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I N T E R V I E W Duarte sucht Verbündete für die USA

■ taz–Exklusiv–Interview mit dem Kommandanten der salvadorianischen Befreiungsbewegung FMLN, „Jonas“ Jorge Melendez, zur Europareise von El Salvadors Präsident Duarte / Europäische Beteiligung zur Entlastung der USA?

taz: Wie sieht die revolutionäre Bewegung El Salvador die gegenwärtige Reise von Präsident Duarte in die Bundesrepublik? Jonas: Duarte fährt nach Deutschland als Sonderbeauftragter der US–Regierung. Die Nordamerikaner wissen, daß ihr salvadorianischer Aufstandsbekämpfungsplan, in dem Duarte die Rolle der zivilen Fassade spielt, in eine Krise getreten ist. Er hat weder die Massenbewegung noch den Vormarsch der FMLN aufhalten können. Er hat die Wirtschaft nicht ankurbeln können, noch die schwere soziale Krise gelöst, und die schöne demokratische Fassade fängt auch an abzublättern. Um ihren Aufstandsbekämpfungsplan weiterzuführen, müssen die Nordamerikaner ihre Militär– und Wirtschaftshilfe für El Salvador drastisch erhöhen. Die über zwei Millionen Dollar, die sie jetzt schon pro Tag in den salvadorianischen Krieg stecken, reichen nicht mehr aus. Duartes Reise nach Europa dient dem Ziel, die europäischen Verbündeten zu einem stärkeren Engagement in Mittelamerika und besonders in El Salvador zu bewegen. Ohne europäische Beteiligung wird die wirtschaftliche und vor allem die politische Last dieses Krieges zu groß für die USA. In diesem Sinne muß Duarte in Europa genauso empfangen, oder besser gesagt: muß ihm die gleiche Abfuhr erteilt werden wie Ronald Reagan bei seinem letzten Besuch. Die deutsche Bundesregierung argumentiert, daß ihre Unterstützung für El Salvador rein wirtschaftlicher Natur sei und der sozialen Entwicklung diene. In El Salvador gibt es keine soziale Entwicklung noch die Möglichkeit, eine solche in Gang zu setzen, solange Regierung, Staat und Wirtschaft unter Kontrolle der Yankies und in Funktion der Aufstandsbekämpfung stehen. Solange das so ist, wird jede Art von Hilfe für die Regierung Duarte immer indirekte Militärhilfe sein. Welche Art von Engagement könnte die Bundesregierung in El Salvador übernehmen? Zur Zeit wird die Übergabe einer neuen Flotte von Jagdbombern und Kampfhubschraubern vorbereitet, um die Kapazität der Luftangriffe zu verdoppeln. Das ist eine ganz simple Arbeitsteilung: Während Duarte nach Europa fährt und als humanitäre Hilfe verkleidete Wirtschaftshilfe aushandelt, fährt Generalstabschef General Blandon nach Washington, um die Flugzeuge zu besorgen. Die USA üben Druck auf Europa aus, um es zum Teilhaber ihrer Intervention in Mittelamerika zu machen. Duarte sagt, seine Regierung habe die Menschenrechtslage verbessert und sei bemüht um eine politische Lösung des Konflikts. Große Worte, die man an der Realität messen muß. Obwohl er dauernd von Dialog und Frieden spricht, ist Duarte nichts anderes als die politische Komponente, die von den USA geschaffen wurde, um ihre militärischen Pläne durchführen zu können. Die von den USA für El Salvador angestrebte militärische Lösung sucht nicht nur die Vernichtung der Guerillaarmee - was ohnehin unmöglich ist -, sondern schließt die Ermordung von Zigtausenden von Gewerkschaftern, Bauernführern, Studenten, Lehrern, Geistlichen mit ein, d.h. die physische Ausschaltung jeder Art von Opposition. Dazu gehört auch die massive Bombardierung der als soziale Basis der Guerilla angesehenen Bauernbevölkerung. Wir reden hier nicht von der Vergangenheit, sondern von der Gegenwart, d.h. vom Massenmord, der sich als Leitfaden durch die Geschichte der zwei Duarte–Regierungen zieht. Als direkt Verantwortlicher dieses Massenmords hat sich Duarte die gleiche inter nationale Ablehnung verdient wie Chiles Pinochet oder Südafrikas Botha, die ja auch als unerwünschte Peronen behandelt werden, wo immer sie hinkommen. Ihr sprecht von der Krise des nordamerikanischen Plans der Aufstandsbekämpfung. Befindet sich nicht auch die Aufstandsbewegung in der Krise? Es wird viel davon geredet, der salvadorianische Krieg sei festgefahren und keine der beiden Seiten könne ihn gewinnen. Festgefahren ist allein die Politik und militärische Strategie der USA in El Salvador. Sie haben mehrere Tausend Millionen in einen Krieg gesteckt, den sie mit „Low Intensity“ beschreiben, und sind schlechter dran als je zuvor. Trotz all der gigantischen Investitionen in Aufstandsbekämpfung, Militärhilfe, Luftkrieg und Massenmord verfügen wir Salvadorianer heute, zum ersten Mal in unserer Geschichte, über zwei machtvolle Bewegungen, die beide im Aufschwung begriffen sind: die bewaffnete Guerillabewegung, die heute stärker, offensiver und einiger ist als je zuvor, und die Massenbewegung, die heute breiter, besser organisiert, politisch bewußter und ebenfalls geeinter ist denn je zuvor. Um diese beiden Bewegungen zu vernichten, wurde der Aufstandsbekämpfungsplan von den USA in Gang gesetzt, deshalb intervenieren sie selber in unserem Land und hat Duarte ihnen unsere nationale Souveränität verkauft. Mehr als Sechzigtausend zivile Oppositionelle haben sie ermordet - und es dennoch nicht geschafft, die Massenbewegung zu zerschlagen. Sie haben die Streitkräfte und die Zahl ihrer Flugzeuge und Hubschrauber verfünffacht - und dennoch haben sie nicht verhindern können, daß die FMLN ihren militärischen und politischen Aktionsradius von sechs Provinzen im Jahre 1982 auf alle 14 Provinzen des Landes im Jahre 1987 ausgeweitet hat. Also, wer ist festgefahren? Du sagst also, daß die FMLN durchaus Siegeschancen sieht? Nicht nur wir sehen die: Die Massen sehen sie, sonst würden sie ja nicht mit von Tag zu Tag radikaleren politischen Forderungen und Kampfformen auf die Straße gehen. Das Duarte–Regime und die nordamerikanische Strategie befinden sich in einer ausweglosen Krise. Die einzig gangbare Lösung für El Salvador ist die Bildung einer Regierung unter Beteiligung aller sozialen Gruppen, so wie die FDR–FMLN sie vorschlägt und wie sie von allen Massenorganisationen unterstützt wird. Wenn die US–Regierung, die das einzige ernstzunehmende Hindernis dazu darstellt, einer Lösung unter uns Salvadorianern keinen Raum läßt, dann werden die Massen radikalere und gewaltsamere Kampfformen suchen. Ihnen bleibt keine andere Wahl, denn zum Überleben brauchen sie Arbeit, soziale Gerechtigkeit und Demokratie. Wenn man das kombiniert mit dem Wachstum und der Offensivkraft, die unsere Guerilla und Milizeinheiten erlangt haben, dann wird dem kein nordamerikanischer Plan standhalten können, auch dann nicht, wenn er die Entsendung von US–Kampftruppen einschließen sollte. Was erwartet Ihr also von der Europareise Duartes? Einen Mißerfolg, trotz allen nordamerikanischen Drucks. Wir vertrauen in erster Linie auf die Opposition und Ablehnung, welche die europäischen Völker der Kriegspolitik Reagans entgegensetzen. In zweiter Linie gehen wir davon aus, daß die europäischen Regierungen genügend Vernunft besitzen, sich nicht in einen Plan einspannen zu lassen, der ihnen nichts als Verluste, politische Probleme und Massendemonstrationen einbringen würde. Das Interview führte Paolo Martin

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