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Neutronenbombe kein Thema für Bonn

■ Kanzlerberater Teltschik: Französische Vorschläge über Stationierung der Neutronenwaffe in der BRD absoluter Blödsinn / SPD äußert sich entschieden gegen Neutronenbombe auf deutschem Boden / Opposition: Kaltgeplante Störung der Genfer Verhandlungen

Berlin (taz/ap/dpa) - Die Bundesregierung hat am Dienstag versucht, die französischen Überlegungen über eine Stationierung der Neutronenbombe nahe der Elbe als „reine Spekulation und absoluten Blödsinn“ abzutun. In diesem Sinne äußerte sich der sicherheitspolitische Berater von Kanzler Kohl, Teltschik, gegenüber der Hamburger Morgenpost. Diese Überlegungen entbehrten „jeder vernünftigen Grundlage“ und kämen von „Politikern, die keine Verantwortung haben“. Bei den beiden Politikern, die in der taz vom Dienstag die französischen Vorschläge zur Neutronenbombe bekannt gemacht hatten, handelt es sich um den angesehenen Verteidigungsexperten und Fraktionschef der regierenden Gaullisten Pierre Messmer und um den Ex–Verteidigungsminister und Mitterrand– Berater Charles Hernu. Zu Kontakten über die Stationierung der N–Bombe sagte Teltschik: „Weder von uns, noch von französischer Seite ist je die Initiative zu einem solchen Gespräch ausgegangen oder zu erwarten. Die beiden französischen Poli tiker hatten gegenüber der taz die Stationierung der Neutronenbombe auf deutschem Boden befürwortet. Sie boten der Bundesregierung mit der „Zweischlüssellösung“ ein Mitentscheidungsrecht über den Einsatz der Waffe an. Aus Bonner Regierungskreisen verlautete, man wolle sich nicht in innerfranzösische Angelegenheiten einmischen. Währenddessen distanzierten sich Verteidigungspolitiker von Koalition und Opposition in Bonn von den Vorschlägen ihrer französischen Kollegen. Der Vorsitzende des Bundestags–Verteidigungsausschusses, Alfred Biele (CSU), sagte: „Die Neutronenbombe ist kein Thema.“ Hernu und Messmer setzen aus seiner Sicht angesichts der in Genf laufenden Abrüstungsverhandlungen ein „falsches Signal“. Für die SPD äußerten sich der SPD–Obmann im Auswärtigen Ausschuß, Karsten Voigt, und der Vorsitzende der niedersächsischen Landtagsfraktion, Gerhard Schröder. Voigt erklärte, seine Partei wende sich entschieden gegen eine Stationierung von Neutronenbomben in der Bundesrepublik. Von der Bundesregierung erwarte die SPD Aufklärung, ob Kanzler Kohl bei seinen jüngsten Gesprächen in Paris gegenüber der dortigen Regierung „Zusagen in Bezug auf die Stationierung französischer Nuklearwaffen und insbesondere der Neutronenbombe“ gemacht habe. Schröder bezeichnete die französischen Vorschläge als „kalt geplante Störung der Genfer Abrüstungsgespräche“. „Falls die Bundesregierung die abenteuerlichen Pläne zur Stationierung der Bombe nicht unverzüglich zurückweist, werden SPD und Friedensbewegung ihr Beine machen.“ Sowohl Bühle wie Voigt kritisierten das französische Angebot, der Bundesregierung das Mitentscheidungsrecht für den Einsatz der Neutronenbombe von deutschem Boden aus einzuräumen. Die Bundesrepublik wolle „keinen Finger am nuklearen Drücker“. Fortsetzung auf Seite 2 Gegenüber der französischen Nachrichtenagentur afp sagte Hernu gestern: „Ich habe immer versichert, bevor ich Verteidigungsminister war, während, danach und heute, daß die Neutronenwaffe eine sehr strategische Waffe sei und daß in Frankreich die Strategie und die Prästrategie (die „Prästrategie“ betrifft den Einsatz der taktischen Atomwaffen, G.B.) allein dem Chef der Streitkräfte, dem Staatspräsidenten, zusteht.“ Diese Stellungnahme läßt vermuten, daß Mitterrand die Aussagen seines Beraters Hernu mißfielen. Hernu revidiert zwar nicht seine Stellungnahme, zieht sich jedoch hinter die unbe streitbare Entscheidungsvollmacht des Präsidenten in der Stationierungsfrage der Neutronenbombe zurück. Weiter sagte Hernu: „Zur Stationierung unserer Atomstreitmacht und zu ihrer Aufgabe habe ich nie gesagt, daß diese Garantie unseren deutschen Freunden gegeben werden sollte. Ich meine ganz einfach, daß sie wissen sollen, daß wir bereit sind.“ In der Tat hatte Hernu im taz–Interview nicht von einer allgemeinen Ausweitung des französischen Atomschutzes auf die Bundesrepublik gesprochen. Er schlug vielmehr konkret vor, für den Fall der Stationierung taktischer französischer Atomwaffen in der BRD der Bundesregierung die „Zweischlüssellösung“ anzubieten. Die „Zweischlüssellösung“ hatte Hernu selbstverständlich nicht auf den Einsatz der stra tegischen französischen Atomwaffen bezogen. Zu den Veröffentlichungen der taz nahm auch der Leiter des Stockholmer Friedensinstitut SIPRI, Stützle Stellung: „Die Diskussion über die Stationierung von Neutronenwaffen kann den Effekt haben, daß im Westen wie auch in Moskau Zweifel an der Verhandlungsbereitschaft der westlichen Staaten und insbesondere an der Position Frankreichs entstehen.“ Ihn mache stutzig, so der Rüstungsexperte, daß französische Politiker angeboten haben sollen, der Bundesrepublik eine Teilhabe an der Entscheidung über solche Waffen einzuräumen. „Das ist ein völliger Kurswechsel in Paris. Es war nie französische Position, der Bundesrepublik einen Finger mit an den Abzug zu geben.“

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