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I N T E R V I E W Linke und Moral

Kurz vor seinem Tod sprach Jean– Paul Sartre mit Benny Levy, seinem Freund und Mitarbeiter, über die Linke, die Hoffnung und Moral. Wir bringen Auszüge aus dem Gespräch, erschienen 1980 im Freibeuter Nr. 4 und 5 im Wagenbach Verlag. Benny Levy: Am Ende von „Das Sein und das Nichts“ glaubst du eine moralische Perspektive zu eröffnen, es kommt aber kein Buch über die Moral, sondern eben diese Auseinandersetzung mit dem Marxismus. Es ist anzunehmen, daß diese beiden Dinge unmittelbar miteinander verbunden sind. Jean–Paul Sartre: Unmittelbar. Du hast geglaubt, mit dem Sinn der Geschichte, wie Hegel und der Marxismus ihn definierten, vielleicht die Sackgasse umgehen zu können, in der „Das Sein und das Nichts“ mündete. Ja, aber nur im großen und ganzen. Dann habe ich aber auch gedacht, man müsse ganz woanders hingehen. Und das tue ich gegenwärtig. Ich möchte sagen, daß diese Suche nach den wahren gesellschaftlichen Zielen der Moral einhergeht mit der Idee, der Linken, so wie sie heute ist, wieder ein Prinzip zu finden. Dieser Linken, die alles hat sausen lassen, die im Augenblick am Boden zerstört ist und eine erbärmliche Rechte triumphieren läßt. Erbärmlich und dreckig. Wenn ich Rechte sage, heißt das für mich immer Dreckschweine. Also, entweder geht diese Linke kaputt, aber dann geht mit ihr auch der Mensch kaputt, oder aber man findet ihr wieder Prinzipien. Ich möchte, daß unsere Erörterung hier sowohl zur Skizzierung einer Moral als auch zur Entdeckung des wahren Prinzips der Linken führt. Kommen wir doch, wenn es dir recht ist, noch einmal auf deine Auseinandersetzungen mit den Revolutionären zurück. Du behauptetest, ihre Ziele zu teilen. Aber im Grunde bliebst du mißtrauisch: daß sie diese Ziele bloß nicht erreichen! Das hast du mehr oder weniger in diesen Worten gesagt. Du selbst warst nur Weggenosse. Hat das nicht ein zweigleisiges Denksystem begünstigt? Das stimmt nicht ganz. Das ist kein zweigleisiges Denken; ich finde nur, daß jede Partei notwendigerweise dumm ist. Weil die Ideen von oben kommen und das beeinträchtigen, was unten gedacht wird. Das ist die beste Art, eine dumme Idee zu entwickeln. Denn natürlich muß das Denken unten entstehen. Man darf es nicht von oben vorausnehmen. Deswegen widerstrebt mir der Gedanke einer Partei an sich schon seit ich zwanzig bin. Man muß einsehen, daß eine Partei keine Wahrheit hat und auch gar nicht daran denkt, eine haben zu wollen: Sie hat Absichten und geht einen bestimmten Weg: Weggenosse, das ist für mich genau genommen der Typ, der versucht, die Wahrheit außerhalb der Partei zu denken und dabei hofft, daß die Partei sie verwenden wird. Jean–Paul Satre kommt 1954 in die Sowjetunion, macht eine kleine offizielle Rundreise und erklärt bei seiner Rückkehr in einer großen Abendzeitung, die UdSSR sei das Land, in dem die größte Freiheit herrscht. Es stimmt, daß ich viel von ihr hielt, zwar weniger als du zu glauben scheinst; aber ich verbot mir, schlecht über sie zu denken. Sag mal, der Weggenosse hat recht seltsame intellektuelle Gewohnheiten. Ich sage nicht, ein Weggenosse wäre vollkommen. Das ist nicht einfach. Zur Zeit will ich den Weggenossen eigentlich gar nicht verteidigen, denn die Crux ist, daß seine Ideen für die Partei bestimmt sind und nie von ihr angenommen werden.

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