Mutmachen und offen sein

■ „Kirchentag von Unten“ - das größte vom Staat geduldete Alternativ–Treffen in der DDR

„Wir sind offen für alle. Bitte reinkommen!“ Allen Beteiligten fällt ein Stein vom Herzen. Es ist Freitag gegen 18 Uhr und mit dem „Kirchentag von unten“ wird die größte alternative, geduldete Veranstaltung in der Geschichte der DDR eröffnet. So etwas hat es bisher noch nie gegeben: Eine Organisation ohne hierarchische Strukturen, ohne Chefs, ohne Verantwortliche. Alles im besten Sinne kollektiv. Der „Kirchentag von Unten“ hat keine bezahlten Funktionäre und kein Pressebüro. Das wichtigste Gremium ist die abend liche Vollversammlung. Kein Wunder also, daß die vorbereitende Initiative lange kämpfen mußte, bis die Kirchenleitung ihnen die Räume der Pfingstgemeinde im Ost–Berliner Altbaubezirk Friedrichshain zur Verfügung stellte. Erst drei Tage vor der Eröffnung konnte sich die Kirchenleitung zu diesem Schritt entschließen, und wohl auch nur, weil die Initiative gedroht hatte, anderenfalls einfach eine Kirche zu besetzen. Doch schon am Freitag erweist sich diese Lösung als unzureichend. Die alternativen Christen dürfen nur das Gemeindehaus nutzen, die Kirche selber ist von einer katholisch–apostolischen Gemeinde belegt, die sich weigert, den Saal aufzuschließen. Nachdem am Freitagabend die Gemeinderäume mit über 1.200 Besuchern aus allen Nähten platzen, beschließen die Organisatoren in der Nacht zum Samstag um vier Uhr morgens doch noch, die benachbarte Galiläakirche zu besetzen. Als dieser Beschluß der Kirchenleitung von Berlin–Brandenburg mitgeteilt wird, machen die Oberen auch hier einen Rückzieher: Eine kleine Arbeitsgruppe des offiziellen Kirchentages räumt Galiläa und überläßt sie den Alternativen. Nur zehn Minuten Fußweg von der Pfingstgemeinde entfernt hat nun das Kinderfest einen grünen Garten, und auch die verschiedenen Arbeitsgruppen zu Themen wie „Widerstand in Südafrika“, „Straf– und Arbeitsrecht in der DDR“ oder „Solidarische Kirche“ haben genügend Räume. In der Pfingstgemeinde ist ein großer Freiraum von den Zwängen des Staates geschaffen worden. Im Foyer bietet eine Anarchistengruppe Einblick in Zeitschriften wie Schwarzer Faden oder Graswurzelrevolution, die Ost– Berliner Umweltbibliothek, die unter dem Dach der Kirche Aufklärungsarbeit in Sachen Ökologie betreibt und mittlerweile fast zu einem alternativen Kommunikationszentrum geworden ist, hat einen Informationsstand aufgebaut. Die „Solidarische Kirche“, ein Zusammenschluß kritischer Kirchenmitglieder, engagiert sich gegen das „Prinzip der Abgrenzung“. Im Cafe im zweiten Stock werden offen Probleme des Lebens in der DDR diskutiert, die Westreisen oder die Ereignisse vor dem Brandenburger Tor, die in den Ostmedien nicht stattfinden. Allein die Organisation der Verpflegung sprengt Grenzen des bis dahin Möglichen. Wo kommen die 1.200 Bockwürste her? Und der Nicaragua–Kaffee „Sandino– Dröhung“ ist leichter über die Grenze gekommen als die West– Berliner Brigadisten, die über ihren Einsatz berichten. Die Veranstalter wollen „mit dem“ Kirchentag von Unten“ wieder allen Menschen Mut machen, ihre Sache selbst in die Hand zu nehmen“. Am Freitagabend um elf Uhr wird auf der Vollversammlung erste Bilanz gezogen. Am besten sei die Arbeitsgruppe „Solidarische Kirche“ gelaufen. Hier sei diskutiert und nicht nur Informationen verteilt worden. Erregt wird die Pressefrage diskutiert. Die Kirchenleitung war dagegen, daß die Presse den“ Kirchentag von Unten“ besucht. „Wir haben die Westpresse nicht eingeladen, aber wir schmeißen auch niemanden raus“, erklärte die Vorbereitungsinitiative salomonisch und dabei blieb es. Keine Probleme mit der West– Presse hat die Kirchenleitung dagegen, als sie sich am Samstagmittag unter dem Motto „Götterspeise“ selbst den alternativen Christen stellt. Doch eine richtige Diskussion mochte im Scheinwerferlicht der West–Kameras nicht aufkommen. Der Ost–Berliner Bischof Gottfried Forck beschwichtigt und erklärt im überfüllten Gemeindesaal, daß auch die Kirchenleitung die Basis vertrete. Kritik, daß sich die Amtskirche als „guter Hirte einer unmündigen Basis“ sehe, weist Forck als „radikalen Unsinn“ zurück. Massive Vorwürfe prasseln auf die Kirchenleitung ein. Irgendwann müsse sie doch mal mitkriegen, daß Gruppen entstanden seien, die sich nicht mehr in die offizielle Kirche integrieren lassen, heißt es. Andere sehen den Dialog zerstört. „Wir sind in der Vergangenheit immer wieder totverhandelt worden.“ Lediglich ein Pfarrer vom Prenzlauer Berg gibt sich im Gegensatz zur Kichenleitung verständnisvoll: „Wenn wir so ein kritisches Potential wie den „Kirchentag von Unten“ nicht mehr haben, sehe ich kein Vorwärtskommen.“ Viele Besucher aber sind enttäuscht von der Diskussion. Bei den vielen Verhandlungen mit der Kirchenleitung sei nie etwas Konstruktives herausgekommen. Eineinhalb Jahre hätten Basisgruppen über Räume für die offene Jugendarbeit verhandelt. Herausgekommen sei nichts. Auf dem „Kirchentag von Unten“ können dagegen nun die Punks unbehelligt Pogo tanzen. Getreu dem Motto eines Wandplakats: „Tief bewegt sein, ist was schönes, besser ist, sich selbst bewegen!“ Brian Schuster