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Roll–back für die Reagan–Revolution

■ Der US–Präsident ist nach Meinung enger Mitarbeiter nicht mehr in der Lage, die Regierungsgeschäfte der Weltmacht zu leiten / Die Rechte steht jetzt vor dem Problem, einen neuen Standartenführer zu finden, der das Auseinanderfallen der Reagan–Koalition verhindert

Von Michael Fischer

Seit der Challenger–Katastrophe im Januar 1986 scheint Amerikas beliebtester Präsident vom Pech verfolgt. Nur sieben Jahre nach Beginn der Reagan–Revolution stehen die konservativen Erneuerer der USA vor einem Scherbenhaufen gewaltigen Ausmaßes. Ronald Reagans Wirtschaftspoltik versinkt in einem riesigen Schuldenmeer; die angesehenste Adressen der Wallstreet sind nach dem Bekanntwerden illegaler Börsengeschäfte in Verruf geraten; die religiöse Rechte hat einen Teil ihrer Autorität eingebüßt, nachdem sich herausstellte, daß die selbsternannten Hüter der Moral fremdgehen und Kirchengelder verprassen; die Chancen der Republikanischen Partei, den nächsten Präsidenten zu stellen und so Reagans Revolution fortzuführen, drohen im Strudel der Irangate–Affäre zu verschwinden; die Koalition der Rechten, die mit Reagan an der Spitze die amerikanische Politik nachhaltig veränderte, fällt mangels Integrationsfigur auseinander. Reagan ist depressiv und nach Aussage enger Mitarbeiter nicht mehr in der Lage, die Regierungsgeschäfte der Weltmacht zu lenken. Daß es „der Präsident akzeptiert zu haben scheint, keine Rolle mehr zu spielen“, macht den Führer der demokratischen Mehrheit im Abgeordnetenhaus, Thomas Foley, betroffen. Doch noch sind es 18 Monate, bis Reagan das Präsidentenamt an seinen Nachfolger übergeben wird - zu kurz für ein aufwendiges Impeachement–Verfahren, mit dem der Präsident vorzeitig gezwungen werden könnte abzudanken - zu lange, um die schwierige Phase einfach auszusitzen. Deshalb bemühen sich Republikaner und Demokraten im Kongreß gemeinsam und an Reagan vorbei um die Formulierung von Richtlinien für die Außen–, Wirtschafts– und Sozialpolitik. Anfänglich hatte das politische Establishment in Washington noch gehofft, die Regierungskrise beilegen zu können, indem Reagan gezwungen wurde, seinen Keller im Weißen Haus aufzuräumen und einige Köpfe rollen zu lassen. Im Vorfeld der für nächste Woche mit Spannung erwarteten Aussagen von Oberstleutnant Oli ver North vor den Irangate–Ausschüssen des Kongresses macht sich aber an der Spitze der Republikaner das Gefühl breit, daß Reagan am Ende ist. Ein Abkommen mit der Sowjetunion über den Abbau aller Mittelstreckenraketen soll zwar helfen, den angeschlagenen Präsidenten wieder aufzurichten, das Säbelrasseln im Golf dient zur Ablenkung von den Schwierigkeiten im Weißen Haus. Fieberhaft werden Auswege aus der Führungskrise ge sucht. Doch die Chancen sind nach Ansicht des ehemaligen SDS– Vorsitzenden und heutigen Professors für Soziologie an der Universität von Kalifornien, Todd Gitlin, gering. Reagan war es nach Gitlins Analyse Ende der siebziger Jahre gelungen, drei Strömungen der Rechten zu einer siegreichen Bewegung zu zusammenzubringen: die wirtschaftlich konservative Mittelklasse, die der Regierung in Washington generell kritisch gegenübersteht, die liberalen Reformprogramme der sechziger Jahre ablehnt und Steuersenkungen befürwortet; die christliche Rechte, die die Regierung für ihre Kreuzzüge gegen Abtreibung und für Schulgebete benutzt; und die auf militärische Stärke erpichten Neokonservativen als Wortführer der Rüstungsindustrie. Das einzige Bindeglied in diesem widersprüchlichen Gemisch war Reagan, der es ver stand, die Hoffnungen und Wünsche der Amerikaner, ihren Stolz und ihre Ängste auf sich als Präsident zu konzentrieren. Seinen Nimbus als Verkörperung des Guten hat Reagan jedoch eingebüßt, nachdem er sich als doppelzüngiger Waffenhändler entpuppte. Jetzt steht die Rechte vor dem Problem, einen neuen Standartenträger aufzutreiben, der imstande wäre, den Zusammenbruch der Reagan–Koalition zu verhindern. Während die Reagan–Mann schaft noch versucht zu retten, was zu retten ist, und die amerikanische Öffentlichkeit standhaft ignoriert, was fast täglich an neuen Skandalen und Hiobsmeldungen auf sie einstürzt, zeichnet sich bereits eine neue Katastrohe am Horizont ab. „Eine Sturmflut“ sieht Patrick Caddell, Berater des demokratischen Präsidentschaftsanwärters und Senators Joseph Biden, hereinbrechen. Die „Baby Boomers“, jene Generation, die mit Vietnam und Watergate politisch mündig wurde, drängen an die Macht. „Wir stehen am Anfang eines Generationswechsels“, erklärt der politische Berater der Republikanischen Partei, Ed Rollins. „Die Mehrheit der möglichen Wähler für die nächsten Präsidentschaftswahlen 1988 ist unter 45 Jahre alt. 72 Millionen wurden zwischen 1946 und 1964 geboren, davon sind 50 Millionen über 30. Diese Situation hält er für die große Chance der jungen, neuen Demokraten. Das Durchschnittsalter der bislang acht demokratischen Kandidaten für das Präsidentschaftsamt beträgt 47, das der Republikaner 59. Auch ohne Gary Hart, der bereits beim Wahlkampf 1984 überraschend erfolgreich die aufstrebende Generation vertrat und vor wenigen Wochen wegen eines Seitensprungs von seiner Kandidatur zurücktreten mußte, rechnen sich die „Neuen“ gute Chancen aus. „Der nächste Präsident“, so Kandidat Biden, „muß die Welt erneuern. Dazu ist es wichtig, Teil einer kulturellen und politischen Bewegung sein“. Die auszuloten und mit dem richtigen Image zu versehen, half Coca Cola durch die Einführung des „New Coke“ mit. Auch die populären Hilfskampagnen „Live Aid“ für die Hungernden in Afrika, „Sun City“ für den Kampf gegen Apartheid in Südafrika , „Farm Aid“ für die vom Bankrott bedrohten US–Farmer und „Hands across Amerika“ wurden dafür eingespannt. Wie die letzte Initiative für die Obdachlosen in den USA dienten die anderen Multi–Media–Spektakel nicht nur einem guten Zweck. Wahlkampfstrategen wie Caddell, der schon McGoverns, Carters und Harts Vorwahlen gemanagt hatte, nutzten die Kampagnen, um die neuen politischen Parolen zu testen. Die Botschaft, die sich herauskristallisierte, lautet: Mehr Menschlichkeit im Dienst des Nächsten. Ob die „Post–Reagan Agenda“ eine Rückkehr zu mehr staatsinterventionistischer Politik einleiten soll, ist noch unklar. Einmütig propagieren die demokratischen Kandidaten allerdings mehr und bessere Schulbildung, Unterstützung der Armen und Schaffung neuer Arbeitsplätze. In der Wirtschaftspolitik setzt sich die Einsicht durch, daß die USA von Japans kooperativem Geschäftsführungsstil lernen muß. Gleichzeitig kritisieren sie Japans aggressive Handelspolitik. Mit einem moderaten ökonomischen Populismus soll die Grundlage geschaffen werden für eine Wirtschaftspolitik, die den Umbauprozeß der amerikanischen Wirtschaft beschleunigt, die sozialen Auswirkungen aber gleichzeitig abfedert. Statt plumper Ideologie bieten die jung–dynamischen Aufsteiger technokratische Lösungen für die Probleme, die Reagan ihnen vererbt. Statt das „Reich des Bösen“ militärisch zu besiegen, um es anschließend - falls noch möglich - ökonomisch auszubeuten, schlagen Banker wie der New Yorker Felix Rohatyn vor, parallel zu Abrüstungsabkommen mit der Sowjetunion wirtschaftliche Zusammenarbeit zu vereinbaren. Durch die Erschließung neuer Märkte in Osteuropa und der Sowjetunion, so der Hintergedanke, könnte die von der USA ausgehende Wirtschaftskrise des Westens zum Teil aufgefangen werden. Soweit Reagan–Regierung einzumischen und streitet über protektionistische Handelsgesetze gegen Japan und Westeuropa. Wenn man dem bissig–rechten Kolumnist der New York Times, William Safire, glauben darf, verheißt die Krise in den politischen Führungsetagen unserer Weltmacht ein erstarken isolationistischer Tendenzen. Den jetzt anstehenden Wahlkampf macht das zum spannensten seit Jahren.

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