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„Das Leben der Armen ist kürzer als ein Wintertag“

■ Regelmäßig erscheinen in der indischen Presse Bilder von verbrannten Dörfern, zerstörten Hütten und ermordeten Bauern, Zeugnisse eines hier völlig unbekannten Klassenkampfes im nordindischen Bundesstaat Bihar / Weil die versprochene Landreform ausbleibt, greifen Bauern und Grundbesitzer zur Selbstjustiz

Von Uwe Hoering

Bengali Singh ist ein wohlhabender Grundbesitzer in dem kleinen Dorf Kansara im nordindischen Bundesstaat Bihar. Seine Position sicherte ihm bislang das alleinige Recht darauf, in dem kleinen Teich in der Nähe des Ortes zu fischen, bis vor einiger Zeit die Landlosen des Dorfes, - angeführt von der Arbeiter– und Bauernvereinigung MKSS, - für sich das gleiche Recht in Anspruch nahmen. Bengali Singh machte kurzen Prozeß. Seine Männer entführten vier Sympathisanten der Gruppe, allesamt muslimische Tabakarbeiter. Einen Tag später fand man ihre Leichen in einem Feld. Vier Morde, zu alltäglich, um in der indischen Presse Schlagzeilen zu machen. In dem knapp 20.000 Quadratkilometer großen Gebiet in Zentralbihar, mit einer Bevölkerung von rund elf Millionen Menschen, wurden seit 1980 mindestens 400 Menschen erschlagen, verbrannt, erschossen oder in Stücke gehackt. Die Region ist fruchtbar, dank eines ausgedehnten Bewässerungssystems sind die Bauern hier wohlhabender als in anderen ländlichen Regionen des Bundesstaates. Die moderne Landwirtschaft hat zur Bildung einer neuen Klasse von Mittelbauern geführt, meist Angehörige unterer Kasten wie Kurmis und Yadavs. Auf der anderen Seite zwang Verschuldung viele Kleinstbauern, ihr Land abzugeben, jeder Dritte ist hier heute landlos. An die Stelle des alten paternalistischen Systems von Grundherren und Pächtern trat eine ländliche Klassengesellschaft. Der Staat trug das seine zur Verschärfung der Gegensätze bei. Seine vollmundigen Versprechen einer Landreform brachen sich an der Allianz von Grundbesitzern, Politikern und Bürokratie. Gelder für Programme zur Armutsbekämpfung verschwanden in den Taschen korrupter Beamter, Mindestlöhne stehen nur auf dem Papier. Doch während die Verelendeten aus anderen Regionen Bihars ihrer Not durch Migration nach Calcutta zu entfliehen versuchen oder sich als Landarbeiter auf den Felder der Sikh–Bauern im Punjab verdingen, hat Widerstand in den Dörfern Zentralbihars Tradition. Bereits in den dreißiger Jahren gab es eine starke Bauernbewegung, die Region war lange Zeit eine Hochburg der kommunistischen Partei. Die MKSS ist eine von zahlrei chen Organisationen, die seit Ende der siebziger Jahre begonnen haben, im ländlichen Bihar die Landlosen und Kleinstbauern zu organisieren. „Die Grundbesitzer und die Verwaltung arbeiten Hand in Hand, um die Gesetze auf den Kopf zu stellen“, urteilt Rajaram, Sekretär der Indian Peoples Front, einer Dachorganisation von 89 ML–Gruppen. „Wir kämpfen dafür, daß sie eingehalten werden.“ Organisationen wie die MKSS organisieren Streiks für höhere Löhne und unterstützen die Kleinbauern, wenn sie brachliegendes Land besetzen. Grundbesitzersöhne, die die Vergewaltigung von Frauen der Landlosen als ihr Privileg betrachten, kommen nicht mehr ungeschoren davon. In Volksgerichten wird Recht gesprochen (und meist auch selbst vollstreckt.) Selbstjustiz der Grundbesitzer Um ihre bedrohte Vorherrschaft zu verteidigen, haben die Grundbesitzer private Armeen aufgestellt. Die am meisten gefürchtete dieser „Senas“ ist die Lorik Sena, finanziert von den Bauern aus der Kaste der Yadavs. Sie haben Erfahrungen darin, Aktivisten zu bedrohen, aufmüpfige Landarbeiter einzuschüchtern, sie verbreiten Angst und Schrecken in ihrem Einflußbereich. Im Dorf Belchi z.B. umzingelten Angehörige einer solche Sena 1977 die Häuser der Landlosen, schichteten einen Scheiterhaufen auf, erschossen die Bewohner und warfen sie ins Feuer. Nicht weit davon, in Pipra, zündeten sie 1980 gleich die Hütten an, wer fliehen wollte, wurde in die Flammen zurückgetrieben. „Das Leben der Armen und Landlosen hier ist kürzer als ein Wintertag“, klagt ein Landarbeiter aus dem weiten Arwal. Obwohl offiziell illegal erhalten sie von einflußreichen Politikern Rückendeckung. „Gewalt als Selbstverteidigung sollte nicht Gewalt genannt werden. Sie ist unser verfassungsmäßiges Recht“, tönte einer von ihnen, Karpoori Thakur, Oppositionsführer im Landesparlament. Auch die Polizei mischt kräftig mit, meist auf seiten der Grundbesitzer. In Arwal veranstaltete sie im April letzten Jahres ein Massaker, als sie eine Kundgebung der MKSS zusammenschoß. Grundbesitzer hatten sie zu Hilfe gerufen, nachdem Landlose ein Stück Brachland besetzt hatten, das sie selbst beanspruchten. Freizügig erhalten Grundbesitzer Waffenscheine, in kaum einer anderen Gegend Indiens gibt es so viele Gewehre. Vorgeschobene Rechtfertigung für die Parteinahme der Polizei ist der Kampf gegen „Naxaliten“, seit der revolutionären Bauernbewegung, die Ende der sechziger Jahre vom ostindischen Naxalbari ausging, Sammelname für das bunte Spektrum maoistischer Gruppierungen, aber auch polizeiliche Eingruppierung jeglicher linker Organisierungstätigkeit unter den ländlichen Besitzlosen. Einige der ML–Gruppen haben die Taktik der „Annihilation“ wiederbelebt, der Ermordung von „Klassenfeinden“. „Wir werden Euch die Köpfe abschneiden“, warnen sie besonders brutale Grundbesitzer, in Darmia waren es die Köpfe von elf Familienmitgliedern eines hochkastigen Großbauern, darunter fünf Frauen. Eine dieser militanten ML–Gruppen ist das Maoistische Kommunistische Zentrum (MCC), das für das jüngste Massaker im Distrikt Aurangabad, bei dem Anfang Juni 54 Menschen abgeschlachtet wurden, verantwortlich gemacht wird. Doch die meisten ML–Gruppen beschränken sich auf eine Organisierung der Landlosen und Kleinbauern. Die wichtigste von ihnen ist die „Indian Peoples Front“, die nach eigenen Angaben in 60 % der Dörfer Zentralbihars aktive Zellen aufgebaut hat. In einigen Gegenden ist es diesen Gruppen gelungen, Ansätze eigener Verwaltung aufzubauen. Sie treiben Abgaben ein und organisieren Volksgerichte. Aus Furcht um sein Leben hat bereits so mancher Grundbesitzer die Flucht ergriffen, seine Felder werden nun von den Landlosen bestellt. Der Kampf gegen die „Naxaliten“ ist die Legitimation für Polizei und ihre „Hilfsheriffs“, die Senas, in einem Aufwasch gleich jegliche Form von Widerstand und Aufmüpfigkeit zu unterdrücken. Unter klangvollen Namen wie „Operation Black Panther“ wird „Naxaliten“–Hatz veranstaltet, Dörfer und Wälder werden durchkämmt, im Verdachtsfall wird schnell geschossen. Aktivisten werden mit fabrizierten Anklagen hinter Gitter gebracht. „Der Extremismus wurzelt in den sozio–ökonomischen Verhältnissen, insbesondere im Ausbleiben der Landreform“, meint ein hoher Polizei–Offizier. Doch solche Einsicht ist selten. Normalerweise wird der Krieg nur als ein Problem von „Gesetz und Ordnung“ betrachtet, das mit noch mehr Polizei und Härte gelöst werden soll. Eine Fortsetzung der Schreckensbilder von Leichen, „ordentlich“ aufgereiht, ist vorprogrammiert.

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