Raketenvertrag in Genf perfekt?

■ Angeblich Einigung zwischen USA und UdSSR zum globalen Abbau von Mittelstreckenraketen

Von Ursel Sieber

Bonn (taz) - Bei den Genfer Verhandlungen über Mittelstreckenwaffen sollen sich die UdSSR und die USA in einigen bisher strittigen Punkten auf einen Kompromiß verständigt haben. Ein US–Regierungsbeamter erklärte am Dienstag abend in Washington, die USA und die UdSSR hätten sich grundsätzlich über den weltweiten Abbau von Mittelstreckenwaffen geeinigt. Die Vereinbarung könne bei dem Außenministertreffen Shultz– Schwewardnadse noch in diesem Monat besiegelt werden. Diese Darstellung verbreiteten gestern die Nachrichtenagenturen unter Berufung auf US–Presseberichte. Demnach will die UdSSR einer „globalen Null–Lösung“ bei den Mittelstreckenwaffen zustimmen, falls die USA von ihrem Vorhaben abrücken, die Pershing–II–Raketen in eine Pershing–Rakete kürzerer Reichweite (Pershing I b) umzuwandeln. Die New York Times sprach aber noch nicht von einer prinzipiellen Einigung. Sie berichtete, die Sowjetunion habe diesen Vorschlag bisher nur informell präsentiert, und die US–Regierung warte noch auf eine formelle Vor lage am Genfer Verhandlungstisch. Nach Agentur–Berichten wollte der Stabschef im Weißen Haus, Baker, am Mittwoch diese Meldungen weder bestätigen noch dementieren. Völlig andere und eher pessimistische Töne kamen gestern allerdings aus der DDR. Der Bremer Bürgermeister Klaus Wedemeier erklärte nach einem Gespräch mit Erich Honecker, laut Honecker sähen die UdSSR und die DDR „keine Chance, die Genfer Verhandlungen fortzuführen“, wenn nicht auch die Pershing–1a–Raketen einbezogen würden. Honecker bezog sich dabei offensichtlich auf eine Information der sowjetischen Führung „vom Vortag“. Stimmen die Berichte aus den USA, wäre die UdSSR mit ihrem Vorschlag dem Westen ein Stück entgegengekommen. Fortsetzung auf Seite 2 Als militärisches „Gegengewicht“ zu China wollte die sowjetische Seite bislang 100 Sprengköpfe der SS–20–Raketen östlich des Baikal–Sees behalten, die damit weder amerikanisches noch europäisches Gebiet erreichen können. Die USA hatten dem zwar zugestimmt, verlangten dafür aber ebenfalls 100 Pershing–II– Sprengköpfe, die sie in Alaska stationieren wollten. Die Sowjetunion hat sich dagegen gesträubt, da von Alaska aus Ziele in Sibirien erreicht werden können. Als Gegenleistung für das Ja zur globalen Null–Lösung sollen die USA nun auf die Umrüstung der Pershing–II–Raketen verzichten: Der amerikanische Vertragsentwurf vom 4. März 1987 sieht neben „Abbau durch Verschrottung“ auch eine „Umwandlung“ (Conversion) von Raketen vor, wie der US–Unterhänder in Genf, Glitman, dem Europäisch–Amerikanischen Workshop der Friedrich–Ebert–Stiftung in Bonn bestätigte. Laut Glitman sollte diese Umrüstung nach den Vorstellungen der USA lediglich durch die Wegnahme einer Raketen–Brennstufe und nicht durch das Hinzufügen einer Brennstufe erfolgen. Die USA hätten sich damit die Möglichkeit verschafft, eine Pershing II–Rakete (1.800 km Reichweite) zu einer Pershing IB–Rakete (750 km bis 900 km) umzurüsten. Damit hätten die USA die Pershing–II–Raketen aus der Bundesrepublik abziehen und in den USA um eine Stufe zu verkürzen und dann die die Träger der Bundeswehr zu verkaufen, die ab 1991 ihre 72 Trägersysteme für Pershing–1a–Raketen durch die „modernisierte“ Version einer Pershing–IB–Rakete ersetzen möchte. Die sojwetische Seite hatte wiederholt zu verstehen gegeben, sie würde kein Abkommen mit dieser Form der „Conversion“ unterzeichnen. Sollten die Angaben des US– Beamten zutreffen, wäre bei den Genfer Verhandlungen ein Abkommen in Sicht, bei dem am Ende wirklich Abrüstungsschritte herauskommen könnten. Allerdings besteht noch kein Anlaß zu Euphorie. So ist nicht auszuschließen, daß es sich bei den Berichten aus Washington um einen Vorgang handelt, der in der Geschichte der Rüstungskontrolle immer wieder zu beobachten war: Sind die Verhandlungen in einem kritischen Stadium, äußert man sich optimistisch, um der jeweils anderen Seite im Falle eines Scheiterns den Schwarzen Peter zuzuspielen. Folgt man den Äußerungen von Honecker scheint sich die Einbeziehung der Pershing–1a–Raketen zum Knackpunkt zu entwickeln. Nach dem US–Vertragsentwurf soll auf Wunsch der Bundesregierung in Genf über die Pershing 1a nicht verhandelt werden, obwohl die Sprengköpfe im US–Besitz sind. Die UdSSR hat dagegen die Einbeziehung dieser Sprengköpfe immer gefordert.