: Chronische Vergiftung in Münchehagen
■ Der Niedersächsische Umweltminister legt Sanierungskonzept für die Giftmülldeponie Münchehagen vor / Stadt Rehburg–Loccum klagt weiterhin auf Beseitigung des illegal abgelagerten Giftmülls
Aus Hannover Jürgen Voges
Der niedersächsische Umweltminister Werner Remmers hat gestern für die Giftmülldeponie Münchehagen ein Sanierungskonzept vorgestellt, nach dem sich noch viele Generationen mit den dort gelagerten Giften befassen müssen. Nach dem Konzept des Umweltministers muß bis fernste Zukunft hin ständig auf der Deponie kontaminiertes Wasser abgepumpt, gereinigt und der bei dieser Reinung entstehende Giftmüll wiederum auf anderen Deponien gelagert werden. Wie Umweltminister Remmers gestern mitteilte, will die Landesregierung auf eine Auskofferung der in Münchehagen lagernden Dioxine verzichten, und auch eine Einkapselung der Deponie ist nur teilweise vorgesehen. Der Schwerpunkt der Sanierung, die nur etwa 44 Millionen DM kosten soll, liegt bei sogenannten „hydraulischen Maßnahmen“. Im einzelnen will die Landesregierung um den gesamten Deponiebereich (ca. acht Hektar) herum eine zehn Meter tiefe Betonmauer niederbringen und den Bereich unter der Mauer bis zu einer weiteren Tiefe von 25 Meter durch Einspritzen eines Spezialbetons in den Untergrund verfesti gen. Die Gruben, in denen in Münchehagen 400.000 Tonnen Giftmüll lagern, sind allerdings schon bis zu 25 Meter tief. „Wir rechnen uns eine Chance aus“, so sagte Remmers wörtlich, „daß der in den Boden eingespritzte Zement auch gegen organische Lösungsmittel resistent ist.“ Über den Transport durch organische Lösungsmittel war es in Münchehagen zu dem Austritt von Seveso– Dioxin mit der höchsten in der Natur gemessenen Konzentration gekommen. Da die Landesregierung bei ihrem Sanierungskonzept auf eine Abdichtung der Deponie von unten verzichtet, werden die umfangreichen hydraulischen Maßnahmen notwendig. Nach der Einkapselung der Deponie von außen und einer wasserundurchlässigen Abdeckung von oben soll der Grundwasserspiegel im gesamten Deponiekörper auf Dauer abgesenkt werden. Dadurch sollen dann keine kontaminierten Deponiewässer mehr nach unten versickern, sondern es soll nach dem Prinzip der kommunizierenden Röhren immer Grundwasser von außerhalb in den Deponiekörper hinzuströmen, das dann allerdings laufend abgepumpt werden muß, damit der niedrige Wasserstand in der Deponie erhalten bleibt. Wieviel kontaminiertes Wasser auf Dauer abgepumpt werden müsse, so sagte Remmers gestern, könne man noch nicht abschätzen. Es sei aber richtig, daß dabei auf Dauer Schadstoffe aus der Deponie ausgeschwemmt würden. Trotz umfangreicher Untersuchungen, so erklärte Remmers weiter, sei die Ursache des Dioxin–Austritts auf der Deponie bis heute noch nicht zweifelsfrei geklärt. Zwar habe man bei den umfangreichen Bohrungen, die für das Sanierungskonzept auf dem Deponiegelände durchgeführt wurden, allein in einem von der französischen Firma Rhone–Poulenc abgelagerten Behälter eine gleich hohe Konzentration an Dioxin feststellen können. Doch das sei angesichts der vielen unkontrollierten Einlagerungen in Münchehagen letztlich kein Beweis. Nach Aussage von Remmers dürfte es deswegen schwierig werden, bei der französischen Chemiefirma Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Daß das Umweltministerium jetzt auch darauf verzichten will, zumindest diese hochgradig dioxinverseuchten Abfälle wieder aus der Deponie zu entfernen, hängt offenbar mit den geringen Finanzmitteln zusammen, die im Landeshaushalt für die Sanierung von Münchehagen vorgesehen sind. Obwohl noch vor einiger Zeit weit höhere Summen genannt wurden, stehen für die Sanierung jetzt lediglich 17 Millionen jährlich im Haushalt zur Verfügung. Weitere drei Millionen für Münchehagen sollen dem Umweltministerium noch aus den geplanten Gebührenerhöhungen bei den Gewerbeaufsichtsämtern zufließen. Die Stadt Rehburg–Loccum, auf deren Gebiet die Deponie liegt, will sich mit dem jetzt vorgelegten Sanierungskonzept nicht zufrieden geben. Sie klagt weiterhin auf die Beseitigung des Giftmülls, der von vornherein illegal ohne das erforderliche Planfeststellungsverfahren eingelagert worden war. Der Berliner Rechtsanwalt Rainer Geulen, der die Stadt vor dem Verwaltungsgericht Hannover vertritt, bezeichnete gestern das Konzept des Umweltministers als „völlig unzureichend“. Durch die Rechtsprechung sei inzwischen als Stand der Technik anerkannt, daß gefährlicher Giftmüll jederzeit rückholbar und kontrollierbar in jederzeit reparierbaren Deponien gelagert werden dürfe. Das vorgelegte Sanierungskonzept erfülle keines dieser Kriterien. Umweltminister Remmers allerdings fürchtet keine Niederlage vor Gericht.
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