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Fronarbeit im Atomlabor

■ Die Umweltorganisation Robin Wood ist Arbeitsbedingungen in einem Staatslabor nachgegangen / Arbeiter sind weitgehend ungeschützt direkt radioaktiven Stoffen ausgesetzt / Hamburger GAL fordert die sofortige Stillegung

Von Niklaus Hablützel

Hamburg (taz) - Das Loch im Zaun vom Vorabend ist noch da. Der VW–Bulli parkt, wir steigen aus, es wird ernst. Ein Waldstück, Werkgeleise, dann kommt das Tor. „Ducken, da ist jemand.“ Nun ist es doch ein Indianerspiel, aber eines zu höherem Zweck. Das Ziel ist lange ausgekundschaftet, das Objekt ein Skandal. Deshalb haben wir diese Einweg– Schutzanzüge übergestreift und offiziell aussehende Namensschilder darauf geheftet. Unter dem Plastikzeug klebt das Baumwollhemd nach wenigen Augenblicken klatschnaß auf der Haut. Dieser 30. Juni ist der heißeste Tag des Jahres. Aber es klappt doch. Wir sind drin. „Keine Sorge, meine Herren.“ Diesen Ton, den sanften, muß Charly Smorra lange geübt haben, den Polizeipsychologen abgelauscht. Dabei ist Charly Robin– Wood–Aktivist. „Würden Sie bitte die Geräte abstellen, wir haben ein paar Fragen.“ Das stimmt, verdutzte Männer in schmutzigen Overalls treten von einem Fuß auf den anderen. Einige kriechen aus einer notdürftig zusammengeflickten Abzugshaube, Schutzkleidung offen bis zur Brust. Sie nehmen die Atemmaske ab, Schweiß läuft über das Gesicht. So also sieht Fronarbeit im Atomzeitalter aus. Ort dieser filmreifen Szene ist eine abgelegene Halle auf dem Gelände einer staatlichen Forschungseinrichtung. Unten fließt die Elbe, im Westen steht das Atomkraftwerk Krümmel. Hier drin legt sich Metallgeschmack auf die Zunge, vermischt mit Säuredämpfen. Bloß weg hier, aber einer der Arbeiter will jetzt reden. Die anderen stolpern hinaus, in den Sonnenschein. „Seit sieben Jahren“, erzählt er, arbeite er „bei der Schacht–Bau.“ Das ist ein Arbeiterverleih des Salzgitter–Konzerns. In Gorleben hat er geschuftet, auch in Lingen, seit zwei Wochen hier. Er zeigt auf rostige Stahlbrocken, schlecht zu erkennen, was sie einmal waren. Tageslicht gibt es nicht. Tschernobyl sei schlimmer gewesen als das, hat man ihm gesagt. Das hat ihn nicht beruhigt. Die Filter in der Atemschutzmaske zum Beispiel: Auch er möchte wissen, was mit ihnen geschieht. „Vernichtet“, denkt er. Zuständig ist die Firma Noell, Direktion in Würzburg. Auch sie gehört dem Salzgitter–Konzern und ist hier nur zur Miete. Hausherr ist das „GKSS“–Forschungszentrum. Alles gehört dem Staat: Der Salzgitter–Konzern, die Labors, die hier lauschig unter Bäumen liegen, die Forschungsgelder kommen aus Bonn. Nur Schrott ist privat, und um den geht es. 500 Tonnen liegen hier und warten auf Leiharbeiter. Sie schleifen die radioaktive Oberfläche weg, von Hand. Der Staub fliegt durch die Luft. Kleinere Teile werden in Säurebäder getaucht. Die Isotope gehen in Lösung, ihre weitere Karriere ist noch ganz unerforscht. Bekannt ist nur das lukrative Schrottgeschäft mit gereinigtem Stahl. Wir stehen am Anfang. Deswegen mußte Robin Wood kommen. Das örtliche Gewerbeaufsichtsamt ist nach eigenen Angaben bislang nicht über den Umgang mit radioaktiven Stoffen informiert worden. Das Forschungsinstitut mißt die Außen luft. Filter, Abfälle und Arbeiter sind Sache des Mieters: Noell also. Die Geschäftsbeziehungen sind gewachsen. Die Würzburger hatten vor sieben Jahren das stolzeste Produkt hiesiger Denkarbeit abgewrackt, die „Otto Hahn“, den einzigen Frachter der Bundesrepublik mit Atomantrieb. Noell will auch den Reaktor von Niederaichach verschrotten. In Geesthacht wird erforscht, wie das zu geschehen hätte. Noell hat in die Eingangsschleuse seiner Miethalle ein Meßgerät und eine Dusche gestellt. Das eine ist verstaubt, die andere unbrauchbar. In der Wanne liegen Überschuhe. Die immerhin sind Vorschrift. Der Rest ist improvisiert, wie der Wasserschlauch vor dem Tor. Ein Blechkessel steht darunter. Das ist die einzige Waschgelegenheit vor Ort. Duschen liegen mehrere hundert Meter entfernt. Keiner von der „Schacht–Bau“ geht dahin. Wenn die Noell–Truppe in ihren Arbeitsanzügen die Kantine betreten hat, gab es immer wieder Proteste. Die Parias essen nun ihre Stullen lieber im Freien vor der Halle. Wieviel radioaktiver Staub ihnen dabei zwischen die Zähne und in die Lunge kommt, läßt sich aus Robin Woods Messungen nur erahnen. Spitzenreiter ist Kobalt–60. Es entsteht durch Neutronenbeschuß und gilt als besonders gefährlich. Eine Probe enthielt 18.000 Becquerel. „Ja, es gibt einen Strahlenschutzbeauftragten“, erklären die Arbeiter draußen in der Sonne. Er ist im Urlaub, der Stellvertreter einkaufen, der Vorarbeiter auch. Wer schließlich kommt, ist ein Mann vom Werkschutz. Freundlich, Robin Wood ist immerhin Umwelt–Prominenz. Wir haben, strahlenbewußt, unsere Anzüge in der Halle gelassen. Auch die Arbeiter haben ihre Überkleider auf den Haken gehängt. Unsere weißen Hüllen gelten ab sofort als Sondermüll. Die Arbeiter werden ihre schmierigen, durch tausend Säuresplitter gelöcherten Anzüge wieder anziehen, solange sie halten. Wir dürfen durchs Werktor abziehen. Ein halbes Dutzend Proben, mal hier über den Rost gewischt, dort einen Handschuh aufgelesen, sind schon auf dem Weg in ein Hamburger Labor. Die Ergebnisse veranlassen die GAL am anderen Tag, die sofortige Stillegung der Arbeiten in der Halle zu fordern. Die Berufsgenossenschaft wird angeschrieben. Ein Rätsel bleibt ungelöst. 1985 schloß Noell den Mietvertrag mit dem Großlabor. Im Januar 1986 verschwand die Halle aus den öffentlichen Karten des Institutsgeländes. Es gibt eine offizielle Liste sogenannter „Industriekooperationen“ der „GKSS“. Sie ist lang, aber der Name „Noell“ erscheint an keiner Stelle.

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