Leiharbeiter klagt gegen die KWU

■ Ein ehemaliger Leiharbeiter will Schadenersatz für Strahlenschädigung / KWU nennt Strahlenbelastung „unbedeutend“ / Staatsanwaltschaft ermittelt wegen illegalem Leiharbeiter–Einsatz

Aus Nürnberg Bernd Siegler

Keine gütliche Einigung ergab die erste Runde vor dem Nürnberger Arbeitsgericht zwischen der Kraftwerkunion (KWU) und dem Elektroniker Jürgen Behnisch (46). Kernpunkt der Auseinandersetzung: Behnisch will von der KWU eine Million DM Schadenersatz für eine vorsätzliche Strahlenschädigung. Behnisch (46) absolvierte seine Ausbildung bei Siemens und war zuletzt als Leiharbeiter bei Siemens und KWU für die Überprüfung der Reaktormeßinstrumentierung des Schnellen Brüters in Kalkar zuständig. Nachdem er mit der Darstellung von gravierenden Sicherheitsmängeln an bundesdeutschen AKWs in die Öffentlichkeit ging, wurde er vor die Tür gesetzt. Behnisch behauptet, im Kontrollbereich der KWU Erlangen bei der Überprüfung der Funktion von Ionisationskammern zur Neutronenflußmessung in AKWs einer Strahlenbelastung ausgesetzt gewesen zu sein. Er unterstellt der KWU, sämtliche Sicherheitsvorkehrungen fahrlässig mißachtet zu haben. Im Gegensatz zu seinem Vorgesetzten sei er als Leiharbeiter nicht einmal mit einem Dosimeter ausgerüstet gewesen. „Eine gängige Praxis bei der KWU“, so Behnisch. Die KWU argumentiert hingegen, Behnisch habe unbefugt den Kontrollbereich betreten und dort nach nachträglichen Berechnungen lediglich eine Belastung von maximal 0,11 millirem abbekommen. „Bereits ein Flug nach Mallorca führt zu einer zusätzlichen Strahlenbelastung von ca. 0,4 millirem“, rechnet die KWU–Pressestelle vor. Damit sei die Belastung des Klägers „in jeder Hinsicht unbedeutend“ und seine Schadenersatzforderung „absurd“. Zusätzlich stellen die KWU–Justitiare die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts in Frage, da Behnisch als Leiharbeiter in „keiner rechtlichen Beziehung“ zur KWU stünde. In der Tat ist die Rechtslage verzwickt. Nach der Reichsversicherungsordnung sind Ansprüche in Zusammenhang mit einer Gesundheitsschädigung im Arbeitsverhältnis an die Berufsgenossenschaft geltend zu machen. Schadenersatz gegenüber dem Arbeitgeber ist grundsätzlich ausgeschlossen, es sei denn, es handelt sich um einen vorsätzlich herbei geführten Arbeitsunfall. In diesem Fall hat der Kläger jedoch nicht nur die Mißachtung von Sicherheitsvorschriften und Aufsichtspflichten zu beweisen, sondern auch die Höhe der abbekommenen Strahlendosis. Dazu wurde Behnisch vom Gericht aufgefordert. Mithin ein Problem - hatte er doch kein Dosimeter. Nicht zur Sprache kam in dieser ersten Runde vor Gericht die Leiharbeiterpraxis bei der KWU, die zum Siemens–Konzern gehört. Behnisch war von einer Zeitarbeitsfirma an Siemens und von dort weiter an die KWU verliehen worden. Die Firma habe mit Siemens, Siemens mit der KWU verrechnet. Gegenüber Behnisch sprach das Landesarbeitsamt von einer „illegalen Kettenverleihtätigkeit von Siemens“. In diesem Punkt ermittelt bereits die Staatsanwaltschaft, genauso wie im Falle einer falschen eidesstattlichen Versicherung des Hauptreferenten der KWU–Abteilungen für Strahlenüberwachung, Dr. Dio. Obwohl Dio am fraglichen Tag, dem 27.3.86, gar nicht im Kontrollbereich anwesend war, gab er in einem anderen Gerichtsverfahren die Erklärung ab, Behnisch wäre nicht im Kontrollbereich tätig gewesen. Am 13. Novemberwird weiterverhandelt. tazintern