: Grün–schwarze Rentenannäherung?
■ Berliner CDU/FDP–Senat legt Entwurf für Grundrente vor / Grüne: „Schritt in die richtige Richtung“ / Alten Menschen würde Gang zum Sozialamt erspart / Viele Alte verzichten aus Scham auf Sozialhilfe
Von Vera Gaserow
Berlin (taz) - Der Berliner CDU/ FDP–Senat unter der Federführung von Sozialsenator Ulf Fink hat einen Gesetzesentwurf für eine sogenannte Grundrente erarbeitet, der jetzt in den einzelnen Bundesländern diskutiert werden soll. Nach den bisher vorliegenden Informationen schlägt dieser Entwurf eine Mindestrente von 800 DM für Alleinstehende und 1.200 DM für Ehepaare vor. Diese Rente soll nach den Berliner Vorschlägen unabhängig von dem erarbeiteten Rentenanspruch der alten Leute sein, der bisher vor allem Frauen benachteiligte und von der Sozialhilfe abhängig machte. Anders als bei der Sozialhilfe sollen für diesen Betrag die Angehö rigen der Rentenberechtigten nicht herangezogen werden. In der Höhe unterscheidet sich die jetzt vorgeschlagene Grundrente von 800 DM jedoch nicht vom Sozialhilfeniveau und liegt in vielen Fällen sogar darunter. Den alten Leuten bliebe aber der entwürdigende Gang zum Sozialamt und die Abhängigkeit von den Angehörigen erspart. Rund die Hälfte aller anspruchsberechtigten alten Menschen, so schätzen Experten, nimmt aus Scham oder Behördenangst bisher keine Sozialhilfe in Anspruch. Im Berliner Rentenentwurf werden ausdrücklich die „Reizworte“ der Rentendebatte „Grund– oder Mindestrente“ vermieden. Statt dessen spricht man von einer „Ausgleichszulage“, die auch nicht aus der Rentenversi cherung, sondern aus Steuermitteln gezahlt werden soll. Man habe den Entwurf auch bisher nicht als formellen Gesetzentwurf in den Bundesrat eingebracht, sondern erst einmal den Länderkollegen und zuständigen Stellen zur Diskussion zugesandt. Im Bundesrat hätte ein solcher Gesetzesvorstoß keine Aussicht auf Erfolg, denn CDU und FDP halten dort eisern an einer lohnbezogenen Rente fest. Auch die SPD hat sich bisher immer dagegen ausgesprochen, den Rentnern ein garantiertes Mindesteinkommen im Alter zu gewähren. Nur die Grünen fordern seit 1983 eine Grundrente für alle, die sie mit 1.200 DM allerdings wesentlich höher ansetzten. Interessant dürfte dieser Berliner Vorstoß jedoch trotz seiner geringen Erfolgsaussichten sein, da erstmals aus Kreisen der CDU der Vorschlag einer Mindestrente in die Rentendiskussion gebracht wird. Spannend ist auch, daß der Entwurf von Berlins Sozialsenator Fink forciert wird, der bald sein neues Amt als Vorsitzender der CDU–Sozialausschüsse (CDA) übernimmt. Finks Vorgänger, Bundesarbeitsminister Blüm, ist dagegen ein entschiedener Gegner dieser Idee. Die Rentenexpertin der Grünen, Trude Unruh, begrüßte den Finkschen Vorstoß gestern als „richtigen Schritt in die richtige Richtung, aber bitte nicht mit 800 DM“. Von dieser Summe könne kein alter Mensch menschenwürdig leben. Die Grünen seien deshalb weit entfernt davon, Herrn Fink für seine Initiative zu loben.
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