„Als Mann in der Geschlechtsehre verletzt“

■ Musterprozeß zur Quotierung: Grünen–Bewerber klagt, weil Stelle nur für Frauen war / ÖTV gibt Rechtsschutz / Grüne Frauenfördermaßnahmen verfassungsrechtlich umstritten / Ernst Benda: Quotierung im Prinzip verfassungsrechtlich machbar

Aus Bonn Ursel Sieber

Die Verhandlung im ersten Stock des Bonner Arbeitsgerichts dauerte gestern nur ein paar Minuten, dann ist der „Gütetermin“ geplatzt: Dem ersten Mann, der wegen „geschlechtsspezifischer Diskriminierung“ vor Gericht gezogen ist und bei der grünen Bundestagsfraktion ein Schm Jahren das Bundesarbeitsgericht und vielleicht auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigen könnte. Der Rechtsassessor Gerhard R. aus Regensburg jedenfalls ist fest entschlossen, die, wie er sagt, „Rechtmäßigkeit sogenannter Quotierungsbeschlüsse“ von den Gerichten klären zu lassen. Gerhard R. ist arbeitslos. Er hat Jura studiert und seine Referendarzeit hinter sich. Den Grünen steht er „wohlwollend“ gegenüber. Am 13. März dieses Jahres hat er sich auf Stellenanzeigen in der „taz“ und der „Zeit“ bei der grünen Fraktion beworben, obgleich beide Stellen nur für „Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen“ im Justitiariat der Fraktion ausgeschrieben waren. Ein Schwerpunkt sollte „Umweltrecht“ sein, und das ist auch der Schwerpunkt von Gerhard R.. Zunächst konnte der Rechtsassessor Hoffnung schöpfen, da sich Fraktionsgeschäftsführer Michael Vesper mit einem Standardbrief für die Be werbung bedankte. Aber zehn Tage später erreichte ihn die ernüchternde Antwort des grünen Justitiars: Uwe Günther erläuterte, besagte Stellenanzeigen hätten sich „lediglich auf Juristinnen“ bezogen; seine Bewerbung könne daher „keine Berücksichtigung finden“. Uwe Günther verwies Gerhard R. auf die Rechts– und Innenpolitik, wo gerade zwei Plätze für Juristen und Juristinnen ausgeschrieben worden seien. (Die meisten Stellen für die persönliche Zuarbeit der Abgeordneten haben die Grünen geschlechtsneutral ausgeschrieben.) Doch die Rechts– und Innenpolitik entspreche weder seiner „Fähigkeit“, noch seiner „Neigung“, schrieb Gerhard R. zurück. Er verbat sich zudem „den kumpelhaften Duz–Ton“, unterzeichnete mit „Hochachtungsvoll“ und drohte mit Klage: „Ihre Nichtannahme meiner Bewerbung verletzt mich als Mann und als Mensch, in meiner Geschlechtsehre und meiner Persönlichkeit“. Zehn Tage später versuchte Uwe Günther dem bayrischen Rechtsassessor die Ausschreibung nochmals zu erklären: Die Fraktion habe beschlossen, mindestens die Hälfte aller wissenschaftlichen Stellen mit Frauen zu besetzen. Die Quotierung sei die Reaktion darauf, daß Artikel 3 Abs. 3 Grundgesetz gerade für Frauen faktisch nicht gegolten habe. Uwe Günther stellte Gerhard R. „anheim, Klage zu erheben“. Und die kam prompt. Gerhard R. ist ÖTV–Mitglied, sein Anliegen wurde von der Rechtsschutzstelle des DGB–Regensburg übernommen. Im Mittel punkt der Klageschrift steht der Verstoß gegen die Paragraphen 611a und 611b des Gesetzbuches: Ein Arbeitnehmer dürfe demnach insbesondere bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses nicht wegen seines Geschlechts benachteiligt werden. Durch den Briefwechsel mit dem grünen Justitiatiar Uwe Günther sei „hinreichend glaubhaft gemacht bzw. bewiesen“, daß „die Benachteiligung des Klägers allein wegen seines Geschlechts“ sei, argumentierten die beiden Gewerkschaftssekretäre Puchert und Förstner. Es ist die Argumentation, die man aus den wenigen Prozessen kennt, die Frauen wegen sexistischer Diskriminierung angestrengt haben. Die DGB–Juristen konstatieren auch eine Verletzung der allgemeinen Persönlichkeitsrechte (Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz) und einen Verstoß gegen das allgemeine Gleichheitsgebot (Artikel 3, Abs. 2 und 3 Grundgesetz) Beides stelle „einen so schwerwiegenden Verstoß dar, daß dieser durch wirksame Sanktionen bewertet sein muß“. Um eine „abschreckende Wirkung auf den Arbeitgeber“ zu erzielen, sei ein hohes Schmerzensgeld notwendig: Sechs Brutto–Monatsgehälter plus Ortszuschlag (26.274 Mark) zuzüglich 4 Aber wo es spannend werden könnte,ist die Klageschrift merklich dünn: Sind Quotenregelungen geboten, um der „strukturellen Diskriminierung“ von Frauen (Ernst Benda) entgegenzuwirken? Dazu liest man in der Klage nichts, und das ist ein Politikum: Die DGB–Juristen mogeln sich um die Quotenfrage völlig herum; zur bestehenden Benachteiligung von Frauen verlieren sie kein Wort. Die grüne Fraktion sieht in ihrer Quotenregelung keinen Verstoß gegen den Paragraphen 611a. Der Gesetzgeber habe bei der Beratung des EG–Anpassungsgesetzes deutlich gemacht, daß Frauenförderungsmaßnahmen trotz &611a zulässig seien. Uwe Günther verwies auf eine Stellungnahme des Bundestagsauschusses für Arbeit und Sozialordnung aus dem Jahre 1980: Demnach hindere der &611a nicht, daß „Maßnahmen zur Förderung der tatsächlichen Chancengleichheit von Mann und Frau, wie sie bisher im Rahmen besonderer Förderungsmaßnahmen erfolgt sind, weiterhin zulässig bleiben“. Der grüne Anwalt bezieht sich auch auf die „Richtlinie zur Gleichbehandlung“ des EG–Gerichtshofes, aus der die DGB–Juristen den Anspruch auf „angemessenes Schmerzensgeld“ ableiten: Die EG–Richtlinie fordere bei geschlechtsspezifischer Diskriminierung nicht nur schärfere Sanktionen, sondern mache auch deutlich, daß Maßnahmen zur „Bereinigung der tatsächlich bestehenden Ungleichheit“ der Richtlinie nicht entgegenstünden. Uwe Günther zieht daraus den Schluß, daß sich Männer auf die EG–Richtlinie nicht beziehen könnten. Die Grünen streben in ihrem Anti–Diskriminierungsgestz (ADG) feste Quoten an: Frauen werden solange bevorzugt, bis sie mindestens zu 50 Das haben sie gestern noch einmal bekräftigt. Im ADG verweisen die grünen Frauen auf „die tatsächlich stattfindende gesellschaftliche Qutoierung“, welche „Männern die Führungs– und Leitungspositionen zuweist und Frauen nicht“ und beziehen sich dabei u.a. auf die Berliner Rechtswissenschaftlerin Vera Slupik: Die bestehende Situation benachteilige Frauen systematisch, und, bezogen auf das Gleichheitsgebot im Grundgesetz stelle dies einen „Verfassungsbruch“ dar. In der verfassungsrechtlichen Diskussion stehen die Grünen damit ziemlich allein. Auch das Rechtsgutachten des Verfassungsrechtlers Ernst Benda (CDU), das dieser im Auftrag der Hamburger Gleichstellungsstelle zum Thema Förderungsmaßnahmen im öffentlichen Dienst erstellte, hält feste Quoten, wie sie die Grünen anstreben, nicht für verfassungsgemäß. Ernst Benda betont zwar, daß die Quotierung verfassungsrechtlich machbar und legitim sei, doch Benda meint damit nur die flexiblen Regelungen: Bei gleicher Qualifikation sollen Frauen gegenüber Männern bevorzugt werden. Doch „starre Quoten, die im öffentlichen Dienst einen bestimmten Frauenanteil ohne Rücksicht auf die individuelle Eignung der Bewerberinnen festlegen wollen“, würden, so Benda, „verfassungsrechtlich keinen Bestand haben“. Vera Slupik sieht das anders: Auch bei starren Quoten sei die Leistungskonkurrenz nicht ausgeschaltet, sondern werde nur innerhalb des weiblichen Geschlechts ausgetragen. Man darf auf diese verfassungsrechtliche Diskussion gespannt sein.