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Nacht–und–Nebel–Aktion gegen die PKK in Köln

■ Schwerbewaffnete SEK–Einheiten stürmten Wohnungen und Verlagsräume der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) / „Verdacht der Freiheitsberaubung“ / Neben Schriften und Aufzeichnungen beschlagnahmte die Polizei bei der Razzia 750.000 DM Bargeld

Aus Köln Peter Bartels

In den frühen Morgenstunden des 27. Juli 1987: Schwerbewaffnete Kölner SEK–Einheiten stürmen drei Privatwohnungen von Anhängern der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sowie die Räume des Verlages AGRI, der in der Bundesrepublik unter anderem die Publikationen der PKK, der Nationalen Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) und des Kölner Kurdistan–Komitees herausgibt. Nach Angaben der Bewohner fielen die Beamten über sie her und traten und sprangen auf am Boden Liegende, unter denen sich auch einige Frauen befanden, die nach jahrelanger Haft in türkischen Gefängnissen erst vor kurzem Zuflucht in der Bundesrepublik Deutschland gefunden hatten. Neben zahlreichen Schriften und internen Aufzeichnungen, darunter Verzeichnisse über Kontakte in der Türkei, beschlagnahmten die Polizeikräfte Bargeld in Höhe von einer Dreiviertelmillion Mark in verschiedenen Währungen sowie Gold– und Schmuckstücke. Drei Personen wurden vorübergehend festgenommen, zwei von ihnen erkennungsdienstlich behandelt. Durchsuchungen und Beschlagnahmungen geschahen auf Anordnung der Kölner Oberstaatsanwaltschaft, die die Razzia mit dem Verdacht der Freiheitsberaubung begründete. Konkrete Angaben über den Hintergrund des Verfahrens gegen Unbekannt wurden den Festgenommenen und ihrem Anwalt verweigert, auch eine richterliche Unterschrift konnten die Beamten des ermittelnden 14. Kommissariats der Kölner Polizei, der Staatsschutzabteilung in der Domstadt, wegen angeblicher „Gefahr im Verzug“ nicht vorlegen. Die Nacht–und–Nebel–Aktion kam erst zwei Tage später an die Öffentlichkeit, weil die Ermittlungsbehörden umgehend eine Nachrichtensperre verhängten, die auch eine Woche später noch besteht. Auf einer Pressekonferenz in Bonn erläuterte am vergangenen Donnerstag der im schwedischen Exil lebende kurdische Rechtsanwalt Hüseyin Yilderim die Stel lungnahme der ERNK zu der Kölner Geheimrazzia. Yilderim machte die Bundesregierung dafür verantworlich, im Auftrage der Machthaber in Ankara gegen die „kurdischen Patrioten in der Bundesrepublik“ vorzugehen, obwohl die Arbeiterpartei Kurdistans, die Nationale Befreiungsfront und verbündete Organisationen in keinem westeuropäischen Land gegen geltende Gesetze verstoßen oder terroristische Akte begangen hätten. Auch Gewalttaten gegen andere kurdische Organisationen hätte es nie gegeben, behauptete Yilderim auf Nachfragen der Pressevertreter. Vielmehr seien „viele Freunde der ERNK in den vergangenen Jahren in Europa auf offener Straße ermordet“ worden. Yilderim konnte sich keinen Reim auf den staatsanwaltlichen Vorwurf der Freiheitsberaubung machen. Die beschlagnahmten Gelder seien Eigentum des Pariser Kurdistan–Komitees und für die Unterstützung politischer Gefangener in der Türkei bestimmt. ERNK–Sprecher Yilderim und der Kölner Anwalt Paul Jochum machten neben der Bundesregierung auch kurdische Exilorganisationen und deutsche Solidaritätsgruppen für den „Polizeiterror gegen die PKK“ verantwortlich. Deren Veröffentlichungen, in denen die Frühjahrs–Gewaltkampagne der PKK gegen andere kurdische Vereinigungen als „terroristisch“ kritisiert worden war, seien „Anhaltspunkte für ein Gesamtkonzept“, in dessen Rahmen die Polizeiaktionen gegen die PKK stünden. Die Kölner Razzia habe der Befreiung des seit Ende Juni verschollenen PKK–ZK–Mitglieds Ali Cetiner gegolten, sagen die Ermittlungsbehörden. Sie wollen wissen, daß sich Cetiner in Gewahrsam der PKK befindet oder nicht mehr lebt. Nach Informationen aus PKK–Kreisen soll sich Cetiner einem Rückruf in die syrische PKK–Zentrale entzogen haben und untergetaucht sein. Ein weiteres Verfahren bei der Kölner Oberstaatsanwaltschaft lautet auf Verdacht eines Tötungsdeliktes. Denn am 17. Juli stürzte der zweite Mann der PKK in Westeuropa, das ZK–Mitglied Dogan Karakoc, aus dem neunten Stockwerk eines Kölner Hochhauses. Die Polizei ermittelte Freitod. Freunde des Toten verweisen auf die schrittweise Entmachtung des PKK–Funktionärs, der sich auf dem letzten Parteitag im Herbst 86 der allgemein verordneten Selbstkritik widersetzt habe. Die scharfe Kritik der bundesdeutschen Sicherheitsbehörden war seit der letzten Innenministerkonferenz im April 1987 abzusehen. Seitdem bereiten Polizei, Justiz und Innenministerien einen großen Schlag gegen die PKK und ihre Organisationen vor (siehe taz vom 2.7.87). Einander widersprechende Informationen aus den Sicherheitsbehörden weisen entweder auf ein verdeckt eingeleitetes Ermittlungsverfahren gegen die militärischen Organisationen der PKK als terroristische Vereinigungen hin, für das die Bundesanwaltschaft verantwortlich zeichnen würde, oder aber sind als Zeichen eines vereinsrechtlich begründeten Verbots der PKK–Organisationen durch den Bundesinnenminister sehen.

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