: Gefährliches Gift aus chemischen Reinigungen
■ Der Skandal um das Lösungsmittel Perchloräthylen in den chemischen Reinigungen in Berlin hat die Behörden aufgescheucht / Gesundheitsgefahren werden bestritten / Gefährlichkeit der Giftdämpfe ist durch Untersuchungen ausreichend bewiesen
Von T. Schwilling u. M. Kriener
Berlin (taz) - Augen zu und durch scheint die Devise von Bundesgesundheitsamt und Gesundheitssenator Fink im Skandal um die chemischen Reinigungen in Berlin zu sein. Wie berichtet, war das krebserzeugende Lösemittel Perchloräthylen in der Umgebung dieser Betriebe in der Luft und in Lebensmitteln angrenzender Geschäfte in erschreckend hohen Konzentrationen gefunden worden. In neuesten Untersuchungen wurde Perchloräthylen auch im Blut von Anwohnern in mehr als 20fach überhöhter Konzentration analysiert. Als einzige Sofortmaßnahme ist bisher lediglich der Verkauf von Speiseeis in einer chemischen Reinigung in Berlin– Wilmersdorf untersagt und die bei den Messungen ermittelten hochverseuchten Lebensmittel, wie eine Pfeffersalami und ein Käsekuchen, als „nicht verkehrsfähig“ eingestuft worden. Zu weiteren Maßnahmen ist der Gesundheitssenator nicht bereit. Gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsamt hat er sich auf die Sprachregelung verständigt, daß „keine generelle Gesundheitsgefahr“ bestehe. Der Sprecher des Bundesgesundheitsamtes Hennig gibt gleichzeitig zu, daß die gesundheitliche Bewertung der Gefahren noch offen sei: „Ich kann sie doch nicht aus dem Ärmel schütteln.“ Perchloräthylen ist erbgutschädigend und nach Meinung der Weltgesundheitsorganisation auch krebserregend. Das Bundesgesundheitsamt orientiert sich nach eigenen Angaben an der Trinkwasserverordnung, die 25 Mikrogramm pro Liter zuläßt. Zum Vergleich: Das Speiseeis in Wilmersdorf enthielt 18.750 Mikrogramm, der Käsekuchen in Neukölln nahe einer Reinigung 2.699 Mikrogramm. Die taz hatte diese unveröffentlichten Zahlen, Teile einer umfassenderen Untersuchung des Bundesgesundheitsamtes, öffentlich gemacht. Seitdem häufen sich Experten–Hearings und Beratungen. Letzten Freitag tagte der wissenschaftliche Beirat des BGA. Dort konnte sich die Linie von Professor Henschler - Vorsitzender der industriefreundlichen Kommission, die die maximalen Arbeitsplatzkonzentrationen (MAK) festlegt - durchsetzen. Henschler erklärte, daß der Sachverstand des wissenschaftlichen Beirates nicht ausreiche, um eine Bewertung von Perchloräthylen vorzunehmen. Statt dessen schlug er die üblichen Verzögerungsstrategien vor, Gespräche, Hearings und Expertenrunden abzuwarten. Henschler konnte sich auch deshalb durchsetzen, weil der Direktor des zuständigen Instituts im Bundesgesundheitsamt, Professor Hildebrand, als frischgebackener Chef des Arzneimittelinstituts neuen Aufgaben entgegensieht und in den letzten Stunden seiner Amtszeit nicht bereit war, eine eindeutige Aussage mit womöglich weitgehenden Konsequenzen zu machen. An der Gefährlichkeit von Perchloräthylen können auch Definitionsakrobaten nichts ändern. Seit zehn Jahren gibt es Studien über die Krebswirkung von Perchloräthylen bei Tieren. Im August 1986 wurde nun von dem US– Gesundheitsministerium eine neue Krebsstudie veröffentlicht. Das Ergebnis der Langzeitstudie zeigte eine vermehrte Tumorbildung bei den Perchloräthylen ausgesetzten Versuchstieren. Es traten bei den Ratten vermehrt Leukämie und bei den Mäusen vermehrt Lebertumore auf. Zusätzlich entwickelten männliche Ratten auffällig häufig einen für diese Tierart unüblichen Nierenkrebs. Die Konzentration, der die Tiere ausgesetzt waren, ist durchaus denen in chemischen Reinigungen vergleichbar. Der Zusammenhang von Perchloräthylen und Krebs wird von dem Bewertungsgremium als eindeutig (clear evidence) angesehen. Die MAK– Kommission müßte aufgrund dieser neuen Studie Perchloräthylen in die Gruppe der krebserzeugenden Stoffe aufnehmen. Alle Angaben zur Kanzerogenität beziehen sich im übrigen auf reines Perchloräthylen. Das in chemischen Reinigungen eingesetzte technische Lösemittel enthält darüber hinaus Stabilisatoren, die laut MAK–Liste schon jetzt als krebserzeugend eingestuft sind. Das müßte für das Bundesgesundheitsamt ein Grund mehr sein, seine Hinhaltetaktik aufzugeben. Kommentar auf Seite 4
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