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Verhödelung eines Landes macht langsam Fortschritte

Der Schoß hatte seine Fruchtbarkeit nie verloren. Antisemitismus war im Land des christlich–sozialen Lueger und des Kunstmalers Hitler stets vorhanden, nur daß er sich ab 1945 halt an Stammtischen und in Burschenschaften Ausdruck verschaffte, selten in der politischen Öffentlichkeit. Anfang der 80er Jahre antworteten etwa der Wiener Soziologin Hilde Weiss 18 man solle den Zugang von Juden zu einflußreichen Berufen beschränken. 20 die Vermögensbildung der Juden eingegrenzt wissen. Für das „coming out“ der Judenhasser zeichnet neuerdings die österreichische Volkspartei (ÖVP) verantworlich. Nach mehr als 15 Jahren Opposition sah sie mit der Wahl Kurt Waldheims zum Bundespräsidenten erstmals die Chance, auch im Alpenland zur Wende zu blasen. Und nach dem Abgang des „Sonnenkönigs“ Bruno Kreisky schienen die Österreicher nur auf jemanden zu warten, „dem die Welt vertraut“, wie die Wahlpropaganda für den Ex– Un–Generalsekretär verhieß. Dann trat der Jüdische Weltkongreß (vermutlich nach einer Information aus den Reihen der Waldheim–ängstlichen Sozialisten) auf den Plan. ÖVP–Generalsekretär Michael Graff sah seine Strategie zur Regierungsübernahme akut gefährdet und ging zur offensiven Verteidigung über, alles andere als wählerisch in seinen Mitteln. „Verleumdung“ war der Schlüsselbegriff seiner Attacken, „Einmischung in die Wahl“, „ehrlose Gesellen des Jüdischen Weltkongresses“ weitere. Auf erste Resonanzen hin zog er sich den Schafspelz über, nicht ohne den drohenden Finger noch herausragen zu lassen: Graff warnte vor „Gefühlen, die wir alle nicht haben wollen“. Das Schema war simpel aber wirksam: Die ÖVP–Chefs prügelten überzogene Angriffe, wie etwa jene der New York Post (“Nazi–Schlächter Waldheim“) und deckten damit die eigentlichen Fragen zu. Daß hinter diesem emotionellen Paravent Waldheim wiederholt sein Erinnerungsvermögen anpassen mußte, daß er die Welt und sein Land jahrelang an der Nase herumgeführt hatte, spielte keine Rolle mehr. Nur in einer Hisicht hatten sich die Strategen verschätzt. Die „Kampein“ brach nach der Wahl nicht sofort in sich zusammen. Das „Ausland“ legte nicht jenen Respekt vor dem Herren in der Hofburg an den Tag, wie man das erwartet hatte. Das würdelose Ringen um Besuchstermine begann, und als die Amerikaner Waldheim auf ihre „watch list“ setzten, gingen die Wogen in Wien wieder hoch. Zuerst war es bloß die „einflußreiche Lobby an der Ostküste“, dann hatten sich überhaupt alle Amerikaner die Mißgunst der österreichischen Konservativen eingehandelt. Das ganze politische Spektrum stand Kopf: Der Kanzler der stets etwas unkritischen SPÖ bemühte sich in Washington eindringlich, die Beziehungen nicht völlig erkalten zu lassen. Die Atlantiker der ÖVP blieben demonstrativ dem Empfang zum Unabhängigkeitstag an der Wiener Botschaft fern, schließlich hatten doch US– Botschafter in Rom und Amman Kurt Waldheim geschnitten. Und schließlich machte sich das Massenblatt Neue Kronenzeitung Gedanken darüber, warum der sowjetische Ministerpräsident Ryschkov bei seinem Besuch um soviel sympathischer gewirkt habe als die Amerikaner. Der strikte Antikommunismus des Blattes schien wie weggeblasen. Kaum hatte ein Teil der Konservativen das Feindbild „Jud“ im öffentlichen Sprachgebrauch mit dem Feindbild „Ami“ vertauscht, platzte die Bombe Hödl. Der Linzer Vizebürgermeister hatte in einem Brief an WJC–Präsident Bronfman die Kampagne gegen Waldheim mit der Kreuzigung Christi verglichen. Skandalöser noch als der Brief waren die Reaktionen führender ÖVP–Politiker, die den Brief gar nicht so schlimm fanden, zwar nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit, aber aus der Emotion gegen die „Einmischung“ durchaus erklärbar. Anders als bei bundesdeutschen Kommunalpolitikern ist die Partei nicht bereit, Hödl fallenzulassen. Zu stark sind die internen Probleme der ÖVP, die Bauern, Unternehmer und Arbeitnehmer unter einem Dach vereinigt. Das Füllhorn des Staates ist leer, und die Verteilungskämpfe nehmen zu, da verzichtet man nicht gern auf einen einigenden Feind von außen, zumal auch die Vorwürfe nicht verstanden werden. Die „Verhödelung“ der Konservativen, wie dies ein Wiener Kommentator nannte, ist voll im Gange. Die Verhödelung des Landes macht Fortschritte. Reinhard Engel

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