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Töpfer: Ich bin mit der Kernergie weder verwandt noch verschwägert

■ Umweltminister Klaus Töpfer über Chemie und Katastrophen, über die Ruine von Kalkar und den geplanten Plutonium-Supermarkt in Wackersdorf, über BIs und Ökologie-Bewegun

taz: Sie haben als Einsatz–Truppe gegen Katastrophen eine Art Umwelt–GSG9 gefordert. Diese Forderung liegt im Trend: Weg von der Ursachen–Beseitigung, hin zum möglichst perfekten Katastrophen–Handling. Klaus Töpfer: Es ist keine Frage des Entweder–oder. Wenn wir bei einem Kernkraftwerk keinen Katastrophenschutzplan aufstellen, hält das jeder für unerträglich, denn es gibt ja ein - wenn auch sehr geringes - Restrisiko. Stellen wir also einen Katastrophenschutzplan auf, sagt man uns: Aha, da sieht mans wieder: Mit dem Katastrophenschutzplan wird belegt, daß die Katastrophe berechnet ist. Was ja auch stimmt... In der UdSSR ereignete sich Tschernobyl. Wir fragen uns, was wir daraus für die Sicherheit lernen können. Werten wir diese Katastrophe nicht umfassend aus, schimpft man uns als bornierte Kameraden. Überpüfen wir dagegen die Sicherheit bei uns und kommen sogar noch als Ergebnis zu einem Druckentlastungsventil, dann heißt es: Erst muß die Katastrophe passieren, dann wird etwas verändert. Wir müssen natürlich als erste Aufgabe Risiken vermeiden und Vorsorge treffen. Obwohl wir aber die Technik immer sicherer machen, können wir nicht ausschließen, daß ein Unfall eintritt. Deshalb müssen auch Vorkehrungen getroffen werden in der gleichzeitigen Hoffnung, niemals davon Gebrauch machen zu müssen. Die Katastrophen–Vorkehrungen werden dann fragwürdig, wenn erkennbar ist, daß gegen die Ursachen von Katastrophen nichts getan wird. Bei Atomkraftwerken müßte neben den Katastrophenschutzplänen auch eine Politik des Ausstiegs erkennbar sein. Bei der Chemie müßte eine Politik hin zur Null–Emission erkennbar sein. Das ist Ihre Wertung, daß auf dem anderen Gebiet nichts passiert. Tatsache ist, daß wir eine sehr nachhaltige Vorsorge–Politik betreiben. Damit hat mein Vorgänger begonnen, ich werde es weiterführen. Die Störfall–Vorsorge steht an allererster Stelle, also die Verbesserung des technischen Standes. Nehmen wir mal das Beispiel Herborn. Beim Schwerverkehr gefährlicher Güter könnte durch eine Politik hin zur Schiene die Ursache von Katastrophen angegangen werden. Was spricht gegen die Verlagerung von der Straße zur Schiene? Wenn wir den Transport gefährlicher Güter auf die Schiene verlagern, kommen wir doch nicht zu einer Null–Risiko–Situation. Auch Züge können entgleisen. Und dann ist das Katastrophen– Moment eher größer, weil die Menge transportierter Güter größer ist. Sie wissen aber auch, daß die Unfall–Risiken der Bahn insgesamt weit geringer sind. Die Eintrittswahrscheinlichkeit für Unfälle ist sicher niedriger, aber wenn wir Gefahrstoffe auf die Schiene bringen, werden wir immer den gebrochenen Verkehr haben. Wir werden die Gefahrgüter vom Bahnhof aus mit dem Lkw auf die Fläche verteilen müssen. Das Problem bleibt bei der Versorgung der Fläche. Daß es hier solche Probleme gibt, liegt an der Verkehrspolitik der letzten Jahre, die die Streckenstillegungen der Bahn akzeptiert und sogar gefördert hat. Also: Daß Tankstellen im allgemeinen an Straßen liegen und nicht an Bahnhöfen, dürfte sich herumgesprochen haben. Sie sind auch bei einer optimalen Versorgung der Fläche mit der Schiene darauf angewiesen, eine Reststrecke mit dem Lkw zu fahren. Und deswegen muß man darüber nachdenken, ob man die Lkws mit besseren Brems–Systemen ausrüstet oder mit doppelwandigen Tanks, um nur zwei Beispiele zu nennen. Ich wehre mich gegen Ihre falsche Rigorosität. Man muß halt das eine tun, nämlich die Sicherheit des jeweiligen Transportmittels verbessern, und das andere nicht lassen, nämlich eine Verlegung des Transports auf die Schiene weiterverfolgen. Diese Verlegungen wollen Sie aktiv unterstützen? Wir sind dringlich daran interessiert, die Straßen und Autobahnen zu entlasten. Der Unfall von Herborn steht in einer Reihe von vielen Katastrophen. Jeder erwartet sie, jeder rechnet mit ihnen. Ihr Ministerium wird vor diesem Hintergrund nicht nur zum Schleudersitz, sondern vor allem zu einem rein reaktiven Instrument. Die Katastrophen werden zu Meilensteinen der Umweltpolitik. Was zunächst die Risiko–Behaftetheit meines Stuhls angeht, so werden wir sehen, wie die Probleme, die uns treffen, gelöst werden können. Was wir brauchen, ist eine die Normalität erreichende und gestaltende Umweltpolitik. Das heißt, eine Umweltpolitik ohne Katastrophen und Skandale. Natürlich ist es so, daß wir durch bestimmte katastrophale Ereignisse den Augenöffner dafür bekommen haben, was zusätzlich noch zu leisten ist. Das Waldsterben war ganz sicher ein Signal, um die Anstrengungen in der Luftreinhaltung zu verstärken. Schlimm wäre es doch nur, wenn wir uns hinsetzen und sagen: Das ist ein Einzelfall, daraus brauchen wir keine Konsequenzen ziehen. Wir haben die kleinen und großen Katastrophen und Ärgernisse zu selbstkritischen Fragen genützt. Wir müssen uns immer wieder fragen, ob Gesetzeslücken bestehen, und was zu tun ist, um Vorsorge zu gewährleisten. Von Ihrem Vorgänger stammt eine Studie zu „Stand und Problemen der Sicherheit“ chemischer Anlagen. In dem Papier wird festgestellt, daß es ein vergleichbares Gefahrenpotential wie in Bophal „zu Hunderten“ in der Bundesrepublik gibt. Wie geht es Ihnen ganz persönlich, wenn Sie sich dieses ungeheure Risiko vor Augen führen? Solche Studien werden ja gerade gemacht, damit man Risiko– Potentiale erkennt und sie durch vorbeugendes Handeln abbaut. Ein Risiko erwächst doch daraus, daß wir keine vollständigen Informationen haben, daß wir eine Entscheidung bei Unsicherheit zu treffen haben. Damit gehen wir Risiken ein. Sie können mir doch jetzt nicht vorwerfen, daß wir uns um solche Risiko–Potentiale kümmern, daß wir sie uns näher ansehen und untersuchen lassen. Im übrigen: Wenn wir dazu kämen, jedes Risiko auszuschalten, würden wir in einer nicht mehr menschlichen Welt leben. Natürlich wollen auch Sie bestimmte Risiken ganz ausschalten. Sie haben ja angekündigt, bestimmte Problemstoffe eventuell zu verbieten, genauso wie sie PCP, wenn auch ein Jahr zu spät, ganz verboten haben. Das ist ja unstrittig, daß es um die Verminderung von Risiken geht. Dazu wurde ja das Chemikaliengesetz gemacht. Darin steht der Paragraph 17. Da geht es um die Kennzeichnung, um die Begrenzung von Risiken bis zum Verbot des Stoffes. Aber mit dem Verbot von Stoffen schalten wir doch das Risiko nicht aus. Nehmen Sie das Risiko durch Phosphat im Waschmittel. Wir sehen jetzt, daß durch andere Mittel im Waschmittel andere Probleme entstehen können. Verbote allein bringen nicht automatisch die Lösung, es ist in Vernetzungen zu denken. Das klingt eher so, daß Sie den Knüppel, den Sie gegenüber der chemischen Industrie angedeutet haben, wieder zurücknehmen. Ich kann das wirklich nicht sehen, daß wir den Knüppel von der Wand genommen haben. Wir werden das Chemikaliengesetz ver schärfen, das ist bis in die Koalitionsvereinbarungen hinein festgelegt, damit wir schneller zu einer Anwendung von Paragraph 17 kommen. Das Chemikaliengesetz stammt von 1982. Seit dieser Zeit wurden allerdings nur zehn Altstoffe überprüft. Die Umweltministerkonferenz hat 30 weitere Stoffe, die zu überprüfen sind, aufgelistet. Wir brauchen hier eine schnellere Gangart, das ist unstrittig. Aber wir werden das Gesetz nicht aufweichen, sondern verschärfen. Natürlich braucht solch ein Gesetzprüfungsverfahren seine Zeit. Niemand kann mir deswegen vorwerfen, ich hätte den Knüppel von der Wand genommen, aber ich suche weiterhin die Kooperation. Machen wir die Chemie mal konkret. Wir haben jetzt den Fall Perchlorethylen, ein Problemstoff der chemischen Reinigungen. Wir haben ein Problem, aber keinen Grenzwert... ..Natürlich haben wir einen Grenzwert für Perchlorethylen. 30 ppm für die Abluft chemischer Reinigungen, 25 Mikrogramm bei Wasser. Aber keinen für Lebensmittel und für die Wohnräume von Anwohnern. Wir haben bei PER eine neue Einsicht gewonnen. Wir haben erkannt, daß PER eine große Affinität zum Fett hat. Es setzt sich wie ein Magnet auf Fett und reichert sich dort an. Dafür haben wir in der Tat keinen Grenzwert. Wir haben einen Grenzwert am Arbeitsplatz und für die Abluft und müssen uns jetzt fragen, ob die ausreichen. Das Problem Perchlorethylen ist eine Frage des Vollzugs. Was heißt denn Vollzug in diesem Fall? Daß wir z.B. keinen Eisladen in der chemischen Reinigung dulden. Würden Sie denn beim Vollzug bis zur Schließung von chemischen Reinigungen gehen? Das kann ich so abstrakt nicht beantworten. Zunächst müssen wir dafür sorgen, daß die Reinigungen weniger emittieren als bisher. Dafür gibt es eine Handhabe. Wie wollen Sie die Betriebe dazu bekommen? Lassen Sie mich zunächst den Vorwurf zurückweisen, der Stoff wäre nicht bekannt, Vorsorgemaßnahmen wären nicht bekannt und hier wäre nicht gehandelt worden. Ich halte es für sinnvoll, daß uns Bundesgesundheitsamt und die MAK–Werte–Kommission sagen, was konkret zu tun ist. Ich möchte keine politische Entscheidung an die Stelle einer fachlichen Aussage setzen. Es ist insofern nicht gehandelt worden, als sich für die Belastungssituation der Anwohner bis heute nichts geändert hat. Die Leute, die neben und über den Reinigungen wohnen, müssen die Dämpfe schlucken. Es geht nicht ums Dämpfe schlucken. Das ist nicht der Punkt. Niemand hat bis heute die Abluftwerte, also die 30 ppm PER, inkriminiert. Es sind doch alarmierende Werte im Blut von Anwohnern und in Lebensmitteln gemessen worden. Ich habe gestern mit dem Bundesgesundheitsamt darüber gesprochen und natürlich auch die Frage nach Handhabungsnotwen digkeiten gestellt. Man hat mir zugesagt, unsere Empfehlungen gemeinsam mit der MAK–Werte– Kommission zu erstellen. Was soll ein Politiker noch mehr tun, als sich mit denen zusammensetzen, die all das ermittelt haben, und deren Rat zu akzeptieren. Der Fall Perchlorethylen sieht mal wieder so aus, daß die letzte wissenschaftliche Klärung die Legitimation fürs Nichthandeln ist. Ich wehre mich gegen eine solche Unterstellung. Wir können doch nicht nach dem Motto vorgehen: Handeln wir erst mal, das macht sich in der Öffentlichkeit gut. Natürlich will ich handeln, aber ich möchte doch einen Effekt erzielen und nicht handeln um des Handelns willen, zumal durch einen derartigen Aktionismus sehr schnell andere Risiken ausgelöst werden. Wir müssen uns doch fragen, wie wir den Zustand optimal verbessern können. Der Fall PER in chemischen Reinigungen zeigt auch, wie sehr uns die Chemisierung des Alltags im Schraubstock hat. Hier gibt es offenbar Sachzwänge, aus denen man nicht mehr herauskommt. Ich sehe die Sachzwänge, aber ich sehe nicht die Maxime „all or nothing“. Sie wollen die Reinigungen schließen... Das habe ich nicht gesagt. Sie suggerieren, ein Politiker handle nur dann richtig, wenn er verbietet. Ich wehre mich gegen die Abwiegelungspolitik. Wo wiegele ich denn ab? Abgewiegelt wird, wenn es heißt, Perchlorethylen sei erstmal nicht sooo gefährlich. Das höre ich jedesmal, wenn ich beim Bundesgesundheitsamt anrufe. Aber das BGA hat doch selbst die Untersuchungsergebnisse zum Problem Perchlorethylen vorgelegt mit einer eindeutigen Presseerklärung. Schneller Brüter: Ich freue mich immer, wenn meine Briefe so intensiv gelesen werden Der Bundeskanzler kümmert sich ja neuerdings selbst um die Ruine von Kalkar. Es gab verschiedene Fachgespräche. Nach allem, was man von den Sicherheitsproblemen beim Brüter weiß - es gibt Leckagen, fehlende Entsorgung, der Rost nagt, die Möglichkeit eines explosiven Störfalls -, kann der Brüter unmöglich in Betrieb gehen. Das ist ja wunderbar, daß Sie das alles schon so genau wissen. Da kann man ja nur dumm sein, wenn man es nicht weiß oder anders einschätzt. Ich bin nicht der Meinung, daß man Ergebnisse von Genehmigungsverfahren vorwegnehmen sollte. Ob solche Fragen, wie Sie sie gestellt haben, eine Genehmigung unmöglich machen oder nicht, habe ich nicht politisch zu entscheiden. Dafür haben wir ein vernünftiges Genehmigungsverfahren. Was Sie sagen, sind Behauptungen. Ich kann nicht mit Behauptungen arbeiten, sondern nur mit genehmigungsrelevanten Fakten. Die NRW–Landesregierung hat ausführlich begründet, warum sie die nächsten Genehmigungsschritte nicht vollziehen will und welche Sicherheitsmängel da sind. Halten Sie diese monierten Sicherheitsprobleme für gravierend? Die NRW–Genehmigungsbehörde hat sicherheitsbezogene Fragen an den Antragsteller SBK (Schnell–Brüter–Kraftwerksgesellschaft, d. Red.) gestellt. Die SBK hat die Fragen beantwortet, und jetzt muß die Genehmigungsbehörde prüfen, ob diese Antworten hinreichend sind. Die Reaktorsicherheitskommission hat ebenfalls zu diesen Fragen eine Meinung vorzutragen. Das ist der Stand. Sicherheitsbezogene Fragen sind gestellt, und ich kann heute nicht sagen, ob diese Fragen hinreichend oder unzureichend beantwortet wurden. Diese Frage müssen die dafür vorhandenen Fachleute beantworten. Trotzdem haben Sie sicher eine persönliche Position. Wäre Ihnen denn wohler, wenn der Brüter nicht in Betrieb ginge? Es geht hier nicht um meine persönliche Meinung. Mich würde sie brennend interessieren. Ich bin für Reaktorsicherheit zuständig, und ich lehne es ab, in dieses Genehmigungsverfahren mit Meinungen zu intervenieren. Ich kann Ihnen nur sagen, daß nur dann jemand für Kernenergie eintreten kann, und das tue ich, der nicht den Schatten eines Zweifels darauf fallen läßt, daß ihm Sicherheit vor allen anderen Erwägungen geht. Wenn NRW die Inbetriebnahme des Brüters ablehnt, danach sieht es ja aus, werden Sie dann aus Bonn eine Anweisung schicken? Wir werden uns dann die Gründe ansehen, die von der Genehmigungsbehörde für die Ablehnung genannt werden. Ich kann doch heute nichts über eine Anweisung sagen, wenn ich noch nicht weiß, welche Begründungen von NRW zu einer Ablehnung führen. Eine politisch begründete Ablehnung wird zu einer Weisung führen. Sie können doch nicht bestreiten, daß die Inbetriebnahme des Brüters letztlich eine politische Entscheidung sein wird. Die Sicherheitsfrage werden Sie nie eindeutig klären können. Sie sind politisch gefordert. Nehmen Sie den Bethe–Tait– Störfall (Möglichkeit einer atombombenähnlichen Explosion des Schnellen Brüters, d. Red.). Es wird dazu am 30.September hier in Bonn ein Hearing durchgeführt mit allen internationalen Wissenschaftlern, die dazu etwas zu sagen haben. Dann wird man sehen, wie sich ihre Argumente halten oder nicht halten lassen. Wir wollen ja keine Finalität der Wissenschaft, daß ich nur noch frage, was will ich und es mir dann wissenschaftlich untermauern lasse. Welchen Sinn macht für Sie eigentlich noch der Schnelle Brüter? Sie haben in einem Brief an Kohl mit Recht auf die internationale Situation hingewiesen. Außer Frankreich, das die allergröß über die Ruine von Kalkar und und Ökologie–Bewegung bist ein unmoralischer Sauhund“

ten Probleme in Malville hat, wird diese Reaktorlinie nicht mehr verfolgt. Wird hier mit der „Stalingrad–Mentalität“ die längst überholte Utopie der 60er Jahre erfüllt? Ich betone nochmals, ich habe etwas mit Reaktorsicherheit zu tun, ich bin nicht für Forschungspolitik verantwortlich. Für mich steht nicht die Frage im Vordergrund, ob noch jemand den Brüter will, sondern ob er genehmigungsfähig ist. In der Koalitionsvereinbarung steht drin, daß wir die forschungspolitische Notwendigkeit des Brüters überprüfen lassen wollen. Die Studie dazu ist in Auftrag gegeben. Daß die Brüter–Technologie nur noch in Frankreich weiterverfolgt wird, ist außerdem falsch. Auch in anderen Ländern, wie Großbritannien, Japan und der UdSSR, wird diese Technologie weiter verfolgt. Er hat dennoch international keine Perspektive mehr. Das ist doch unstrittig. Das ist Ihre Meinung. Sie haben das auch selbst in Ihrem Brief an Kohl geschrieben. Es freut mich immer wieder, wenn meine Briefe so intensiv gelesen werden. Aber Sie sollten dann auch richtig zitieren. Sie schreiben hier von einer internationalen Entwicklung „weg von der kommerziellen Nutzung der Brutreaktor–Technologie, wie sie zur Zeit festzustellen ist“. Was ich aber auch geschrieben habe, ist, daß es auf die forschungspolitische Bewertung ankommt. Jeder, der sich mit dem Brüter beschäftigt, weiß, daß dies eine Option ist, die erst weit nach dem Jahr 2000 eine Bedeutung haben wird. Es geht hier nicht um die Energieversorgung von morgen und übermorgen. Es geht um ein langfristiges Energiekonzept und die Frage, ob der Brüter darin einen Platz findet. Wiederaufarbeitung: Die verdammte Verdächtigung der militärischen Option Mit dem Brüter eng verknüpft ist die geplante Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf. Was macht die heute noch für einen Sinn? Die WAA ist eine vom Schnellen Brüter unabhängige Notwendigkeit im Brennstoff–Kreislauf. Dies wurde 1979 mit der Zustimmung aller so beschlossen. Es ist für mich unumstritten, daß die WAA in diesem Brennstoff– Kreislauf ihre Position hat und auch behalten wird. Es gebe die Alternative der direkten Endlagerung, die zum einen kostengünstiger ist und zum zweiten sicherer. Es gibt außerdem eine Kehrtwendung von Teilen der Energiewirtschaft, die das WAA– Konzept aus ökonomischen Gründen ablehnen. Ich werde nicht dazu Stellung nehmen, ob dies stimmt, was Sie sagen. Es gibt an vielen Stellen im gesamten Abfall–Bereich die Meinung, daß es leichter wäre, den Abfall einfach wegzuwerfen. Aber wir sagen, wir wollen ihn wiederverwerten. Wenn wir die Wiederaufarbeitung für notwendig halten, dann ist die Frage der Wirtschaftlichkeit sicherlich nicht belanglos. Im Vordergrund steht aber die Feststellung, daß diese Anlage umweltbezogen vertretbar ist. Umweltbezogen sieht es so aus, daß die WAA das gefährlichste Industrieprojekt Mitteleuropas ist. Wenn ich mir dieses Gefahrenpotential ansehe, und wenn dann noch die Industrie bereit ist, die WAA zu abzublasen, dann liegt doch der Verzicht nahe, um dieses große Gefährdungspotential auszuschalten. Nein! Das Gefährdungspotential der WAA ist beherrscht. Es gibt ja schließlich auch an anderen Stellen in der Welt Wiederaufarbeitungslagen... .. die mit erheblichen Problemen arbeiten. Die Internationale Atomenergie–Agentur hat deutlich gesagt, daß man diese Technik auch nutzen sollte, wenn sie verfügbar ist. Ich halte die Wiederaufarbeitung, und das ist der Unterschied zu Ihnen, den man konstatieren sollte, für eine verantwortbare und beherrschte Technologie. Die WAA bringt auch vom Volumen nichts. Wir haben hinterher eher mehr Atommüll als vor der Wiederaufarbeitung. Die WAA bringt anderen Müll. Und es ist ja nicht nur eine Frage des Volumens, sondern eine Frage der Art des Atommülls. Keiner hat gesagt, daß nach der Wiederaufarbeitung eine Endlagerung nicht mehr notwendig wäre. Bei jedem Recycling brauchen Sie irgendwann auch eine Deponie. Trotzdem und nochmal: Welchen Sinn macht die WAA, wenn für den Brüter kein Plutonium mehr benötigt wird? Wir produzieren bereits jetzt MOX–Brennelemente, die Plutonium enthalten. Da in jedem Kernkraftwerk Plutonium entsteht, kann man außerdem schlecht behaupten, daß wir jetzt an irgendeiner Stelle einen Einstieg in die Plutoniumwirtschaft haben. Es geht darum, daß wir über die WAA das Plutonium wieder nutzen. Sie kennen den Vorwurf, daß die WAA den technologischen Schlüssel bietet für die Herstellung von waffentauglichem Plutonium. Sollte man nicht auch wegen dieser Möglichkeit auf das Projekt verzichten? Ich wehre mich mit größtem Nachdruck gegen die Unterstellung, daß mit der WAA die Option auf eine Waffenproduktion offengehalten wird. Wir haben in der Bundesrepublik eine funktionsfähige Demokratie, und wir haben mit dem Atomwaffen–Sperrvertrag ein eindeutiges Wort gesprochen. Ich halte diese Unterstellung für eine Vergiftung des Klimas, die viel schlimmer ist als jede Beschäftigung mit der Kernenergie und die einen größeren Sprengstoff für die Stabilität unserer Gesellschaft beinhaltet. Wir sollten diese verdammte Verdächtigung endlich aus der Welt schaffen. Ich will Ihnen nicht unterstel len, daß Sie persönlich eine atomare Option offenhalten wollen. Ich sage aber, daß mit der WAA eine militärisch nutzbare Infrastruktur geschaffen wird. Ob Sie wollen oder nicht. Und Sie wissen nicht, wie die politische Situation in zehn oder fünfzehn Jahren sein wird, welche Scharfmacher dann wo sitzen. Wenn in fünfzehn Jahren tatsächlich jemand da sein sollte, der sich darauf spezialisiert hat, in der Bundesrepublik Kernwaffen zu produzieren, dann wird er dies auch ohne Wiederaufarbeitungsanlage machen können. Durch solche böswilligen Verdächtigungen, dies sei der bewußte Einstieg in die Kernwaffen–Produktion, wird wirklich ein Sprengsatz in unsere Gesellschaft gelegt, den wir hinterher vielleicht nicht mehr entschärfen können. Bürgerinitiativen: Das tut mir weh, wenn mir unterstellt wird, ich würde den Tod von Menschen in Kauf nehmen Sie haben kürzlich gesagt, daß die Manager der Chemie–Industrie für Sie keine kaltblütigen Profithaie sind, sondern verantwortungsbewußte Menschen mit Frauen und Kindern, die auch unsere Umwelt schützen wollen. Warum billigen Sie diesen Status nicht auch den Bürgerinitiativen zu, die sich leidenschaftlich für die Umwelt einsetzen? Meine bisherige Arbeit war gewiß nicht durch Ausgrenzung gekennzeichnet. Ich habe mich immer um Einbindung bemüht, Meinungen kennenzulernen, mit Menschen zu sprechen, die anderer Meinung sind. Ich grenze vor allem nicht dort aus, wo sich jemand aus heißem Herzen für die Umwelt engagiert. Ich sehe die Grenzen dann, wenn mir selbst das ehrliche Engagement abgesprochen wird oder wenn Gewalt angewendet wird. Können Sie sich vorstellen, eine Studie an das Öko–Institut in Freiburg zu vergeben? Die Bundesregierung hat bereits eine Expertise an das Öko–Institut vergeben. Was auch prompt einen Skandal verursacht hat. Ich will das nicht bewerten. Wir haben Verständnis dafür, daß es vor komplexen Technologien Ängste gibt, daß es Zukunftsängste gibt. Ich bin allerdings sorgenvoll gegenüber der Instrumentalisierung von Angst. Wir können Angst nicht zur Lähmung mißbrauchen lassen. Für mich ist die Angst vieler Menschen eine Herausforderung an meine Politik. Warum laden Sie dann nicht einfach Bürgerinitiativen, die zum Beispiel Angst um die durch Tschernobyl verseuchte Nahrung haben, nach Bonn ein und reden mit denen? Ich habe nach Tschernobyl viele Briefe von Kirchengemeinden bekommen. Ich habe mit diesen Menschen gesprochen. Ich werde jederzeit mit Menschen sprechen, die mich überzeugen wollen, die aber auch genug Offenheit mitbringen, daß wir uns nicht gegenseitig die Moral absprechen. Das tut mir weh, wenn ich irgendwo rede, und dann tritt dort jemand auf, der mir unterstellt, ich würde den Tod von Menschen in Kauf nehmen. Ich habe auch drei Kinder, und ich bin mit der Kernenergie weder verwandt noch verschwägert. Ich sitze in keinem Aufsichtsrat. Und ich weigere mich, in Diskussionen reinzugehen, wo man mir sagt, du bist ein unmoralischer Sauhund. Sie haben erklärt, Sie wollen eine Volksbewegung für den Umweltschutz schaffen. Diese Bewegung gibt es längst. Es gibt eine hohe Sensibilisierung für Umweltthemen und eine Ökologie– Bewegung von Passau bis Flensburg. Warum ignorieren Sie die? Wenn diese Bewegung wirklich da wäre, hätten wir viele Probleme nicht mehr. Dann würde diese breite Volksbewegung an der Zapfsäule das Problem von verbleitem oder unverbleitem Benzin längst entschieden haben. Würde jeder, der bleifrei tanken kann, dies auch tun, dann hätten wir heute nicht nur 800 Tonnen, sondern 2.000 Tonnen Blei weniger. Nehmen Sie die Geschwindigkeitsbegrenzung. Es gibt doch - verdammt noch mal - keine Geschwindigkeitspflicht in der BRD. Wenn wir die Volksbewegung schon haben, warum fahren wir dann nicht vernünftiger? Freiwillige Selbstbegrenzung greift dann nicht, wenn die Industrie nicht genauso gefordert wird wie jeder einzelne. Diese Schlußfolgerung ist mir unverständlich. Das ist doch keine Einbahnstraße. Wir können doch nicht nach dem Motto verfahren: Es gibt viel zu tun, fang du schon mal an. Wir dürfen nicht fragen, entweder der einzelne oder die Wirtschaft. Es geht nur, wenn alle zusammenarbeiten. Außerdem: Vom Verhalten des einzelnen als Verbraucher gehen die wirksamsten Signale aus! EG–Grenzwerte: Wir haben immerhin 650.000 Katalysator–Autos in der Bundesrepublik Die EG will die Grenzwerte für radioaktiv belastete Lebensmittel verdoppeln bis verdreifachen. Was sagt der deutsche Umweltminister dazu? Ich habe sehr deutlich gesagt, daß wir alles dransetzen sollten, um die jetzt vorhandenen Werte weiter zu verlängern. Sie wären also notfalls zu einem nationalen Alleingang bereit. Können Sie das verbindlich zusagen? Es kommt entscheidend darauf an, ob wir das in Europa durchset zen können. Es geht hier um die Rechtsbasis. Wenn wir das nach dem Euratom–Vertrag zu entscheiden haben, wird die Mehrheit entscheiden, und es ist die zentrale Frage, ob wir dann eine Mehrheit bekommen. Ich werde mich nicht umstimmen lassen, ich hoffe aber nur, daß ich nicht überstimmt werde. EG–Umweltpolitik heißt häufig europaweite Nivellierung auf niedrigstem Niveau. Das war beim Katalysator so, beim Bier und jetzt bei den Grenzwerten. Die EG drückt aufs Niveau. Also zunächst einmal bestätigen Sie damit die Vorreiterrolle der Bundesrepublik beim Umweltschutz in Europa. EG–Um weltpolitik ist sicherlich Kärrner– Arbeit. Nationale Alleingänge nützen dabei vielleicht dem Renommee, aber nicht der Umwelt. Ein nationaler Alleingang mit dem Katalysator bei uns und einer Null– Lösung bei den anderen würde zum Beispiel die Importe von Schadstoffen stark erhöhen. 60 Prozent Minderung in Europa ist eben mehr als 90 Prozent bei uns allein. Europäische Umweltpolitik ist dringend notwendig. Wir brauchen sie, auch wenn schwere Verhandlungsrunden auf uns warten. Die Schweiz, Finnland, Österreich und Norwegen haben für sich nationale Alleingänge bei den Auto–Abgasen beschlossen. Nennen Sie mir ein EG–Land. Es muß auch innerhalb der EG möglich sein. Nein, nein, nein, diese Möglichkeit ist eben nicht da. Aber dann darf ich auch die faulen EG–Kompromisse nicht als historischen Schritt und großen Erfolg verkaufen, wie es Zimmermann beim Katalysator getan hat. Der EG–Flop von Luxemburg zeigt sich doch jetzt. Er hat keinerlei Rechtsverbindlichkeit und wird bis heute befehdet. Der Luxemburger Kompromiß von 1985 ist in der Tat noch nicht fixiert, aufgrund eines Vorbehalts von Dänemark. Die wollen eine Verschärfung. Das ist richtig. Aber dennoch ist der Katalysator kein Flop gewesen. Wir haben immerhin 650.000 Katalysator–Autos in der Bundesrepublik. Das macht gerade mal drei Prozent aller Autos aus. Wenn Sie mich vor drei Jahren gefragt hätten, ob wir 1987 in der BRD 650.000 Katalysator–Autos haben und ein flächendeckendes Netz mit bleifreiem Benzin, dann hätte ich gesagt, das werden wir nicht erreichen. Unter dem Strich haben wir durch mehr Kfz–Zulassungen, mehr gefahrene Kilometer, stärkere Autos und schnelleres Fahren eine Zunahme der Abgas–Emissionen von 40.000 Tonnen Stickoxid im vergangenen Jahr. Wir haben zunächst eine starke Minderung an Blei. Das ist eine faszinierende Sache. Aber gerade hier zeigt sich die Notwendigkeit einer europäischen Harmonisierung. Es geht nicht nur darum, was wir für richtig halten, es geht auch darum, unsere Nachbarn zu überzeugen, daß sie mitziehen. Interview: Manfred Kriener und Felix Kurz

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