Serie Bauern und EG (13)
: Der Durchbruch fehlt noch

■ Der ökologische Landbau als Durchgangsstation oder Zukunftsvision? / "Fundis" und "Realos" streiten über Wachsen oder Einigeln

Ob Rudolf Steiner, Stammvater der Anthroposophie, 1924 bei seinen Vorträgen zur biologisch–dynamischen Landwirtschaft die Vision eines ganzheitlichen ökologischen Landbaus für alle vorschwebte, ist wohl kaum zu rekonstruieren. Und als der Schweizer Agrarwissenschaftler Hans Müller nach langem politischem Ringen in den dreißiger Jahren als Hilfe zur bäuerlichen Selbsthilfe den organisch–biologischen Landbau entwickelte, mag der heute fast 96jährige Pionier der bäuerlichen Existenzsicherung durch ein Wirtschaften mit der Natur schwerlich geahnt haben, daß seine Anhänger heute in aller Weg regen Zulauf erfahren. Noch Mitte der siebziger Jahre konnte es in der BRD als ausgesprochen exklusiv gelten, Biolandbau zu betreiben. Das elitäre Kaderverständnis war durchaus auch von den Bio–Anbauorganisationen so gepflegt, Ideen und Anhänger wurden oft genug als „mittelalterlich“, „abartig“ oder „biologisch–damisch“ belächelt und diffamiert. Erst vor knapp neun Jahren setzte ein Wachstumsschub ein, dem die wenigen, chronisch zeit– und geldknappen Vorreiter der Öko–Idee in der Landwirtschaft kaum gewachsen waren: So verzeichnete beispielsweise die deutsche Tochter des Müllerschen Biogemüse–Vereins, die „Fördergemeinschaft organisch–biologischer Land– und Gartenbau“ (heute kurz: Bioland e.V.) von 1979 bis heute einen Sprung von 150 auf 1.150 Bauern– und Gärtner–Mitglieder. Der erst 1971 gegründete Verband hatte aus dem Nichts, bei heftigstem Gegenwind und bösen Attacken von Wissenschaft, Agrarverwaltung und Agrochemie und bei erst allmählich spärlich und schüchtern tröpfelnden öffentlichen Zuschüssen innere Strukturen, Beratung, Vermarktung, Öffentlichkeitsarbeit - kurz: alles - aufzubauen. Typisch für Innovatives in diesem unserem Lande: Die Miesmache lief auf allen Ebenen. Unter mehreren Highlights einer generalstabsmäßigen Anti–Öko–Kampagne der Agrochemikalienköche, die heute mehr auf grünlich– weicher Welle kämpfen, erreicht 1983 die LUFA–Studie, ein fehlerstrotzendes Wissenschaftssurrogat „völlig unabhängiger“ Wissenschaftler, die wohl traurigste Publizität. Manch kritischer Zeitgenosse fragte sich damals, wozu der Aufwand dienen sollte, wenn doch der Biolandbau so hoffnungslos abwegig sein sollte; glaubten die eifrigen Bekämpfer ihren eigenen Argumenten nicht? Wurde das Wachstum beängstigend? Es wurde! Alles bestätigte die Warnungen der „missionarischen Panikmacher“! Die ökologischen und ökonomischen Probleme verschärf(t)en sich auch und gerade in der Landwirtschaft. Die Bodenerosion, von ministeriellen Experten vor zehn Jahren mitleidig lächelnd zum gelösten Problem erklärt, hat sich inzwischen zur flächendeckenden Plage ausgewachsen. Grund– und Oberflächenwasser werden zunehmend mit Nährstoffen aus landwirtschaftlicher Düngung belastet und mit harten Ackergiften kontaminiert. Immer mehr Menschen fragen nach den „Rest“–Risiken mehrerer hundert Wirkstoffe aus der häufig falsch eingestellten Ackerspritze. Die Landwirte selbst wollen und dürfen nicht als die Giftmischer der Nation dastehen - aber eine wirre und fehlgeschlagene EG–Agrarpolitik zwingt sie in immer neue betriebswirtschaftliche Abenteuer, die den meisten von ihnen das gleiche Schicksal beschert haben und weiter bescheren werden wie den Mitlebewesen auf roten Listen. Nur 03 Berufsstandes Das immer noch winzige Häuflein von Biobauern, bundesweit 0,3 Prozent der noch Verbleibenden dieses Berufsstandes, ist darin selbst nicht einig. Vieles ist erreicht, Biolandbau ist ein nicht mehr wegzudenkender Faktor, Vorbild und durch Konsequenz treibende Kraft für die einen, mahnender Pfahl im Fleisch der Landwirtschaft und Impulsgeber zur Ökologisierung für die anderen. Manches an wissenschaftlicher Zuwendung und an öffentlicher Förderung ist - teils aus Taktik und Alibi, teils aber auch aus Überzeugung und Verantwortung - positiv gediehen. Vielfache Bestätigung und Anerkennung könnte man feiern - der große Durchbruch fehlt. Das Biologen–Lager - auf Höfen und in Bio–Läden - streitet zwiespältig über Fundamentales: Wohin geht die Reise: „Klein– Klein oder Masse?“ „Vermarktung nur ab Hof und im Bio–Laden oder auch im Supermarkt?“, kurz, an der Frage des Koalierens mit dem konventionellen Handels–, Verarbeitungs– und Vertriebssystem und am Dollpunkt des „Wachsens oder Einigelns“ scheiden sich die Geister. Wie anderswo ist der Beobachter geneigt, „Fundis“ und „Realos“ zu identifizieren. Biolandbau ist eine noch immer dramatisch unterschätzte Chance. Die Bioland– und Demeter–Pioniere, die vor zehn, zwanzig und mehr Jahren gespürt haben, daß der Patient Landwirtschaft am chemischen und agrarpolitischen Tropf enden würde, werden heute, da der Patient zur Intensivstation geschoben wird, durch höchste Beschlüsse - weniger ernten ist gefragt, wird belohnt - und durch den Nachweis der Umweltfreundlichkeit ihrer Methoden bestätigt. Verbraucher wollen Bio–Erzeugnisse - und können hemmungslos genasführt werden, weil ausgerechnet der beliebteste und attraktivste Marktplatz, die BRD, dank funktionierender Chemie–Lobby (?) keine klare Stellung bezieht und die jahrelangen klaren und seriösen Vorschläge der Verbände ins behördliche Gefrierfach wandern. Hilfreich wäre hier ein Gesetz, das eindeutig definiert, daß Bioland–Produkte zuallererst - als Bedingung, ohne die nichts geht - nur aus klar beschriebener, nachvollziehbarer und kontrollierter ökologischer Erzeugung kommen können. (Ein EG–Entwurf ist da). Die Kontrolle sollte Sache der Verbände sein, die dem Staat ihre Kontrollfähigkeit laufend zu belegen hätten. Wird diese Klarheit nicht geschaffen, können Verbraucher mit braun eingefärbten Weißmehlnudeln aus konventionellem Getreide auf den „Pseudo–Bio– Trip“ geschickt werden, können zu den bestehenden ca. 30 zweifelhaften „Bio“–Marken weitere dazuwuchern.