piwik no script img

„Lotosblüte“ und „Schneeflocke“ statt Propaganda

■ In Bejing tagte die „Werbekonferenz der Dritten Welt“ / Reklame steckt noch in den Kinderschuhen, ist aber auf dem Sprung nach vorn / Wechselvolle Geschichte der Werbung

Aus Bejing Henrik Bork

Ausgerechnet im chinesischen Parlamentsgebäude, Tagungsstätte des Nationalen Volkskongresses und der Kommunistischen Partei Chinas, drängte man sich um ein sehr unsozialistisches Vergnügen: einen Pappbecher Coca– Cola. Der Gratisschluck des kapitalistischen Gesöffs erfrischte die Abgeordneten der „Werbekonferenz der Dritten Welt“, die kürzlich für eine Woche das hohe Haus in eine Messehalle verwandelt hatten. Im 10.000 Sitze fassenden großen Plenarsaal, sonst unangefochtene Domäne der Parteikader, machten sich nun Werbefachleute aus Entwicklungsländern, aus Japan, Westeuropa und den USA breit. Unter dem die Saaldecke zierenden roten Stern diskutierten Vertreter von Agenturen, Medien, Industrie und Handel über so wenig planwirtschaftliche Themen wie „Neueste Tendenzen der Werbung“ oder „Marktforschung in China“. „Werbung ist wichtig“, weiß Wan Li, der reformfreudige chinesische Vizepremier: „Sie ist ein Bindeglied zwischen Produktion und Verbrauch“. Solch marktwirtschaftliche Erkenntnisse sind den Architekten des chinesischen Reformsozialismus, allen voran Chinas „starkem Mann“, Deng Xiaoping, nicht fremd. So leuchten denn, wenn es Nacht wird in Bejings downtown, etwa in den Geschäftsstraßen Wangfujing und Xidan, immer mehr bunt– grelle Neonreklamen auf. Sie werben mit so blumigen Produktnamen wie „Paeonie–TV“, „Seemoewe–Armbanduhr“ oder „Panda– Waschmittel“. Und tagsüber radeln Bejings sechs Millionen Rad fahrer an meterhohen Plakatwänden vorbei, die zum Kauf von Kühlschränken Marke „Schneeflocke“ oder einer „Lotosblüte“ auffordern, der neuesten Waschmaschine. Werbung in China steckt noch in den Kinderschuhen. Die Geschichte der chinesischen Reklame ist eng mit der seit 1979 propagierten Wirtschaftsreform und Öffnung gegenüber dem Ausland verbunden. Vorher gab es Werbung nur in Form von Propaganda und drögen Parteislogans. Heute steht noch eine einzige große Propagandatafel an der Ecke Dongdan/Changan–Straße: „Tausend Jahre Marxismus–Leninismus“. Doch nur noch die Touristen schauen hin. Während der Kulturrevolution zwischen 1966 und 1976 war Werbung als „kapitalistisches Produkt“ gebrandmarkt und und völlig abgeschafft. Die Planwirtschaft brauchte keine Werbung. Doch heute, nach Einführung des neuen Verantwortungssystems, sind plötzlich mehr und mehr chinesische Betriebe für den Absatz ihrer Produkte selbst verantwortlich. Das hat Folgen: „Ich kann diesen Kram nicht mehr sehen. Jeden Tag das Gleiche!“, ärgert sich Wang Changshan, 29, Arbeiter in einer Stahlfabrik in Wuhan, und stellt den Fernseher ab. Nach den Nachrichten flimmert die Werbung über den Schirm. Es sind brav informative und dementsprechend langweilige Spots, immer wieder mit den „Großen Vier“ des jüngsten chinesischen Konsumbooms: Waschmaschine, Fernseher, Kühlschrank, und Kassettenrecorder. „Ich verdiene 84 Yuan (42 DM), mein Mann mit allen Zulagen 152 Yuan. Viel bleibt davon nicht übrig jeden Monat“, sagt Liu, Wangs Frau. Auf den Farbfernseher für 1.400 Yuan haben sie fast zwei Jahre gespart, an eine weitere größere Anschaffung ist in nächster Zeit nicht zu denken. Die Werbung schürt da nur falsche Erwartungen. Allerdings gehören Arbeiter in staatseigenen Betrieben zu den Stiefkindern der Reform. Andere haben schneller von der neuen Politik profitiert, die Selbstbereicherung nicht nur duldet, sondern regelrecht fordert: „Werdet reich!“ heißt die Parole. Besonders die Bauern haben den Dreh raus. Das Pro–Kopf–Einkommen auf dem Land hat sich von 1978 bis 1986 verdreifacht. „In letzter Zeit ist vieles besser geworden!“ freut sich Li Baojian, Bauer aus dem Dorf Qingpu in der Nähe von Shanghai. Stolz zeigt er seine neue Waschmaschine „Weiße Chrysanteme“, und auch in seiner Stube flackert bereits die Werbung über den Bildschirm. Vergessen sind die Zeiten, in denen die Lis wie die meisten chinesischen Familien von den „Großen Drei“ träumten: Fahrrad, Armbanduhr und Nähmaschine. Der neue Wohlstandssozialismus made in China setzt auf individuellen Leistungsanreiz. Folglich überwiegt heute die Werbung für Konsumgüter, während noch vor wenigen Jahren die meiste Reklame Produktionsmitteln galt, russischen Traktoren etwa. Der Werbeumsatz stieg von Null (in 1978) auf 150 Mio. Yuan in 1980 und auf 840 Mio. Yuan (420 Mio. DM) im letzten Jahr. Gab es 1979 in ganz China nur lächerliche zehn Werbeagenturen, sind es heute schon 6.944, verteilt über alle Provinzen und autonome Regionen außer Tibet. Auch ausländische Firmen verstärken ihre Werbeinvestitionen ins Reich der Mitte. Passiere eine beliebige Straßenkreuzung, und du kannst auf riesigen Bildtafeln sehen, was dem chinesischen Arbeiter gerade noch gefehlt hat: ein deutscher Mittelklassewagen aus Shanghaier Produktion, japanische Ghettobluster, Schweizer Zitronentee, Parfum aus Paris oder, kein Scherz, eine American Express–Karte. Marktführend sind die Japaner, die 60 Prozent der chinesischen Einnahmen aus ausländischer Werbung berappen, gefolgt von Hongkong, den USA und der Bundesrepublik Deutschland. Der langsam einsetzende Konsumterror stößt auch auf Widerstand, und nicht nur unter den greisen Maoisten und Gegnern der Reformpolitik im Politbüro. „Diese ganzen japanischen Importe, ich sehe das gar nicht gerne. Die Regierung sollte lieber unsere eigene Industrie fördern“, meint Chang Ling, Student der Wirtschaftswissenschaften an der Renmin–Universität in Bejing. Am 18. September letzten Jahres gingen er und einige tausend Kommilitonen auf die Straße, um gegen die Konsumgüter–Invasion besonders aus dem wirtschaftsstarken Japan zu demonstrieren. Und während der Kampagne gegen die „bürgerliche Liberalisierung“ in der Nachfolge der Studenten–Demos Anfang dieses Jahres zeigte sich plötzlich, daß solche Ressentiments von der Regierung ernst genommen werden. Über Nacht verschwanden Anfang Mai sämtliche Schilder mit ausländischer Werbung aus der Changan, dem Vorzeige–Boulevard der Hauptstadt. Die großen Gerüste stehen heute noch leer. Auf einer Reklamewand am Rande der Schnellstraße zum Internationalen Flughafen, bis dato Blickfang für einen japanischen Jeep, prangt nun die unverfängliche Losung „Willkommen in Bejing“. Trotz solcher Kinderkrankheiten gibt sich die Werbeindustrie optimistisch. Vieles hängt davon ab, ob der Reformflügel um Premier Zhao Ziyang auf dem kommenden 13. Parteitag der KPCh im Oktober den Weg für eine weitere Phase der Reformpolitik ebnen kann. Die Gegner der Reform werden nicht müde, auf deren Schattenseiten hinzuweisen. Genauso rasant wie die Werbung breitete sich in seinem Schlepptau auch der Betrug aus. Allein im letzten Jahr beschäftigten sich die Gerichte mit über 10.000 Fälschungen von Warenbezeichnungen. Je mehr für einen Markenartikel geworben wird, desto attraktiver wird er auch für die Fälscher. Eine Flut von gefälschten Rekordern japanischer Hersteller, Hemdchen mit dem begehrten Krokodilaufdruck oder nachgemachte Schweizer Pralinen führen die Leute an der Nase herum. Aber nicht nur der Schutz der Markenbezeichnungen bedarf neuer Gesetze: „Die Errichtung eines Kontrollsystems für Warenwerbung und Korrektheit der Anzeigen ist eine langwierige Aufgabe“, hieß es kürzlich in der Wochenzeitschrift Bejing Rundschau. Bis es soweit ist, treibt die Phantasie wilde Blüten. Auf der Packung der Zigarettensorte „Ginseng“ erfährt man zu seiner Freude, daß man mit dem Paffen der Glimmstengel nicht nur gesünder werde, sondern auch - garantiert - sein Leben verlängern kann. Raucht Ginseng - für ein langes Leben!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen