: „Tagsüber lächeln wir, nachts weinen wir“
■ Die kambodschanischen Flüchtlingslager an der Grenze zu Thailand werden großenteils von den Roten Khmer des früheren Pol–Pot–Regimes kontrolliert und zur Zwangsrekrutierung genutzt / Westliche Hilfsorganisationen und Regierungen tragen dazu bei, daß die Pol–Pot–Guerilla sich mit Hilfsgütern versorgen kann
Von Larry Jagan
Die britische Hilfsorganisation Oxfam hat sich im Juni für die Einstellung der UN–Hilfsprogramme für die kambodschanischen Flüchtlinge auf thailändischem Grenzgebiet ausgesprochen. Mit diesem ungewöhnlichen Schritt hat die größte regierungsunabhängige Hilfsorganisation der Welt auf die humanitär wie politisch skandalöse Situation hingewiesen, daß die Roten Khmer Pol Pots, die für den Völkermord in Kambodscha zwischen 1975 und 1979 verantwortlich waren, die Flüchlingslager kontrollieren und dadurch von den Geldern der Vereinten Nationen und westlicher Regierungen am Leben erhalten werden. Denn während die Besetzung Kambodschas durch die Vietnamesen bereits in ihr achtes Jahr geht, trägt der Westen eher zur Fortsetzung des Konflikts als zu seiner Lösung bei. Die halbe Million Khmer– Flüchtlinge, die sich in den acht Lagern an der Grenze zwischen Thailand und Kambodscha aufhalten, werden von westlichen Flüchtlingsorganisationen unterstützt, obwohl - so formulierte es der britische Abgeordnete Robert Harvey kürzlich nach seinem Besuch der Lager - „sie de facto Lager zur Unterstützung der Roten Khmer und anderer Kräfte darstellen“. Zwar umfaßt die Koalitions– Regierung, die das von Vietnam installierte Regime Heng Samrin bekämpft, Prinz Sihanouk und die „Nationale Befreiungsfront des Khmer–Volkes“ (KPNLF) unter ihrem rechten Führer Son Sann, die wirkliche Führungsrolle und das meiste Kriegsgerät wird jedoch von den Roten Khmer gestellt. Es sind vor allem Pol Pot und seine Gehilfen, die den Abnutzungskrieg weiterführen wollen. Im September 1979, so erinnert sich Martin Barber, der heutige Chef des „Britischen Flüchtlingsrats“, hätten die letzten Anhänger der Roten Khmer geschlagen und völlig aufgerieben die thailändische Grenze erreicht und seien dort reihenweise erschöpft oder tot zusammengebrochen. Es war nur die anschließende internationale Anerkennung der Koalitions– Regierung, welche die Roten Khmer vor ihrem Ende bewahrte und wieder in das Spiel der Kräfte zurückbrachte. Internationale Hilfsorganisationen, besonders die „United Nations Border Relief Operation (UNBRO) - die nicht einmal einen juristischen Status besitzt - gewähren rund 250.000 Khmer– Flüchtlingen in den Grenzlagern humanitäre Hilfe. Fünf dieser Lager werden von den Roten Khmer kontrolliert. Wie aus jüngsten Berichten hervorgeht, haben Arbeiter der Hilfsorganisationen nur beschränkten Zugang zu diesen Lagern. Selbst in den Lagern, die zugänglich sind - das von Son Sann–Truppen kontrollierte Lager und das Rote Khmer–Lager - dürfen sich die Mitarbeiter der Hilforganisationen nur bei Tage aufhalten. Nach 17 Uhr, so klagen die Helfer, könnten sie die Behelligung und Bedrohung der Lagerinsassen durch die Roten Khmer nicht mehr verhindern. „Tagsüber lächeln wir, nachts weinen wir“, so vertraute einer der Flüchtlinge jüngst den UNO–Helfern an. Einer Evaluierungs–Mission der Welthungerhilfe wurde jüngst der Zugang zu den zwei südlichen Lagern der Roten Khmer, Borai und Ta Luen, untersagt, bei denen es sich um reine Militärlager handeln soll. Die Leiter der UNBRO–Operationen sind überzeugt, daß vier der fünf Grenzlager militärischen Charakter haben. In einem jetzt bekannt gewordenen vertraulichen Dokument schrieb ein Angestellter der UNBRO an seinen Vorgesetzten nach seinem Besuch des nördlichen Huay Chan–Lagers im September 1986: „Dort gibt es einige Teile des Lagers, die unsere Leute nicht betreten dürfen und die ganz eindeutig militärischen Zwecken dienen“. Zwangsrekrutierungen Die Roten Khmer erheben von den Lagerinsassen auch eine Art Abgabe. Jeden Donnerstag morgen, so berichtet ein UNBRO–Mitarbeiter aus dem Lager VIII, besuchen Kader der Roten Khmer das Lager, um ihre „Steuern“ einzutreiben. Eine Studie des britischen „Flüchtlings– Studien–Programms“ dokumentiert in aller Ausführlichkeit, wie sich die Roten Khmer der Flüchtlingsrationen bemächtigen. Ein medizinischer Helfer beschwert sich, daß die meisten Patienten, die er mit Holzprothesen versorge, ganz offensichtlich an mili tärischen Aktionen teilgenommen hätten. Auch medizinische Güter würden gestohlen und an die Front gebracht. Die Lager dienen den Roten Khmer auch zur Rekrutierung für ihre militärischen Operationen. Es wird geschätzt, daß seit August 1985 allein aus dem Lager VIII rund 5.000 Flüchtlinge in der Nacht in das Militärlager von Phnom Dey transferiert worden sind, wo sie als militärische Helfer eingesetzt werden. Ebensoviele wurden aus dem Lager Ta Luen zur Rückkehr nach Kambodscha gezwungen. Wie der Bericht eines unabhängigen Ausschusses US– amerikanischer Rechtsanwälte zur Menschrechtssituation in Kambodscha feststellte, würden viele Männer mit Waffengewalt aus den Lagern rekrutiert. Allein im März 86 seien 1.500 Insassen des Lagers Samrong Kiat mit Gewalt zur Rückkehr ins nördliche Kambodscha gezwungen worden. Die jüngste Umsiedlung fand im Januar dieses Jahres statt, als über 1.600 Insassen des Lager VIII mitten in der Nacht in den Stützpunkt der Roten Khmer nach Natrao getrieben wurden. Ein Helfer, der auf die gewaltsame Umsiedlung hinwies, mußte erfahren, daß die thailändischen Behörden nicht willens waren, sich des Vorfalls anzunehmen. Die thailändische Regierung hat ebenso die Beschwerden von UNBRO–Direktor Y.Y. Kim sowie von Urs Boegli, dem Chef einer Delegation des Internationalen Roten Kreuzes ignoriert. Doch die 60.000 Insassen der Roten Khmer–Lager sind nicht nur durch Zwangsumsiedlungen gefährdet. Im Februar 1986 mußte ein junges Mädchen sterben, weil die Lagerführer sowie die Thai–Militärs die Bitten der Flüchtlingshilfe–Organisationen ablehnten, sie in ein Krankenhaus zu bringen. Im September wurden acht Lagerinsassen bei einem Artilleriebeschuß durch die Vietnamesen verletzt. Die Führer der Roten Khmer hatten zuvor die Bitte der UNBRO, das Lager zu evakuieren, abgelehnt. Im Lager VIII sah sich die UNBRO gezwungen, ihr Tuberkulose–Programm aufzugeben, weil die Patienten das Lager nicht verlassen durften. Der Koordinator des UNBRO–Programms, John Moore, berichtet, daß seinen Helfern der Zugang zu rund 3.800 hilfsbedürftigen Personen im La ger nicht gestattet wird. Beobachter befürchten, daß die Lage der Flüchtlinge institutionalisiert wird. Die UNBRO hat in der Nähe von Aranya Prathet ein großes Computer–Zentrum gebaut, die Zahl ihrer Mitarbeiter hat sich in den letzten 18 Monaten auf über 100 verdoppelt und immer größere Lagerstätten für die Nahrungshilfe werden gebaut. Die Bundesregierung hat Geld für den Bau eines Damms zur Wasserversorgung des Lagers II zur Verfügung gestellt. Unnötigerweise, wie viele meinen, denn das nahegelegene Militärlager der Thais hätte das Flüchtlingslager ebensogut mit Wasser versorgen können. Schmiergeld für die Thai–Regierung Auch ein anderes internationales Hilfsprogramm gibt Experten Anlaß zur Besorgnis: das sogenannte ATV–Programm für von den Grenzauseinandersetzungen betroffenen Thai–Dörfer. Nach außen hin sollen die Gelder die Belastung der Grenzdörfer durch die Flüchtlinge und ihre nahegelegenen Lager verringern. Die UNBRO stellt jährlich vier Mio. Dollar bereit, die - wie Angestellte der Organisation zugeben - gezahlt werden, um „von den Thais in Ruhe gelassen zu werden“. Aber auch andere Regierungen beteiligen sich an diesem Programm. Die Bundesregierung hat beispielsweise bisher 62 Mio. DM im Rahmen des ATV–Prgramms gegeben und wird vermutlich weitere zehn Mio. DM für das kommende Jahr zur Verfügung stellen. Diese Gelder, so ein jüngst aus dem Grenzgebiet zurückgekehrter Hilfsexperte, „sind ein gigantischer Schmiergeldfonds für die thailändischen Militärs“. Die „Task Force 80“ der thailändischen Armee, die für die Sicherheit der Khmer–Flüchtlinge sorgen soll, wird teilweise mit ATV–Geldern finanziert. In der Nähe von Aranya Prathet wird von der UNBRO gerade ein neues militärisches Hauptquartier gebaut. Dazu bemächtigt sich das Militär noch der für Flüchtlinge bestimmten Lebensmittelrationen. Flüchtlingshelfer vor Ort gehen davon aus, daß weniger als 30 Prozent der Lebensmittelrationen am Ende die Bewohner der Dörfer und Flüchtlingslager erreichen. „Es gibt kein Anzeichen dafür, daß diese Situation sich verbessern könnte“, so erklärte Ron Dodden, ein Mitarbeiter des ATV–Programms kürzlich in einem vertraulichen Bericht an sein Hauptquartier. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch der Kontrolleur des „World Food Programme“, als er Anfang dieses Jahres betonte, die Durchführung des Hilfsprogramms werde nicht überwacht und sei auch gar nicht zu kontrollieren. Lager II liegt nur zwei Kilometer vom umkämpftesten Teil der Grenze entfernt, von hier aus sind sogar die vietnamesischen Stellungen zu erkennen. Und jüngsten Berichten zufolge hat das thailändische Militär seine Artillerie jetzt nur 500 Meter neben dem Flüchtlingslager aufgebaut - eine Provokation, die die Gefahr für die Flüchtlinge weiter erhöht. Wenn ein rasches Ende des Indochina– Konfliktes gefunden werden soll, dann muß der erste Schritt darin bestehen, die Flüchtlingslager weg von der Grenze an sichere Orte zu verlegen. Und die anhaltende Unterstützung der Pol–Pot– kontrollierten Lager trägt bislang noch dazu bei, den Indochina– Konflikt zu verlängern.
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