Geldautomaten - Dukatenesel für „faule“ Bankkunden

■ Mit der Leichtkriminalität auf Du und Du: Ohne nennenswertes Risiko können Bankkunden nach einer Verlustanzeige ihre EC–Karten Akonto ihres Instituts sechs Tage lang weiternutzen

Von Karl Nolte

Geldsorgen plagten Dietmar S. aus Köln seit langem. Doch im Februar dieses Jahres gedieh die ohnehin prekäre Situation so weit, daß Dietmar S. sich dringend zum Handeln genötigt sah: Der Dispositionskredit bei seiner Bank war bis zum Anschlag ausgereizt, von Freunden und Verwandten nichts mehr zu erwarten, eine selbständige Besserung der Finanzlage nicht in Sicht. Also handelte der junge Mann, und zwar überaus erfolgreich: Binnen fünf Tagen wurde S. um 2.000 Mark reicher, der Haftungsfonds seiner Bank um dieselbe Summe ärmer. Im Verhältnis zum Ertrag war der vorangegangene Aufwand denkbar gering. S. hatte an einem Freitag nachmittag kurz vor Schalterschluß die Geschäftsräume seiner Bank betreten und dort zu Protokoll gegeben, daß er soeben den Verlust seiner Brieftasche bemerkt habe. Darin habe sich neben seiner Eurocheque– Karte auch die Notiz seiner persönlichen Geheimzahl befunden, eine für vergeßliche Menschen durchaus zulässige Vorsichtsmaßnahme. Der Vorgang wurde von einem Bankangestellten zu Protokoll genommen, und gegen sämtliche Abbuchungen, die ab jetzt mit seiner EC–Karte widerrechtlich vorgenommen werden sollten, war der windige Kunde ab sofort versichert. Als nächstes ging S. zur Polizei, um den Verlust ordnungsgemäß zur Anzeige zu bringen. Von dort aus machte er sich zielstrebig auf den Weg zum nächsten Geldautomaten, wobei er allerdings Apparate der Hausbank mied. Insgesamt fünf Tage lang war S. auf diese Weise erfolgreich tätig, am sechsten Tag, dem auf den goldenen Freitag folgenden Mittwoch, behielt der Automat die Karte ein. Da mit Eurocheque– Karten tägliche Abhebungen von bis zu 400 Mark bei institutsfremden Ausgabegeräten zulässig sind, hatte S. jetzt immerhin 2.000 Mark in der Tasche. Alles weitere gestaltete sich recht unkompliziert: Nach der erfolgten Mitteilung seiner Bank, daß seine Karte nach eingegangener Verlustanzeige mißbräuchlich verwendet worden sei, machte sich S. nochmals auf den Weg zur Polizei. Dort erstattete er Anzeige gegen Unbekannt wegen Diebstahls sowie Scheckkarten– Mißbrauchs nach Paragraph 263 a, der am 1.Januar 1987 in das Strafgesetzbuch übernommen worden ist und Betrügereien an Geldautomaten unter Strafe stellt. Knapp vier Wochen lang war das Konto H.s um jene 2.000 Mark zusätzlich belastet, dann hatte der Haftungsfonds seines Geldinstituts den Fall reguliert und die Schadenssumme überwiesen, selbstredend zuzüglich mittlerweile aufgelaufener Überziehungszinsen. Betrügereien nach dem Vorbild des Dietmar S. sind trotz des geringen Risikos, der Tat überführt zu werden, ausgesprochen selten. So mußte etwa Hamburgs größtes Kreditinstitut, die Hamburger Sparkasse, nach Auskunft ihres Pressesprechers Ulrich Sommerfeld 1985 lediglich 46 Verlustposten mit EC–Karten verbuchen. 1986 stieg die Zahl auf 74, bis inklusive Mai dieses Jahres wurden nurmehr 24 Fälle von EC–Kartenmißbrauch aktenkundig. Angesichts von 200.000 Kunden, die den EC–Karten–Service der „Haspa“ nutzen, eine vergleichsweise lächerliche Zahl; wobei davon ausgegangen werden kann, daß in den meisten Fällen tatsächlich nicht der Kunde selbst, sondern Kartendiebe am Werk waren. Für das gesamte Bundesgebiet hat das Bundeskriminalamt in Wiesbaden für 1985 lediglich sieben Fälle von Computerbetrug (worunter nicht nur Geldautomaten–Tricks laufen) registriert, eine erstaunliche Diskrepanz zu den vom Haspa–Sprecher Sommerfeld genannten Zahlen. Im vergangenen Jahr stieg diese Zahl dann sprunghaft auf 176 an, was, so eine BKA–Broschüre, „allein auf die häufige mißbräuchliche Benutzung von Geldautomatenkarten zurückzuführen“ sei. Angesichts dieser Diskrepanzen drängt sich beinahe der Eindruck auf, als würde hier von verschiedenen Seiten aus verschiedenen Gründen mit falschen Ziffern operiert. Inzwischen, so Marcel Hoffmann, zuständiger Referent für Eurocheque–Fragen beim Bundesverband deutscher Banken (BdB) in Köln, seien die Fälle von EC–Kartenmißbrauch wieder rückläufig. Dies sei auf „entsprechende Aktivitäten unserer Organisation zurückzuführen“. Welcher Art diese Aktivitäten sind, möchte der Banker verständlicherweise nicht sagen. Da den Geldinstituten in diesem Bereich jedoch nicht allzu viele Möglichkeiten gegeben sind, liegt die Vermutung nahe, daß Hoffmann blufft, ebenso wie sein Kollege Horst Hellemann, Pressesprecher des deutschen Sparkassen– und Giroverbandes, der die fotografische Überwachung von EC–Automaten andeutet. Eine Methode, die Rainer Wün sche von der Vereins– und Westbank kategorisch ausschließt: „Fotografien bei Abbuchungen an Geldautomaten mutet keine Bank ihren Kunden zu.“ Daß Abbuchungen mit bereits gesperrten EC–Karten überhaupt noch möglich sind, sofern man institutsfremde Automaten benutzt, wird von Horst Hellemann und seinen Kollegen als technisches Problem dargestellt: Ohne „On Line“–Verbundsystem der Geldautomaten -in niedersächsischen Sparkassen verwirklicht -, könne es im Einzelfall bis zu fünf Tage dauern, bis die Karte vom Ausgabegerät eingezogen werde. Horst Hellemann hofft, daß das On–line–System bis zum Ende des Jahres vollzogen ist, andere sind da weniger optimistisch. Der Sprecher der Vereins– und Westbank räumt ein, daß die umfassende Verdrahtung der Automaten natürlich auch eine Kostenfrage sei. Angesichts einer lächerlichen Schadenssumme, die in Relation zum Gesamtumsatz an den Automaten „weit weniger als 0,2 Promille“ (Hellemann) beträgt, ist das auch naheliegender: Die Banken werden diesen Aufwand vermutlich solange scheuen, bis der anfallende Schaden die Kosten für die Sicherung der Automaten übersteigt. Im übrigen weisen die Banken ihre Kunden auf eine vor kurzem eingerichtete zentrale Rufnummer des Kreditgewerbes hin, unter welcher der Verlust einer EC–Karte auch nachts und am Wochenende gemeldet werden kann. Nach Angaben Hoffmanns kann damit eine Sperrung der Karte schneller als bisher vollzogen werden - vorausgesetzt, daß sämtliche Geldautomaten–betreibende Banken diese Information umgehend verwerten. Und das, wissen Insider, ist noch lange nicht der Fall. Um einen massenhaften Mißbrauch der EC–Karten durch die eigenen Kunden zu verhindern, übernehmen beispielsweise Deutsche Bank und Commerzbank im Fall eines Mißbrauchs entsprechend verankerter Klauseln nur 90 Prozent der Schadenssumme. Sparkassen und Vereins– und Westbank formulieren hingegen fein: Das ausgebende Kreditinstitut „übernimmt bis zu 100 Prozent“ des anfallenden Schadens. In den „Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Kreditgewerbes“ heißt es allerdings: „Soweit Schäden durch die Benutzung von EC–Geldautomaten nach Benachrichtigung des ausgebenden Kreditinstituts eingetreten sind, haftet der Kontoinhaber für eine mißbräuchliche Verwendung der Eurocheque–Karte... nur bis zu einem Betrag von DM 800.–.“