: Kompromiß oder Spaltung der Opposition?
■ Die Konsequenzen des Angebots an die Opposition sind in Südkorea zur Zeit noch nicht absehbar
Hat die Opposition in Südkorea gesiegt? Langjährige Beobachter der politischen Szenerie im Lande der Morgenröte raten zur Skepsis. Bislang hat das Militär jeden politischen Frühling blutig beendet, und auch zur Zeit ist noch völlig offen, ob der Vorschlag des designierten Präsidentschaftskandidaten Roh Dae Woo nicht vor allem die Spaltung der Opposition zum Ziel hat.
Ist das 8–Punkte Programm des designierten Präsidenten Roh Dae Woo der historische Kompromiß zwischen Militär und Opposition? Die Nachkriegsgeschichte Südkoreas spricht dagegen. Zwar deutet sich an, daß die Ultra–Konservativen Ex–Generäle und Obristen aus der amtierenden Gerechtigkeitspartei nun gewillt sind mit den konservativen Oppositionellen um Kim Young Sam, die Macht zu teilen, doch das ist nichts Neues in der südkoreanischen Geschichte. Es ist das dritte Mal seit 1960, daß sich in dem Land der Morgenstille nach dem Sturz eines Diktators ein demokratischer Frühling abzuzeichen beginnt. Doch jedesmal hatten sich die Militärs nur wenige Monate danach wieder noch blutiger an die Macht geputscht. Auch scheint es der oppositionellen Partei für Wiedervereinigung und Demokratie nicht sonderlich ernst zu sein mit der Lösung der sozialen Probleme, die den Konflikt schon seit Jahren am Brodeln hielten. Kim Yong Sam hat schlichtweg kein Konzept dafür. Und demokratische oder sozialistische Volksdemokratie, die von Studenten und Arbeitern gefordert wird, geht ohnehin über sein recht konserva–tives Weltbild hinaus. Bereits 1960 hatten die Koreaner den Diktator Syngman Rhee verjagt, der seit 1948 mit Billigung der USA das Land unter seiner Knute hielt. Der erste politi sche Frühling dauerte aber nur ein knappes Jahr. General Park Chun Hee riß in einem Militärputsch die Macht an sich und errichtet für 18 Jahre eine der subtilsten Diktaturen Asiens. Mit wirtschaftlichem Wachstum versammelt er Teile der Mittelschicht hinter sich. Gleichzeitig verwehrt er seinen Landsleuten die minimalsten Menschenrechte. Als Park 1979 vom eigenen Geheimdienst–Chef erschossen wird, deuten sich erneut Wahlen in der Südhälfte des geteilten Landes an. Doch der heute amtierende Präsident Chun Doo Hwan, setzt sich als Fallschirmspringer–Leutnant an die Spitze einer Gruppe von Putschisten. Es gibt 50 Tote. In der Stadt Kwangju bewaffnet sich die „städtische Volksarmee“ aus Reservisten–Beständen. Am 18. Mai 1980 schließen Panzerverbände auf Befehl Chuns die Stadt ein. Eliteverbände, die am 27. Mai mit Fallschirmen über der Stadt abspringen, richten ein Massaker mit geschätzen 2.000 Toten an. Der ausführende General war Chun Doo Hwans enger Freund Roh Dae Woo. Seine Nominierung als Präsidentschafts–Kandidat im Mai hatte erst zu den landesweiten Protesten geführt. Er hätte nach den Vorstellungen Chuns für sieben weitere Jahre als Präsident dafür sorgen sollen, daß der Diktator nicht für seine Verbrechen während seiner Amtszeit, besonders für die Toten von Kwangju, zur Rechenschaft gezogen wird. Daß er nun auf alle Forderungen der Opposition, von Pressefreiheit bis zur Direktwahl eingeht, ist sicherlich nicht seiner politischen Einsicht zuzuschreiben. Eher hat ihn die „koreanischen Peoples Power“ und amerikanischer Druck soweit gebracht, nicht den schwarzen Peter spielen zu wollen. Ohne einen erneuten Militärputsch ist es ohnehin nicht denkbar, daß Roh gegen die Macht der Straße und der Opposition auf sieben Jahre weiter regiert hätte. Freilich besteht kein Zweifel, daß es noch große Teile im Militär gibt, die dem Ex–General ihre Hilfe angeboten hätten. Bereits im letzten Oktober hatten Putschgerüchte in Seoul die Runde gemacht und auch am 28. Mai soll eine Machtübernahme der Hardliner nur am Widerstand der Amerikaner gescheitert sein. Den Generälen ist der Mann im blauen Haus, wie der Amtssitz Chun Doo Hwans amerikanisiert heißt, ohnehin stets zu liberal gewesen. Auch jetzt scheint schwer vorstellbar, wie diese Gruppe erz– konservativer Kommunisten– Fressern dem Wertkonservativen Kim Yong Sam und dem sozialliberalen Kim Dae Jung die Macht im Staate überlassen könnten. Vorsicht und nicht überschwengliche Freude auf deren Seite scheint deshalb erst einmal angebracht. Eine Parlamentswahl, die Roh Dae Woo vorschlug, würde weiterhin die Macht der Regierungspartei sichern, sofern sie prozentual die stärkste Fraktion bliebe. Das wäre schon mit etwa 30 Prozent der Wählerstimmen erreicht. Nach dem südkoreanischen Wahlgesetz bekäme die Partei dann nochmals 61 Abgeordnete im 274köpfigen Parlament zugeschlagen. „Damit kein politisches Chaos entsteht“, wie ein Vertreter der Regierungspartei noch vor sechs Wochen in einem Gespräch in Seoul erklärte. Eine Demokratisierung der südkoreanischen Gesellschaft nach Vorstellungen der bürgerlichen Opposition verlangt eine radikale Verfassungsändernung. Etwas 200 Gesetze müßten dafür umgeschrieben werden. Schon im letzten Jahr mutmaßten Beobachter, daß es dafür bis zum Jahr 1988, wenn Chun Doo Hwan zurücktreten will, die Zeit nicht reicht. In Korea werden etwa alle Provinzgouverneure und die Bürgermeister von größeren Städten direkt vom Präsidenten ernannt. Mit der Ankündigung nach größerer lokaler Autonomie kommt Roh des halb jetzt einer alten Forderung von Oppositionsführer Kim Dae Jung nach. Aber all zu leicht könnte das Programm, auch den Versuch beinhalten, die bürgerliche von der radikalen Opposition zu spalten. Schon Chun Doo Hwan hatte seinen innenpolitischen Gegnern im vergangenen Jahr eine Verfassungsänderung unter der Bedingung angeboten, daß sie sich von Studenten und Arbeitern distanzieren, die allzu sehr mit sozialistischen Modellen und einer Volksdemokratie liebäugeln. Im Gespräch mit der taz hatte Kim Young Sam noch im April angedeutet, daß diese Bewegung nur zu entschärfen sei, wenn die Diktatur fällt und Demokratie in Südkorea hergestellt wird. Doch die Arbeiter demonstrieren gegen ein System, das ihnen eine durchschnittliche 53–Stundenwoche aufdrückt, die Studenten gegen eine konfuzianische Prüfungshölle in den Hochschulen und sie wollen, daß die amerikanischen Streitkräfte das Land verlassen. Nur mit politischen Reformen ist es nicht getan, ein sozialer Umbau der Gesellschaft des Schwellenlandes muß folgen. „Wir nehmen Exporteinbußen gern hin, wenn den Arbeitern ein Mindestlohn dafür garantiert wird“, hatte Kim dazu zur taz gesagt. Doch ein konkretes politisches Programm gab es vor sechs Wochen noch nicht. „Das werden wir sehen, wenn wir die Demokratie haben“, war seine bescheidene Antwort. Koreaner im Exil meinen derweilen: „Der ist wie Kohl, nur Sprechblase.“
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