: Politische Parolen statt Kirchenlieder
■ In Panama spitzt sich die Krise zu / Großdemonstrationen gegen den Chef der Streitkräfte, Noriega, mit Rosenkränzen, weißen Tüchern und Blechtopfgetrommel: „Noriega, du Tyrann: dein Ende naht heran!“ / Intervention der USA noch immer möglich
Aus Panama–City Ralf Leonhard
Panama erlebt Tage des Aufruhrs. Tägliche Demonstrationen auf den Straßen, von der konservativen Opposition organisiert, sollen zum Sturz von General Noriega, dem Chef der Streitkräfte des Landes, führen. Das am Freitag über BBC verbreitete Gerücht vom Rücktritt des Präsidenten Eric Arturo Delvalle wurde eilig dementiert. Es herrscht ein Klima, in dem Gerüchte gern geglaubt werden, in dem alles möglich ist. In Panama–Stadt, wo fast die Hälfte der Einwohner des Landes leben, scheint die Bevölkerung gespalten. Die einen wettern gegen den General, der nicht nur bei den Präsidentschaftswahlen 1984 gemogelt haben soll, sondern auch beschuldigt wird, in den Mord des prominenten Caudillo Omar Torrijos vor sechs Jahren und des Oppositionellen Hugo Spadafora verwickelt zu sein. Die anderen schimpfen auf die USA, die wieder einmal versuchen, eine ihnen nicht genehme Regierung zu beseitigen. „Noriega, du Tyrann: dein Ende naht heran.“ Mit diesem Slogan zogen am Samstag an die 20.000 Demonstranten durch die Stadt. Was als religiöse Prozession oppositioneller Frauen ange kündigt war, entwickelte sich in einem dreistündigen Marsch durch die besseren Viertel von Panama–City zu der wohl mächtigsten Manifestation gegen die Regierung seit Beginn der Unruhen Anfang Juni. Tausende MarschiererInnen, Autofahrer und Leute am Straßenrand schwenkten weiße Fähnchen und Taschentücher, und statt der vorgesehenen Kirchenlieder wurden politische Parolen skandiert. Zu den Klängen der Nationalhymne und dem blechernen Scheppern leerer Töpfe bewegte sich die Menge in Richtung Zentrum. Der Chef der Nationalgarde, wegen seines narbigen Gesichts „La Pina“ (die Ananas) genannt, hat in diesen Tagen wenige Freunde. Die Nationalgarde hält sich bedeckt, hatte die Anweisung, auf keinen Fall einzuschreiten und beschränkte sich darauf, Banken und Geschäftslokale zu bewachen. Die Opposition, hinter der der Großteil des Kapitals und außerdem die US–Botschaft steht, fordert den Rücktritt Noriegas und die Einsetzung einer Übergangsjunta unter Altpräsident Arnulfo Arias. „Diese Regierung soll das Land zur Demokratie zurückführen“, erläutert Ricardo Arias Calderon, der Führer der christdemokratischen Partei, die dank Schulungen der Konrad–Adenauer– Stiftung zur treibenden Kraft innerhalb des Oppositionsblocks geworden ist. Ein 48–stündiger Unternehmerstreik, der allerdings nur in Banken und Großkaufhäusern befolgt wurde, und tägliches Töpfeschlagen sollen die Abdankung des Generals beschleunigen. Ricardo Arias: „Diesmal müssen wir die Sache bis zum Ende durchziehen.“ Die Regierung ihrerseits bringt die Krise auf eine einfache Formel, die auf Postern und T–Shirts propagiert wird: „Noriega oder US–Botschafter Davis. Wir weichen keinen Schritt zurück.“ Für den Direktor der Zeitschrift Bayano, Efrain Reyes, ist die Sache klar: Die USA wollen in Panama eine Regierung installieren, die die nicaraguanischen Contras unterstützt, die Contadora–Gruppe sabotiert und die von Torrijos ausgehandelten Kanalverträge rückgängig macht. Die vor zehn Jahren unterzeichneten Verträge sehen vor, daß der Panama–Kanal im Jahr 2000 zur Gänze unter nationale Kontrolle kommt. Reyes fürchtet, daß die Opposition Zwischenfälle provozieren will, die zur ebenfalls in den Verträgen verankerten Intervention der USA führen könnten. Es wäre nicht zum ersten Mal. Seit der Lösung Panamas von Kolumbien im Jahre 1903 haben die Marines sechsmal interveniert. Noriega, ein Mann, der seit seiner Zeit als Chef des militärischen Geheimdienstes enge Kontakte zur CIA pflegt, entwickelte sich plötzlich zum dezidierten Anti– Imperialisten, als der Senat in Washington in einer arroganten Resolution seine Absetzung forderte. Noriega organisierte eine Demonstration der Staatsangestellten vor der US–Botschaft und war drauf und dran, US–Botschafter Davis zur persona non grata zu erklären. Der Malvinas–Effekt blieb nicht aus: Bei einer Abstimmung in der OAS (Organisation Amerikanischer Staaten) solidarisierten sich fast alle Länder Lateinamerikas mit der angegriffenen Regierung. Im Inneren ist die Wirkung der antiimperialistischen Rhetorik jedoch gering. Die Panamesen machen sich keine Illusionen, daß sie es mit den USA aufnehmen könnten. Ein chinesischer Taxifahrer: „Wo soll das hinführen, wenn wir die Gringos rausschmeißen wollen? Denen gehört doch hier alles.“ In der Tat kontrollieren die Vereinigten Staaten nicht nur die fast 100.000 Hektar große Kanalzone, sondern auch 80 General Torrijos geerbten Bonus durch Korruption, Mordgeschichten und, nicht zuletzt, durch die allgemeine Wirtschaftskrise verspielt.
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