: AIDS–infiziert - Im Computer registriert
■ Mit dem Vermerk „Ansteckungsgefahr“ speichert die Polizei AIDS–Infizierte in ihren Computern
Ohne rechtliche Grundlage speichern seit Frühjahr letzten Jahres Polizeibehörden AIDS–Infizierte im Computer. Bei ihnen werden das Kürzel ANST für Ansteckungsgefahr und die Warnung „Vorsicht Blutkontakt“ den Personen–Daten hinzugefügt. Gespeichert wird nicht nur im INPOL–Computer des BKA, sondern auch in fast allen Länderdateien der Polizei, die Polizeiführung reklamiert „Eigenschutz“ als Grund. Die Maßnahme erfolgte aufgrund eines Beschlusses des Arbeitskreises II bei der Innenministerko besteht In den USA will niemand etwas von einer Erfassung von AIDS–Infizierten wissen.
Ein deutsch–niederländischer Grenzkontrollpunkt im Januar 1987: Am Steuer seines Volkswagens rollt Peter Harkort an das bundesdeutsche Abfertigungshäuschen. Der Beamte läßt sich seinen Paß reichen und verschwindet in der Dienststelle. Minuten später stürzt er mit einem Kollegen wieder heraus. Beide tragen Gummihandschuhe und umklammern ihre Dienstpistolen: „Du bist festgenommen. Wenn Du fliehst oder beißt, erschießen wir Dich!“ Peter Harkort ist langjähriger Heroinfixer. Er weiß seit kurzem, daß ein Gefängnisarzt bei ihm den AIDS–Virus festgestellt hat. Er weiß zu diesem Zeitpunkt nicht, daß er wegen eines Betäubungsmittelverfahrens auf der Fahndungsliste des Bundeskriminalamtes (BKA) steht. Er weiß auch nicht, daß die Fahndungsdatei des BKA den Grenzbeamten folgende ärztliche Diagnose angezeigt hat: VORSICHT ANSTECKUNGSGEFAHR! Peter Harkort ist einer von über 50 Menschen, die im BKA–INPOL–System als HIV–Überträger verzeichnet sind. Insgesamt sind es weit über 100 Infizierte in der Bundesrepublik, die in den polizeilichen Auskunftssystemen des Bundes und der Länder mit dem Computer–Kürzel ANST für „ansteckend“ und dem Zusatzvermerk AIDS oder BLUTKONTAKTE VERMEIDEN gezeichnet sind. Etwas über ein Jahr blieb die Polizei–Datei geheim, bis gestern abend das NDR–Fernsehmagazin Panorama die Regiestrierung aufdeckte. Die AIDS–Datenspeicher sind eine Schöfpung des BKA. Unter Vorsitz von BKA–Präsident Dr. Heinrich Boge (58) war im Dezember 1985 die AG Kripo der Innenministerkonferenz (IMK) zusammengetreten. Die Arbeitsgruppe ist eine hochkarätig besetzte Runde des IMK–Arbeitskreises II „Öffentliche Sicherheit und Ordnung“, in der sich mehrmals im Jahr die Polizeiführer aus Bund und Ländern versammeln. Der Ausschuß fällte eine folgenschwere Entscheidung für mehrere Millionen Menschen, die wegen strafbarer Handlungen oder abweichenden Verhaltens in den bundesdeutschen Polizeidateien erfaßt sind. Die Polizeiführer verfügten für diejenigen, bei denen der Polizei eine HIV–Infektion bekannt wird, daß der „personengebundene Hinweis Ansteckungsgefahr (ANST) zu verwenden“ und in einem zusätzlichen Datenfeld „auf die Gefährdung durch AIDS hinzuweisen“ sei. Die Regelung steht außerhalb geltenden Rechts. Denn mit dem Kürzel ANST dürfen nur die meldepflichtigen Infektionsträger von Cholera–, Fleckfieber–, Typhus– und TBC–Erregern erfaßt werden. Die Infektionskrankheit AIDS findet in den entsprechenden Paragraphen des Bundesseuchengesetzes keine Erwähnung. Kein Problem für BKA–Präsident Boge. Mit einem Rundschreiben an die Länderinnenministerien wischte er im Februar 1986 sämtliche rechtlichen Bedenken flott vom Tisch: „Die Nichtaufnahme von AIDS in das Bundes seuchengesetz kann nicht mit einer Aufnahme von AIDS als personengebundener Hinweis in INPOL in Zusammenhang gebracht werden, da hierfür unterschiedliche Gründe maßgeblich sind.“ Die Länderpolizeien folgten der Direktive aus Wiesbaden, seit Frühjahr 1986 sind die AIDS–Datenspeicher eröffnet: Im November 1986 waren in Baden–Württemberg bereits 34 HIV–Positive erfaßt; Niedersachsen vermeldet im Juni 1987 ebenfalls 34 Infizierte; in Nordrhein–Westfalen ist mindestens ein Dutzend Fälle bekannt, und das BKA selbst verfügt über eine Liste von 53 Namen. Bayern, Rheinland–Pfalz, Berlin und Schleswig–Holstein speichern ebenfalls, die Hansestädte Hamburg und Bremen nur dann, wenn Gefängnisausbrecher oder andere zur Fahndung Ausgeschriebene als „gewalttätig“ angesehen werden. Nur Hessen hat im Dezember 1986 die Speicherung gestoppt und die vorhandenen zehn Datensätze gelöscht. Und das Saarland will abwarten, bis die IMK einen endgültigen Beschluß fällt. Innenminister sind informiert Denn die halbjährlich stattfindende Innenministerkonferenz schiebt die „Klärung der mit AIDS zusammenhängenden Fragen un ter polizeilichen Gesichtspunkten“ seit mehreren Sitzungen vor sich her. Bis jetzt hat die IMK lediglich den Beschluß der AG Kripo vom November 1985 zur Kenntnis genommen und sich darauf verständigt, daß eine weitere Arbeitsgruppe Kriterein zur Speicherung aufstellen soll. Die Arbeitsgrupppe holte zum Rundschlag aus: Bei allen Fahndungen sollen die AIDS–Hinweise sowohl im aktuellen Fahndungssystem als auch im langjährig gespeicherten Kriminalaktennachweis erfaßt werden. Kenntnis über HIV–Infektionen versprechen sich die Seuchenpolizisten von Hinweisen der Betroffenen und ihrer Angehörigen, von ärztlicher Seite und von Behörden, besonders den Justizbehörden. Tatsächlich beruhen die meisten AIDS– Hinweise in den Polizeicomputern auf Meldungen der Strafvollzugsbehörden, die die Gefangenen mit mehr oder weniger Druck zu einem Test zwingen und sich so einen fast lückenlosen Überblick über die Verbreitung des AIDS– Virus bei den Knackis verschaffen. Die baden–württembergische Datenschutzbeauftragt Ruth Leuze beruft sich außerdem auf „Anhaltspunkte“ dafür, daß die Vermerke im polizeilichen Auskunftssystem ihres Landes auch von den Gesundheitsämtern kommen. Viele ihrer Datenschutz Kolle gen sind allerdings noch nicht im Bilde. Zwar soll die IMK–Arbeitsgruppe laut einem Beschluß vom Herbst 86 auch die Datenschutzbeauftragten hinzuziehen, aber erst einmal schlugen die Polizeiexperten ihre Pflöcke fest, bevor sie dann vor drei Wochen zu einem gemeinsamen Treffen im kommenden Monat einluden. Auch die Gesundheitsministerin und der zuständige AIDS–Arbeitsstab im Bonner Ministerium wissen nichts von den Sammlungen der Polizeibehörden. In einer Stellungnahme gegenüber der taz meinte ein enger Mitarbeiter von Rita Süssmuth: „Sollte die Polizei diesen Alleingang gemacht haben, dann wäre das ein schwerer Schlag gegen das auf Aufklärung und Vertrauen setzende AIDS– Programm der Bundesregierung.“ Die AIDS–Fahnder fühlen sich mißverstanden: Die Speicherung geschehe nur „zum Schutz“ von Polizei– und Feuerwehrbeamten im Einsatz. Denn bei Unfällen, Festnahmen von Spritzgiftabhängigen und Widerstandshandlungen HIV–Infizierter bestehe ein erhöhtes Risiko für diese Berufsgruppe, erklärte ein Sprecher der IMK. Mediziner halten das für gebündelten Unsinn. Und auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert mehr Gelassenheit und Informationen für die Kollegen. Denn die meisten Aufklärungsprogramme der polizeiärztlichen Dienste seien „unter aller Sau“, sagte ein Gewerkschaftssprecher der taz. In der GdP–Zeitung Deutsche Polizei widersprach unlängst der Ministerialdirigent im Bundesgesundheitsministerium, Professor Manfred Steinbach, den konstruierten Berufsgefahren: Bei der Versorgung von Unfallopfern oder durch Stiche mit gebrauchten Nadeln festgenommener Fixer sei mit einer Ansteckung „praktisch nicht zu rechnen“. Auch Widerstandshandlungen bildeten keine Gefahr. Allerdings müsse man sich „davor hüten, sich beißen zu lassen. Aber ich glaube, das tut man eh“, meinte Steinbach. GdP–Vorsitzender Hermann kommentierte daraufhin im Gewerkschaftsblatt: „Bei AIDS lauert noch eine andere Infektionsgefahr: Die Gefahr, sich mit dem Virus der Hysterie zu infizieren. Bricht diese Krankheit erst einmal aus, sind der Bespitzelung (auch der gegenseitigen), Ausgrenzung, Diffamierung und Verfolgung keine Grenzen mehr gesetzt.“ Auch dieser Krankheit müssen wir alle solidarisch begegnen. Ihre besondere Eigenart ist, daß jeder, der einem Kranken das Kainszeichen auf die Stirn malen will, es morgen selber tragen kann. Hans–Günter Meyer–Thompson und Torsten Schmidt Name von der Redaktion geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen