich die Mittelschicht immer mehr in die eigenen vier Wände zurück
Von Tina Glitz
„Budget Bob“ plaudert gerne mit seinen Kunden. Sie kennen ihn gut und schwärmen für ihn. Manchmal fragen sie ihn um Rat. Ob die 15jährige Tochter sich wohl über den Halsketten–Ohrring–Armband–Set freuen würde? „Das ideale Geburtstagsgeschenk“, strahlt Bob in die Kamera. „Aber meine Dame, sie sollten doch auch mal an sich selbst denken. Nehmen Sie zwei davon!“ Ob Mrs. McCall zurücklächelt, wissen weder die anderen Zuschauer noch Bob. Aber die doppelte Bestellung wird registriert, und in den Wohnzimmern wird übereinstimmend genickt: Bei diesen Preisknüllern muß man einfach zugreifen. Zögern kann man sich nicht leisten, denn kein Produkt ist länger als fünf Minuten im Angebot. Dann verschwindet es, und ein neues erscheint - auf dem Bildschirm. Shopping per Fernseher und Telefon - das ist die neue Sensation im amerikanischen TV–Programm. Rund um die Uhr sitzen Zuschauer, überwiegend Frauen, gebannt vor dem Bildschirm. Denn nie wissen sie, was als nächstes vorgeführt wird, jedes Produkt wird als einmalige Gelegenheit angepriesen. „Wir haben genau 130 Fläschchen dieses exquisiten Parfums“ - die Kamera schwenkt von Bob zum Produkt, und eine zweite Stimme gibt die genaue Beschreibung. „Nur die ersten Anrufer werden diesmal Glück haben“, fährt Bob dann fort, „first come, first serve! Rufen Sie sofort an! Egal, wie groß der Andrang, für Sie ist immer eine Leitung frei!“ Kameraschwenk zu den Telefonistinnen, die reihenweise verkabelt im Raum sitzen, es klingelt und läutet. Zum hundertsten Mal werden die Kaufregeln wiederholt: Sie können ganz einfach mit Kreditkarte bezahlen, und wenn Sie Mitglied sind, mit persönlichem Scheck.“ Budget Bob ist wieder mitten im Bild, „bestellte Ware wird Ihnen innerhalb von zehn Tagen direkt ins Haus geliefert. Und wie üblich, haben Sie dreißig Tage Umtauschrecht.“ Wanduhren im Studio zeigen die verschiedenen amerikanischen Zeitzonen an, auf Computerbildschirmen rasseln Zahlen, die Anrufer und verkaufte Menge angeben. Alles scheint in Bewegung, das inspiriert zum schnellen Handeln. „Home Shopping Service“ ist das größte bundesweit ausgestrahlte Einkaufsprogramm in den USA, es erreicht etwa acht Millionen Haushalte rund um die Uhr. In den ersten neun Monaten wurden pro Tag Produkte im Wert von mehr als einer halben Million Dollar verkauft. Mittlerweile gibt es auch regionale Kabelsender, die der Manie Vorschub leisten, und der Gesamtumsatz ist um ein Vielfaches gestiegen. Angesichts des rasanten Erfolgs der Einkaufssender spekulierten Experten, daß im Jahre 1990 ein Viertel aller Käufe per Telefon oder Heimcomputer getätigt werden. Börsenspekulanten wissen das; als die Aktien dieser Heimkauf–Unternehmen auf den Markt kamen, waren sie der heiße Tip. „Unsere Zuschauer sind informierte Käufer, sie studieren Zeitungsannoncen und Sonderangebote und wissen, daß unsere Produkte preisgünstig sind. Wir kön nen uns darauf verlassen, daß der Kaufimpuls das Zusätzliche tut, um Telefone und Kassen zum Klingeln zu bringen“, erklärt ein Firmenmanager. Beobachter sprechen von einer Sucht, die sich allmählich über das Fernsehen ausbreitet. Irgendwann im Laufe der „Home Shopping Service“–Dauersendung wird alles angeboten, was man sich erträumt und darüber hinaus Dinge, auf die man von selbst nie kommen würde! Es gibt alles: Von handbemalten Mokkatassen bis zu Rasenmähern, vom Heimcomputer bis zur Armbanduhr. Die Preise bewegen sich - bis auf einige Ausnahmen - zwischen 14.99 und 200,95 Dollar. Man braucht allerdings Ausdauer und muß immer ein Auge auf dem Bildschirm halten, um die „einmalige Gelegenheit“ (die sich dann doch oft im Laufe der Woche wiederholt) nicht zu verpassen. Verkäufer und Verkäuferinnen wechseln regelmäßig. Susie, Vince, Peggy - alle haben einen eigenen Stil, aber Budget Bob ist der unumstrittene Star. Die riesige amerikanische Flagge, vor der er im Studio sitzt, verleiht ihm eine „All America“–Aura, in der er ununterbrochen plappert und anpreist. Mit süßlich–charmantem Lächeln berichtet er Reportern von den Heiratsanträgen, die ihm von Kundinnen gemacht werden. „Ich schätze ihn sehr“, er klärt eine Frau ihre Zuneigung, „weil er mir soviele gute Sachen verkauft hat.“ Immer wieder werden Frauen von den Telefonistinnen direkt an ihren Helden weiterverbunden. Die Auserwählten empfinden das als ein besonderes Glück, ihre enthusiastischen Aussagen über Produktqualität und -preis sind natürlich ideale Werbung. In den 60er und 70er Jahren haben Shopping Center bereitwillige Käufermassen wie Magneten angezogen. Unter einem Dach wurden dort bis zu hundert Läden und Warenhäuser vereint. Unbegrenzte Möglichkeiten, d.h. Waren, sollten auf überschaubarer Fläche dargeboten werden. Damals ging es um Schutz und Sicherheit, in erster Linie die der Waren, aber natürlich auch die der Käufer. Heute haben diese riesigen Anlagen einiges von ihrem Glanz verloren. Kleine „Flohmärkte“, Springbrunnen, „Sidewalk Cafes“ sollen die vollklimatisierte, geruchsfreie, lähmend– leblose Atmosphäre auflockern. Zunehmend werden die Shopping Centers allerdings von Jugendlichen frequentiert, die in unübersichtlichen Gruppen herumlungern und das Einkaufen in glücklicher Abgeschirmtheit erschweren. Nun ersetzen Fernseher und Telefon das Shopping Center. In der Sicherheit und im Komfort des eigenen Wohnzimmers kann man ungestört der Kauflust frönen, ohne überhaupt von der Couch aufstehen zu müssen. Gerade für berufstätige Frauen scheint dieses Einkaufen eine Verlockung zu sein: Hier können sie ihren Tagesfrust noch spät abends, nachdem die Kinder schon schlafen, durch eine schnelle Kaufaktion abreagieren - ohne die Wohnung bei Dunkelheit noch einmal verlassen zu müssen. Die Popularität des von der Mittelschicht bevorzugten „Home Shopping“ ist symptomatisch für einen allgemeineren Trend. Während Yuppies das Shopping zu einem kulturellen Happening machen, indem sie teure kleine Lädchen und Boutiquen frequentieren, Cappuccino sippen und sich über kunstvoll ausgerichtete Schaufenster freuen, zieht sich der weniger begüterte weiße Durchschnittsamerikaner immer mehr in seine vier Wände zurück. Wenn negative Prognosen stimmen, wird in amerikanischen Metropolen das Stadtbild und Straßenleben bald nur noch von Yuppies einerseits und Obdachlosen und Armen andererseits bestimmt sein. Die Mittelschicht wird - dank der Heimtechnologie - von der Außenwelt abgeschirmt sein. Und Budget Bob wird nicht nur Produkte verkaufen, sondern auch Leben simulieren.
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