: Riß in Südkoreas Regierungspartei
■ Überraschend kündigt der designierte Präsidentschaftsnachfolger Roh Dae Woo weitreichende Zugeständnisse an / Diktator Chun von dem Vorstoß angeblich nicht informiert / Direkte Präsidentschaftswahlen und Freilassung der politischen Gefangenen angestrebt
Seoul (afp/wps/dpa) - „Ich habe beschlossen, das Urteil des Volkes zu respektieren. Dies ist der einzige Weg, um soziale Unruhe zu verhindern. Mit den Olympischen Spielen vor uns tragen wir alle die Verantwortung, nationale Schande von unserem Land abzuwenden“. Mit diesen Worten kündigte der designierte südkoreanische Präsidentschaftsnachfolger Roh Dae Woo am Montag in Seoul weitreichende Reformvorschläge für das seit über zwei Dekaden von militärisch–zivilen Diktaturen dominierte politische System Südkoreas an. Um die durch die Massendemonstrationen und Protestaktionen der letzten Wochen entstandene politische Krise zu lösen, sollten unter anderem direkte Präsidentschaftswahlen abgehalten, die politischen Häftlinge entlassen, die Pressezensur abgeschafft, die Menschenrechte geachtet und die bürgerlichen Rechte von Oppositionsführer Kim Dae Jung wiederhergestellt werden. Die Entscheidung über die Umsetzung dieser Vorschläge, die die meisten Forderungen der liberalen und konservativen Opposition umfassen, liegt jetzt bei Präsident Chun Doo Hwan, der von Roh offenbar nicht vorher konsultiert wurde. Gleichzeitig erklärte Roh, falls seine Vorschläge nicht akzeptiert würden, würde er weder den Vorsitz der regierenden demokratischen Gerechtigkeitspartei weiterführen noch als Präsidentschaftskandidat für die im Februar 88 vorgesehene Ablösung Chuns zur Verfügung stehen. Offenbar um ihr Gesicht zu wahren, trat das Exekutivkommitee der Regierungspartei am Montag geschlossen zurück. Alle 28 Mitglieder des Gremiums verfaßten Schreiben an Diktator Chun Doo Hwan, in dem sie die „Vorschläge des Vorsitzenden Roh“ billigten. Beobachter werteten den Schritt als unausweichlich, da sich die Parteiführung durch ihre Unkenntnis über Rohs Überraschungscoup bis auf die Knochen blamiert hätte. Fortsetzung auf Seite 3 Von Diktator Chun persönlich lag am Montag noch keine offizielle Stellungnahme vor. Ein Sprecher erklärte lediglich, der Präsident werde die Reformpläne „bald akzeptieren“. Bei den Führern der konservativ–liberalen parlamentarischen Opposition stieß das Reformprogramm auf große Zustimmung. Sie warnten lediglich vor übertriebenem Enthusiasmus, bevor die Forderungen tatsächlich durchgesetzt seien. So erklärte die gerade erst vom Hausarrest befreite Kim Dae Jung ebenso wie Vertreter des Aktionsbündnisses „Koalition für eine Demokratische Verfassung“, die Zustimmung der Regierung zu di rekten Präsidentschaftswahlen sei völlig unerwartet und „ein grosser Sieg für das koreanische Volk“. Er habe nie damit gerechnet, daß es so schnell zu weitreichenden Zugeständnissen kommen werde. Roh habe „gute Arbeit“ geleistet. Man müsse allerdings abwarten, ob „die Regierung es ehrlich meint“ und auf die sofortige Durchsetzung der Vorschläge dringen. Auf die Frage, ob er Interesse an einer Präsidentschaftskandidatur habe, antwortete Kim Dae Jung dagegen wie schon früher mit einem klaren „Nein.“ „Ich bin nicht daran interessiert, für die Präsidentschaft zu kämpfen, ich möchte lieber gemeinsam mit der Bevölkerung für die Demokratisierung dieses Landes arbeiten“. Im November letzten Jahres hatte Kim bereits erklärt, wenn Chun direkte Präsidentschaftswahlen durchführen ließe, würde er, Kim, auf eine Kandidatur verzichten. Auch der Vorsitzende der oppositionellen demokratischen Gerechtigkeitspartei, Kim Young Sam, meinte, man müsse das Verhalten der Regierung jetzt aufmerksam beobachten. Die Frage, ob er bei einer direkten Präsidentschaftswahl kandidieren wolle, sei verfrüht. Uneingeschränkt begrüßt wurden die Vorschläge von den vier südkoreanischen Wirtschaftsverbänden. Rohs Acht–Punkte–Programm entspreche dem Willen eines Großteils der südkoreanischen Bevölkerung. Als Reaktion stieg der Index auf dem Seouler Aktienmarkt am Montag um 16,68 Punkte und damit so stark wie nie zuvor in der Geschichte der Börse. Das internationale Olympische Kommitee in Lausanne begrüßte die Ankündigungen Rohs als günstige Voraussetzungen für die programmgerechte Durchführung der Spiele. Spekulationen, denen zufolge das IOC 1981 beschlossen haben könnte, die Olympischen Spiele nach Seoul zu vergeben, um die Regierung unter Demokratisierungsdruck zu setzen, bestritt eine Sprecherin des Komitees energisch. Ausschlaggebend seien allein die technischen und sportlichen Möglichkeiten des Landes. Beobachter in Seoul sind der Ansicht, daß der Druck der US– Regierung auf Chun und seinen Wunsch–Nachfolger Roh Tae– Woo eine entscheidende Rolle für das Einlenken der Regierung spielte. Chun hatte vor rund zehn Tagen einen persönlichen Brief von US–Präsident Ronald Reagan erhalten, in dem Reagan auf eine „Demokratisierung“ des Landes drängte.
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