: Kirche der DDR will aus der Nische
■ Auf dem Kirchentag in Ost–Berlin hat sich die Evangelische Kirche im Zwiespalt zwischen Anpassung und Ausschöpfung von Spielräumen präsentiert / Seismograph für gesellschaftliche Spannungen und Hoffnungsträger für unerfüllte Wünsche / Kirchenleitung sucht „Platz in der sozialistischen Gesellschaft“
Von Rita Hermanns
„Kirchentag war ein Höhepunkt im Jubiläumsjahr 1987“ - so hieß es am letzten Montag auf der Titelseite einer Tageszeitung eines Staates, der bis vor kurzem am liebsten nicht wahrhaben wollte, daß Kirchen in sozialistischen Ländern nicht so einfach an den Rand zu drängen sind. Die Schlagzeile der Ost–Berliner Berliner Zeitung war ein Zitat des Oberbürgermeister von Ost–Berlin, Erhard Krack, der zum Abschluß des Evangelischen Kirchentages vom 24. bis 28. Juni sogar einen Empfang im Roten Rathaus gab. Das „Opium des Volkes“ nunmehr eine Art Methadon, eine legale Droge, die immer noch besser zu kontrollieren ist als weltliche Dissidenten? Früher habe man sich getäuscht, bekannte der Direktor der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee der SED, Professor Otto Reinhold, auf dem Evangelischen Kirchentag (West) eine Woche zuvor in Frankfurt am Main, als man in der Partei dachte, die sozialistische Gesellschaft würde Kirchen bald überflüssig machen. „Neue Risikobereitschaft“ Als sich die acht evangelischen Landeskirchen östlich der Mauer nach ständigen Reibereien mit der Partei– und Staatsführung 1969 von den Kirchen in der Bundesrepublik trennten und den „Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR“ gründeten, konnte kaum jemand sich vorstellen, daß dessen Leitung eines Tages so hofiert würde wie dies jetzt während des Kirchentages der Fall war. Möglicherweise sei das nicht nur ein punktueller Vorgang, sondern eine „neue Offenheit bei den staatlichen Organen und eine größere Risikobereitschaft“, so die vorsichtige Einschätzung von Konsistorialpräsident Manfred Stolpe. Daß der Kirchentag in Ost– Berlin überhaupt stattfinden konnte, galt einigen schon als kleines Wunder. Seit 1961, wenige Wochen vor dem Bau der Mauer, die Evangelische Kirche in Deutschland zum letzten Mal gemeinsam in Berlin getagt hatte, waren von der SED stets Bedenken gegen Ost–Berlin als Veranstaltungsort angemeldet worden - einem Ort, der für Westdeutsche sogar ohne Antrag auf eine „Besuchserlaubnis“ zugänglich ist. Nun machte es die 750–Jahr–Feier der Stadt möglich. Das Dokument aus dem Jahre 1237, auf das sich der angebliche Geburtstag der Stadt stützt, ist schließlich ein kirchliches. Und die DDR–Behörden zeigten sich ungewöhnlich kulant. Ausgerechnet der von der US–Regierung geleitete West–Berliner Sender RIAS durfte per Direktübertragung eine Veranstaltung mit Carl Friedrich von Weizsäcker über ein „Konzil des Friedens“ auch den DDR–Bürgern zu Gehör bringen, die keine Chance hatten, in die rappelvolle Kirche zu gelangen. Und gratis konnten die Kirchentagsteilnehmer öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Staatliche Vertreter tauchten auf vielen Veranstaltungen offiziell und nicht, wie früher, inkognito auf. Wandzeitungen am Tagungsort des „Kirchentags von unten“, den die kirchlichen Basisgruppen organisiert hatten, durften zum Beispiel die Einführung eines „sozialen Friedensdienstes“ fordern. Was da als „Eingabe an den Staatsrat der DDR“ formuliert war, wäre zu anderen Zeiten schnell wieder abgehängt worden. Ein anderes Wandplakat informierte über den kleinen Jakob, dessen verkrüppelte Hand in Österreich operiert werden könnte, den man aber mit seinen Eltern nicht ausreisen läßt. Selbst Fotos vom 17.Juni 1953 hätten in einer Ausstellung hängenbleiben können - wenn nicht die sensationalistische Berichterstattung in einer Bonner Tageszeitung die DDR–Behörden unter Zugzwang gesetzt hätte. In der Pfingstgemeinde, wo die kirchlichen Basisgruppen tagten, konnten ungestört Hunderte von Interessierten anhand von Bibeltexten darüber diskutieren, ob „mit Jesus kein Staat zu machen“ sei oder ob Jesus „ein Anarchist war“. Schutzraum Kirche Gewiß, unter dem Schirm der Kirche war in der DDR immer schon mehr möglich als anderswo, konnte man auch in den letzten Jahren schon auf sogenannten Jugendsonntagen Parolen sehen, die außerhalb des „Schutzraums Kirche“ geahndet worden wären. Künstler mit Auftrittsverbot können wenigstens in den Kirchengemeinden auftreten. Themen wie Abrüstung, Wehrdienstverweigerung, Rechte von Schwulen und anderen Minderheiten, der Dialog mit dem Westen, Ökologie und Probleme der Dritten Welt werden in der Kirche und auch von ihr artikuliert. Etwas unsicher noch, aber hoffnungsvoll klingt aus den Äußerungen der Kirchenleitung die Einschätzung, man habe seine Räume ein Stück ausgeweitet. Wo denn nun die staatliche „Toleranzschwelle“ erreicht werde - diese Frage mochte auf dem Ost– Berliner Kirchentag niemand so recht beantworten. Man sei nun einmal angewiesen auf den Dialog mit dem Staat, meinten Vertreter der Kirchenleitung wiederholt. Immerhin habe die Kirche „ihren Platz in der sozialistischen Gesellschaft“. Ähnlich sehen das auch Besucher des „Kirchentags von unten“, wenn sie auf ihr Verhältnis zur Amtskirche angesprochen werden. Sie seien darauf angewiesen, sich einen Platz innerhalb der Kirche zu erkämpfen. „...ich will bei euch wohnen“, so hieß das Motto des Kirchentags. Mit ihm wollte die Kirchenleitung wohl darauf hinweisen, daß sie sich mit den Verhältnissen zwar nicht abfinden, aber sich doch in ihnen häuslich einrichten will. Und zwar so, daß auch noch andere „beherbergt“ werden können (die Basisgruppen und gesellschaftliche Minderheiten), ohne daß der Hausherr Staat einschreitet. Aber auch mit den aufmüpfigen Untermietern, von denen sich einige anläßlich des Kirchentags zur Initia tive „Kirchentag von unten“ zusammengetan hatten, hat die Kirche es nicht leicht. Seitdem sich Altbischof Albrecht Schönherr, damals noch im Amt, 1978 mit dem Staatsratvorsitzenden Erich Honecker getroffen und eine neue „Öffnung“ zum sozialistischen Staat propagiert hatte, waren Tendenzen zur Anpassung von der Kirchenbasis kritisch beobachtet worden. Wohlverhalten, eine zu große Kompromißbereitschaft, Konzessionen an den Staat, Filz und Privilegien (“Dauerwestvisabesitzer“) hätten die Kirchenleitung korrumpiert. Seit Jahren suchen die Basisgruppen nach freien Räumen - und zwar nicht nur im übertragenen Sinne - in denen sie ohne Gängelung ihrer Arbeit nachgehen können. Noch immer gibt es das seit langem geforderte „Haus für die offene Arbeit“ nicht. Die „Friedenswerkstatt“ die in den letzten Jahren regelmäßig stattfand und eine der wenigen Möglichkeiten für die Gruppen zu Zusammenkunft und Meinungsaustausch bot, wurde für dieses Jahr schlichtweg verboten. Daß die Kirchentagsteilnehmer - und nicht nur jene, die sich im „Kirchentag von unten“ zusammengetan hatten, dennoch viel vom „Schutzraum Kirche“ erwarten, war deutlich zu spüren. Das große Interesse an den Gesprächsforen, die immer wieder gestellten Fragen nach der Militarisierung der DDR–Gesellschaft, die Aufforderung an die Kirche, ihren Mitgliedern den Wehrdienst zu verbieten, all das deutete an, wie sehr viele DDR–Bürger auf die Kirche als Hoffnungsträger und Anwalt ihrer Interessen setzen. Die Kirche solle dafür sorgen, daß das Reisen ins westliche Ausland leichter wird; daß die Jugendarbeit einen Platz findet, an dem sie ungehindert und ohne Bevormundung sein kann. Der Partei–und Staatsapparat seinerseits erwartet von der Kirchenleitung, daß sie ihre Basis und ihre Opposition „unter Kontrolle“ hat und gleichzeitig deren Bedürfnis nach Diskussion und Kritik abdeckt, das er selbst nicht befriedigen will. Andererseits ist auch der realsozialistische Staat DDR auf seine Mieter angewiesen. Die Kirche fungiert auch als Seismograph für gesellschaftliche Bewegungen und als Druckventil. Die gesellschaftlichen Probleme, die innerhalb der Kirche zur Sprache kommen, spiegeln weitaus mehr wider als nur die Vorstellungen des Kirchenvolks. Die Ev. Kirche in der DDR, genauer gesagt ihr Ausschuß „Kirche und Gesellschaft“, forderte Anfang des Jahres „neues Denken im Atomzeitalter“ und stellte in einem Papier an die Gemeinden fest, es gebe eine „Verwandtschaft“ zwischen der Friedenspolitik der Kirchen und der von Gorbatschow. Damit „das Wort Fleisch werde“, wie es eine Pfarrerin ausdrückte, schlägt der Kirchenausschuß auch mehr Kontakte zwischen den „Partnern der Sicherheit“, atomwaffenfreie Zonen und eine Erziehung zum Frieden vor. Zivilisationskritik Bereits Anfang der siebziger Jahre waren es in der DDR kirchliche Gruppen, die die Ökologie entdeckt hatten - ein Thema, das immer mehr DDR–Bürger, die von Rauchwolken ausstoßenden Zweitakter–Kleinwagen (“Trabis“) genauso geplagt werden wie von zahlreichen Braunkohlewerken, und die besorgt sind über den Fallout von Tschernobyl, interessiert. Propst Heino Falcke, der auch jetzt in Ost–Berlin vehement eine bessere Informationspolitik über Umweltfragen forderte, hatte in den siebziger Jahren als einer der ersten DDR–Kirchenvertreter nicht nur das herrschende Naturverständnis angegriffen, sondern hatte mit seiner Kritik an Technik und Wissenschaft auch für mehr Demokratie, Partizipation und für die Abkehr von der Leistungsgesellschaft plädiert. Die Synode verabschiedete im Jahr 1985 einen Beschluß, der einen Zusammenhang zwischen Frieden, Ökologie und Problemen der Dritten Welt feststellt. Wann es unter dem Dach mit den schwierigen Mietern den nächsten Hauskrach geben wird, darüber wagt niemand eine Prognose. Es habe „von unten und von oben geknirscht“, hatte der Generalsuperintendend Krusche beim Abschlußgottesdienst festgestellt. Irritationen und Nervosität gab es auch noch am letzten Tag des Kirchentags. Einem West– Berliner Pfarrer, der in der Samaritergemeinde des unbequemen Ost–Berliner Pfarrers Rainer Eppelmann predigen sollte, wurde die Einreise verweigert. Irritiert war die Kirchenleitung offensichtlich auch über den von ihr nicht erwarteten hohen Zustrom zum oppositionellen „Kirchentag von unten“. Auf der Suche nach einem „Platz in der sozialistischen Gesellschaft“ wird die Kirche sich weiterhin zwischen dem Zwang zur Anpassung an die Verhältnisse und den Erwartungen, die eine immer selbstbewußter werdende Basis an sie hat, bewegen.
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