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Flamenco und Aufruf zur Steuerverweigerung

■ Radio Zero, ein freier Sender in Madrid, macht täglich ein spritziges Programm / Am Anfang stand die Anti–NATO–Bewegung / Politik soll mit Unterhaltung gemixt werden / Geringe Finanzmittel und tägliche Improvisation / Dennoch arbeitet der halblegale Sender seit fast drei Jahren

Aus Madrid Simone Guski

Hören kann man Radio Zero (“Radio Null“) in ganz Madrid täglich zwischen sechs Uhr abends und zwei Uhr morgens auf Kurzwelle 107,5. Es sendet viel Musik - Flamenco, Blues, Rock und Pop - darin unterscheidet es sich wenig von anderen staatlichen oder privaten Sendern. Zwischen zehn und zwölf jedoch kommen auf dieser Welle ungewöhnliche Reportagen, Interviews und Kommentare. So etwa ein Aufruf, Steuern zu verweigern - den Prozentsatz, den der Staat für militärische Zwecke ausgibt - gefolgt von einer detaillierten Anweisung, auf welche Hilfskonten die Steuern ersatzweise eingezahlt werden können. Dann wieder Musik. Und gleich darauf der Kommentar eines Mitgliedes der „Gesellschaft gegen die Folter“ zu Übergriffen der Guardia Civil während des Eisenbahnerstreiks. Radio Zero ist ein „freier“ Sender. Am 1. September feiern die 70 MitarbeiterInnen - zum größten Teil Frauen - das dreijährige Jubiläum. Unweit der Metro–Station San Bernardo haben sie im sechsten Stock eines Hochhauses ein kleines Büro gemietet. Eine Sendeanlage mit 1.200 Watt wurde mit Spendengeldern zusammengekauft. Aktionäre können sich mit einem Anteil von 1.000 Peseten (15 Mark) beteiligen, Dividende gibt es dafür keine. Die Radiomacher arbeiten unentgeltlich, manchmal zahlen sie auch aus eigener Tasche dazu. Der Sender ist zwar nicht legal, aber auch nicht verboten. Bis jetzt gibt es für solche Fälle noch kein Gesetz. Mit den kommerziellen Radio– und Fernsehprogrammen, die bald auch in Spanien Einzug halten, wird das anders werden. Die Crew von Radio Null befürchtet, daß dann für sie bald kein Platz mehr sein wird. Aber weitermachen wollen sie auf jeden Fall. Schließlich haben sie in den drei Jahren schon so manchen Wandel überstanden. Zu Anfang allein auf die Anti–NATO–Bewegung fixiert, haben sie sich nach dem Referendum, in dem sich Spanien für die NATO entschied, zu einem Forum für alle die entwickelt, die in den offiziellen Medien weniger oder gar nicht zu Wort kommen. Das tägliche Chaos Die Seele der Crew ist Ernesto, im Hauptberuf Geschichtsprofessor. Bei ihm, dem „Alt–Revolutionär“ aus der Studentenbewegung der sechziger Jahre, der sich nicht ohne Nostalgie an die Zeiten erinnert, als Demonstrationen in Spanien noch eine lebensgefährliche Sache waren, und der es heute genießt, noch etwas vom Flair der Revolution bei den jungen Leuten zu finden, laufen alle Fäden zu sammen. Meist fünf Reporter sind täglich unterwegs, um Interviews und Reportagen zu sammeln. Er weiß stets genau, wo sie sind. Bei Ernesto meldet sich aus Nachbarschaftsorganisationen und Bürgerinitiativen von Antidrogen– Initiativen bis zur Selbsthilfe–Organisation der Zigeuner, wer etwas zu berichten hat. Der Rest ist Improvisation: Wenn sich die Magazincrew, die an jedem Wochentag aus einer anderen Gruppe von fünf Mitarbeitern besteht, um neun Uhr morgens zusammensetzt, dann haben sie auf dem Tisch nicht mehr als ein paar Kassetten liegen. In Windeseile wird das Programm auf die Minute genau festgelegt. In einer Stunde muß es stehen. Die Musik kommt aus einem kleinen Plattenarchiv. Doch oft bringt der, der gerade das Programm bestreitet, seine Platten gleich selber mit. Um Copy–Rechte kümmert sich kei ner. Lara, die zwanzigjährige Journalistin von Radio Luxemburg. Irena, im Hauptberuf Sekretärin, lädt die Hörer zum Mitmachen ein. Ein kurzes Quiz steht auf dem Programm. Gefragt wird nach den „Filmtiteln der Woche“. Für Irena ist Radio Null auch ein Übungsfeld für den Journalismus. Eines Tages hofft sie Moderatorin in einem der staatlichen Sender zu werden. Sie wartet noch auf ihre Entdeckung. Martha, die schon seit der Gründung dabei ist und früher beim inzwischen eingegangenen freien „Radio Luna“ mitgemacht hat, berichtet: „Natürlich wollen wir ein politisches Programm machen. Aber wir haben von den kommerziellen Radios gelernt. Wir machen ein Programm vor allem für junge Leute, und die wollen unterhalten werden. Da genieren wir uns nicht, auch zu den entsprechenden Methoden zu greifen. Unser Radio soll uns und den Hörern Spaß machen.“ Dennoch hat die Politik Vorrang. Sie selbst ist seit drei Jahren Mitglied in einer Anti–NATO–Gruppe, mit der Radio Null in enger Verbindung steht. Und Ernesto erläutert unter Verweis auf die Radio–Statuten: „Programm machen, und das bedeutet ein Programm, das in allen Fragen Partei nimmt. Streiks, Arbeitslosigkeit, Wohnverhältnisse, Umweltverschmutzung; all das gehört dazu. Wir sind dagegen, daß Geld für militärische Mittel ausgegeben wird und sehen, wo es fehlt und was auf sozialem Gebiet getan werden müßte. Freilich, das umzusetzen in ein Programm, das die Hörer Tag für Tag anzieht, ist schwierig.“ Immerhin: So mancher freie Sender ist inzwischen in Madrid aus der Taufe gehoben worden und schon mancher wieder eingegangen. Radio Null hat sie bis jetzt alle überlebt.

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