Stationierungslogik

■ Frankreichs Neutronenwaffe hat nur in der BRD Sinn

Es ist selbstverständlich, daß es ehemaligen Verteidigungsministern leichter fällt als den heutigen Regierungsverantwortlichen, ein Tabu–Thema in der französischen Verteidigungspolitik, wie es die Stationierung der Neutronenbombe darstellt, aufzugreifen. Doch sind die beunruhigenden Pläne Hernus und Messmers nicht aus der Luft gegriffen. Frankreich hat die Neutronenbombe nicht umsonst gebaut. Alle bedeutenden französischen Politiker, Sozialisten, Gaullisten, Liberale und neuerdings auch der rechtsradikale Le Pen haben die Entwicklung dieser Waffe in den letzten Jahren befürwortet. Kommunisten und die wenigen Grün–Alternativen standen in der Opposition zur Neutronenbombe immer allein. Der Schritt, den Hernu und Messmer nun wagten, nämlich nach dem Bau der Bombe deren Stationierung in der Bundesrepublik zu verlangen, mag spektakulär erscheinen. Er ist jedoch von einfacher Logik. Eine in Frankreich stationierte Neutronenbombe, das weiß jeder französische Verteidigungspolitiker, macht keinen Sinn. Die Bombe soll gegen massive Panzerverbände des Warschauer Paktes eingesetzt werden, und dazu gehört sie in die Bundesrepublik. Solange Frankreich sich nicht bereit erklärt, heute und für immer auf die Neutronenbombe zu verzichten, stellt sich die Stationierungsfrage in der Bundesrepublik. In diesem Licht erscheint die Reaktion der Bundesregierung, die mit Kanzlerberater Teltschiks Worten die französischen Vorschläge als „absoluten Blödsinn“ abkanzelte, schlichtweg als Ausflucht. Wenn Verteidigungsminister Wörner nun sagt, diese Frage sei aber „nicht aktuell“, so hat er aus seiner Sicht recht. Bis zur französischen Präsidentschaftswahl im Mai 1988 ist von der Pariser Regierung kein offizieller Vorschlag zur Stationierung der Neutronenbombe zu erwarten. Dann aber kann es schnell gehen. Gewinnt die Rechte mit einem ihrer Kandidaten, Jacques Chirac oder Raymond Barre, die Wahl, so wird es einen französischen Präsidenten geben, der über die Serienproduktion der Neutronenbombe entscheiden kann und dies bisher ausdrücklich befürwortet. Die Serienproduktion ohne Stationierungsperspektive gibt es nicht. Sicherlich ist die Position Mitterrands, dem wahrscheinlichen Präsidentschaftskandidaten der Sozialisten, offen. Daß sein früherer Verteidigungsminister Hernu heute zu seinen Aussagen nicht stehen will, geht mit Sicherheit auf Mitterrands Initiative zurück. Doch wer immer sich um eine verstärkte deutsch–französische Zusammenarbeit auf militärischem Gebiet bemüht, wie es die Regierungen in Bonn und Paris seit Jahren gleichermaßen tun, der wird auf kurz oder lang nicht umhinkommen, die Frage der atomaren Kooperation am Rhein zu beantworten. Geleitet von ungebrochenem Selbstverständnis als „mittlere Großmacht“ denkt Paris verteidigungspolitisch nach wie vor fast ausschließlich in atomaren Kategorien. Die französischen Beweggründe für die Annäherung an Bonn liegen im alten Interesse De Gaulles, eine autonome Atommacht Westeuropa aufzubauen. Die derzeitige Bundesregierung leugnet das Pariser Interesse an einer gemeinsamen Atompolitik. Dessen ungeachtet aber hat sich in der Bundesrepublik eine große Koalition führender Politiker von Dregger bis Schmidt herausgebildet, die im Bündnis mit Frankreich die einzige Alternative zum aus ihrer Sicht heute unvermeidbaren Rückzug der Amerikaner aus Europa sehen. Die Diskussion datiert aus den fünfziger Jahren. Doch in Bezug auf Gorbatschows Vorschläge ist sie aktueller denn je. Georg Blume