: „Inseltypisches Gras drüber wachsen lassen“
■ In Helgoland hat ein kriegszerstörter U–Boot–Tank 30.000 Kubikmeter Erdreich verseucht / Zufallsfund bei Ausschachtungsarbeiten für eine Kläranlage / Wegweisende Idee vom Inselbürgermeister: zuschütten und begrünen!
Aus Helgoland Wolfgang Kiesel
Fast ein bißchen aus der Welt ist sie - man kennt sie als Objekt eines historischen Kuhhandels (Tausch gegen Sansibar), als Ziel von Butterfahrten, als geologische (Sandstein–)Rarität: die Nordseeinsel Helgoland. Zuletzt machte sie Aufsehen, als ihr wackerer Bürgermeister Franz–Josef Baumann der gefürchteten Radauband „Tote Hosen“ den Zutritt zur Insel verwehrte. Jetzt endlich ist Helgoland ganz auf der Höhe der Zeit: Ein Umweltskandal bereitet den Gemeindevätern und den zuständigen schleswig–holsteinischen Behörden Kopfzerbrechen. Ein ehemaliger U–Boot–Treibstofftank, gegen Ende des Krieges zerbombt, ließ zehn Millionen Liter Ölgemisch ins Erdreich der Insel laufen. Erst vor wenigen Monaten wurden die Trümmer des Tanks durch Zufall entdeckt und etwa 30.000 Kubikmeter extrem verunreinigtes Erdreich lokalisiert. Etwa 20 bis 30 Millionen Mark würde eine Bodensanierung kosten. Da ließ Bürgermeister Baumann doch lieber mit neutralem Erdreich abdecken, nächste Woche soll eine Humusschicht aufgetragen werden, auf daß „inseltypisches Gras“ über die Kriegsaltlast wachse - ein bisher einmaliges Projekt im deutschen Umweltschutz. Angefangen hatte im vergangenen Herbst alles mit dem Plan für eine neue Kläranlage. Ein Gelände dafür fand sich im Südhafen, neben dem Wasser– und Schiffahrtsamt und der SAR–Hubschrauber–Station. Doch schon in drei Meter Tiefe stießen die Bagger bei den Gründungsarbeiten auf eine dickflüssige Masse, ein Gemisch, das aus mehr Öl als Sand besteht. „Was pult ihr denn auch so tief rum!“, kommentierte einer der behördlichen Nachbarn damals den Fund, der nicht nur auf der Insel Helgoland für Aufsehen sorgte. Denn innerhalb des verunreinigten Erdreiches fanden sich auch noch einige britische Fliegerbomben. Ungefähr 30.000 Kubikmeter Erdreich, so schätzten Fachleute damals, wurden von dem ausgetretenen Öl verunreinigt, auf einer Fläche von einem Hektar „wabberte“ der gesamte Untergrund. Die erste Idee, das Erdreich im benachbarten Hafen auf ein Küstenmotorschiff zu verladen, um es nach Schönberg in der DDR zu transportieren, wurde bereits nach der ersten Tour eingestellt; die Tonnenabrechnungen von etwa 320 Mark allein an Deponiekosten erschienen zu hoch. Auch einige weitere Offerten von verschiedenen Unternehmungen, das Erdreich vor Ort zu reinigen, wurden wegen der hohen Gesamtkosten nicht wahrgenommen. Durchgeführt wurden in den unterschiedlichsten Labors aber etliche Untersuchungen des verunreinigten Erdreichs, die unter anderem auch hohe Schadstoffanteile ergaben. So wurden allein sieben verschiedene PAHs (polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe), die auch krebserregend sein sollen, festgestellt. „Wir haben unsere Gefährdungsabschätzung noch nicht abgeschlossen“, erklärte jetzt der Leiter des Amtes für Umweltschutz beim zuständigen Landkreis Pinneberg, nachdem die freigelegten Stellen des verunreinigten Erdreiches „in einer Nacht– und Nebelaktion“ (so eines der beteiligten Unternehmen) wieder zugeschoben wurden. „Dies geschah einzig zur Sicherung der benachbarten Behörden und Einrichtungen“, ergänzt der Pinneberger Behördenchef Cornelissen, da man nicht habe ausschließen können, daß sich „die PAHs mit den Staubpartikeln der Luft verbinden und somit über die Insel fliegen!“ Sehr viel deutlicher wird da schon der Helgoländer Bürgermeister Franz–Josef Baumann, nach dem schleswig–holsteinischen Kommunalrecht gleichzeitig der leitende Verwaltungsbeamte der Insel. „Diese Sache hat nun ihre Erledigung gefunden“, erklärte Baumann auf Nachfrage der taz, „wir haben die Gruben zugeschoben und mit neutralem Boden abgedeckt.“ Die geplante Humusschicht mit anschließender Begrünung wird das Problem dann ungefähr so lösen, als würde man auf einen Wundbrand ein großzügig zugeschnittenes Pflaster kleben. Als Grund für die überraschendeEntscheidung, das Gelände nicht zu sanieren, erklärte der Verwaltungschef, daß die festgestellte Verunreinigung mit den PAHs „unter den allgemein diskutierten Sanierungsrichtwerten von 200 mg pro Kilogramm Erdreich liegen“. Ein derartiger Sanierungsrichtwert wurde inzwischen allerdings von den Umweltbehörden anderer Bundesländer als „nicht existent“ dargestellt. Um den Forderungen des Wasserhaushaltsgesetzes zu folgen, sollen in den kommenden Wochen allerdings noch einige Trockenbohrungen im Südhafenbereich der Insel Helgoland eingebracht werden. „Bis auf die Buntsandsteinschicht soll dann gebohrt werden“, um festzustellen, ob es dort Verbindungen zur Nordsee oder aber zum Trinkwassergewinnungsbereich des Nordseeheilbades gibt. Recht froh über diese Entwicklung zeigt sich auch der Grundstückseigentümer, die Oberfinanzdirektion in Kiel, als zuständige Bundesbehörde für den öffentlichen Grund und Boden auf dem Eiland zuständig. „Wenn die Gruben geschlossen sind, kann weitere Gefährdung nicht von ihnen ausgehen“, erklärte dazu der OFD–Präsident Moldenke auf Nachfrage. Falls aber eine Sanierung unverzichtbar gewesen wäre, hätte es - so der Bundesbeamte - ohnehin zu einer „großen Lösung“ kommen müssen, da die OFD–Kiel mit eigenen Mitteln nicht in der Lage sei, diese Kriegsfolge zu beseitigen. Eines sei auf jedenfall ganz positiv an dem Zuschieben, so erklären die Nachbarn der Schadensstelle: „Endlich ist der Phenolgestank verschwunden, der immer über der Insel schwebte, so lange die Fundstellen im Südhafen offen lagen.“ Rechtzeitig genug, um nicht noch von den ersten Gästen empfunden zu werden, die nun Tag für Tag auf das zollfreie Eiland strömen, auch um das gesunde Nordseeklima zu genießen.
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