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I N T E R V I E W „Nur über Wiedergutmachung kann verhandelt werden“

■ Der afghanische Widerstandskämpfer Khazan Ghul über die Bedingungen und Auswirkungen eines Abzugs der sowjetischen Truppen und über die Sinnlosigkeit eines Waffenstillstands Khazan Ghul ist gewählter Kommandant einer Gruppe afghanischer Mudjaheddin, die im Südosten des Landes, im Grenzgebiet zu Pakistan operiert. Die Provinz Paktia zählt zu den sogenannten „heißen“ Kriegszonen. Er ist Mitte/Ende Vierzig und kommt - selbst nach afghanischen Maßstäben - aus armen Verhältnissen. Im Rahmen einer Begatenförderung erhielt er eine Schulausbildung in Kabul, in den sechziger Jahren absolvierte er ein Lehrerstudium in der Bundesrepublik. 1973 ging er zurück nach Afghanistan und arbeitete dort in verschiedenen Landesteilen als Lehrer. Nach dem Putsch der Moskau–orientierten Demokratischen Volkspartei Afghanistans 1978 wurde er verhaftet und zum Tode verurteilt. Nach der Entmachtung Präsident Tarakis durch Amin wurde er amnestiert und ging zurück in sein Stammesgebiet, wo er eine Widerstandsgruppe aufaute, die sich „Moslem–Freiheitskämpfer Afghanistans“ nennt. Die mittlerweile ca. 600 Mudjaheddin dieser Gruppe sind überwiegend Paschtunen aus dem Stamm der Tani.

taz: Khazan, die Regierung in Kabul spricht von „na tionaler Aussöhnung“, sie bot einen Waffenstillstan Khazan Ghul: Natürlich wollen die Mudjaheddin Frieden, aber wir haben nicht angefangen, der Frieden ist nicht von uns abhängig, er hängt von den Russen ab. Sie sind in unser Haus gekommen, sie haben alles kaputtgemacht, sie haben Menschen vernichtet. Sie können uns jetzt nicht in unserem Haus Waffenstillstand vorschlagen. Ich glaube, die UdSSR hat die Hoffnung verloren, daß die Afghanen mit ihnen zusammenarbeiten. Deswegen haben sie ihre ganze Kraft aufgeboten, ohne Erfolg. Vielleicht versuchen sie jetzt rauszugehen, ohne das „Gesicht“ zu verlieren. Aber für uns hat die Sowjetunion ihr Gesicht bereits verloren. Die Welt weiß nun, daß die UdSSR kein sozialistischer Staat ist, sondern genauso wie andere imperialistische Staaten handelt. Aber besteht denn nicht angesichts der realen machtpolitischen Verhältnisse die Möglichkeit, ein weiteres Blutvergießen zu verhindern, indem man sich an einen Tisch setzt und verhandelt, wie und in welchem Zeitraum die sowjetischen Truppen abziehen? Ich glaube, die Sowjetunion ist gezwungen, abzuziehen. Sie hat festgestellt, daß sie in Afghanistan nicht mehr mit Erfolg weiterkämpfen kann. Sie muß sich zurückziehen. Ein Waffenstillstand ist sinnlos, weil der Widerstand gar keine reguläre Armee hat. Es ist ein Volksaufstand. Überall wird gekämpft, es gibt keine Möglichkeit, einen Waffenstillstand von unserer Seite aus zu kontrollieren. Wenn z.B. in der Nacht in Kabul ein paar junge Leute auf Regierungstruppen schießen, könnte die Regierung sagen, der Waffenstillstand sei von den Mudjaheddin gebrochen worden. Nicht der Waffenstillstand ist ein Thema, sondern eine Wiedergutmachung nach dem Abzug. Wie soll denn die Wiedergutmachung, die du von der Sowjetunion verlangst, konkret aussehen? Das ist jetzt meine persönliche Meinung. In unseren Stammesgesetzen gibt es die Möglichkeit der Entschuldigung, wenn jemand einen anderen getötet hat und es wiedergutmachen möchte. Er schickt eine Gruppe von Dorfältesten mit Geschenken zur geschädigten Familie, die von ihm eine Summe Geld zur Wiedergutmachung verlangt. Er kann diese Forderung nicht ablehnen, die Verhandlungsdelegation versucht die Zahlung in einem für beide Seiten angemessenen Rahmen zu halten. Wenn die Entschädigung bezahlt worden ist, werden zwei Frauen in die jeweils andere Sippe verheiratet. Dann ist der Konflikt für immer beseitigt. Die können sich bei uns entschuldigen und bezahlen. Und wen soll jetzt Gorbatschow heiraten? d.sin Mal angenommen, die Sowjets ziehen im Laufe dieses Jahres ab. Die jetzige Regierung in Kabul würde sich sicherlich nicht lange halten können. Wie sähe dann die nähere Zukunft Afghanistans aus? Könnten sich die verschiedenen rivalisierenden Gruppen der Fundamentalisten überhaupt einigen? Bestünde nicht die Gefahr eines Bürgerkriegs? Die Gefahr ist immer da, denn die Russen werden uns nicht in Ruhe lassen. Sie werden sich weiter einmischen. Ich glaube, es wäre am besten, wenn jede Region in Afghanistan das Recht hätte, in ihrer eigenen Provinz oder in ihrem Landesteil eine eigene Regierung zu bilden und dann würde man eine gemeinsame Zentralregierung bilden. Das wäre eine Lösung, um einen zukünftigen Bürgerkrieg zu vermeiden. Wird es eine islamische Regierung sein? Die Afghanen sind alle Moslems. Ich glaube, es gibt keine Bewegung, die anti–islamisch ist. Wir waren Moslems, wir sind Moslems, wir werden immer Moslems bleiben. Interview: Wolf–Peter Stiftel

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