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Paris schweigt zur Bombe

Von Walter Schütze*

Der von den beiden früheren französischen Verteidigungsministern Hernu und Messmer in der taz gemachte Vorschlag, auf dem Boden der Bundesrepublik französische, mit Neutronenköpfen versehene Atomraketen unter dem sogenannten doppelten Schlüssel–System zu stationieren, ist in den amtlichen Pariser Kreisen mit Schweigen aufgenommen worden. Das kann nicht verwundern, denn ein solch heißes Eisen will hier niemand anfassen, selbst nicht im berühmten Sommerloch. Pierre Messmer, heute Fraktionsvorsitzender der neo–gaullistischen Partei RPR in der Nationalversammlung, war von 1962 bis 1969 Armeeminister unter de Gaulle, und Charles Hernu leitete das Verteidigungsministerium unter Präsident Mitterrand von 1981 bis zu seinem Sturz wegen des „Greenpeace“–Skandals im Herbst 1985. Beide galten bisher nicht als Verfechter der Produk tion und Einführung der „Neutronenbombe“, und Hernu zumindest hat sich im Amt mehrfach öffentlich dagegen ausgesprochen, durchaus im Einklang mit Mitterrand und den Sozialisten, die noch im Sommer 1982 in ihrer Erklärung zur Sicherheitspolitik festgestellt hatten, diese Sprengköpfe seien in ihrem militärischen Wert umstritten und ein politisches Hindernis für Abrüstung. An seinem „Nein“ hat zumindest Mitterrand auch nach dem Wahlsieg der Rechts–Koalition im März 1986 festgehalten, und so gehört das Thema „Neutronenwaffe“ in den brisanten Korb der „Cohabitation“, des Mit– und - zumeist - Gegeneinanders von sozialistischem Staats– und konservativem Regierungschef, das heißt zu den Strategie– und Rüstungsentscheidungen, die mangels Übereinstimmung jedenfalls bis zu den Präsidentschaftswahlen im April/Mai 1988 aufgeschoben wurden. Der ansonsten immer beschworene „Nuklear–Konsens“ besteht hier nicht, denn die Wende–Regierung hat sich in ihrer Koalitionsabsprache darauf geeinigt, die Serienproduktion der Neutronenköpfe und damit die Einführung bei der Truppe durchzuführen. Innerhalb der RPR Chiracs und bei den Rüstungs–Technokraten allerdings wurde kritisiert, die hierfür erforderlichen Milliardenbeträge könnten besser für andere Zwecke, zum Beispiel die Stärkung der konventionellen Kampfkraft des Heeres, verwandt werden, doch gab der Premierminister dem Druck des Partners (UDF) nach. Der zur RPR gehörende Vorsitzende des Verteidigungsausschusses der Nationalversammlung, Franois Fillon, erklärte so im letzten April anläßlich der Verabschiedung des neuen Fünfjahresplanes für die Rüstungen, leider seien die (West–) Deutschen noch nicht von der Notwendigkeit der Neutronenwaffe überzeugt! Ganz abgesehen davon, daß es sich hier um eine rein nationale Frage handelt, bleibt unverständlich, warum man ausgerechnet Bonn diesen Schwarzen Peter zuschieben will? Der Grund für die Blockierung der Neutronenbombe liegt darin, daß Mitterrand sein Veto eingelegt hat und auf der Position beharrt, die er seit seinem Amtsantritt eingenommen hat. Diese besagt, die Entwicklungsarbeiten an dem Neutronen– Sprengkopf werden zwar fortgeführt, doch über die Produktion werde erst später unter Berücksichtigung der internationalen Sicherheitslage entschieden. Wenn aber nun zwei ehemalige Verteidigungsminister für die Neutronenwaffe eintreten, dann ist es nur konsequent, daß sie für Trägersysteme, dafür kommt heute die „Pluton“–Rakete mit einer Reichweite von 120 Kilometer und später die Hades mit 350 Kilometer Reichweite in Frage, die Stationierung auf deutschem Boden fordern. Das geht aber nur mit Einwilligung der Bundesregierung, und bereits 1972, noch unter Präsident Pompidou, hatte man in Bonn angefragt, ob man mit einer solchen Stationierung einverstanden wäre. Die Antwort lautete damals unter Verteidigungsminister Helmut Schmidt, Bonn sei nicht zuständig, die Franzosen müßten sich an den NATO–Oberbefehlshaber wenden und vor allem eine gemeinsame Nuklearzielplanung innerhalb des Bündnisses akzeptieren, was die Franzosen selbstverständlich ablehnten. Querschuß... Bereits damals war das sogenannte Verfahren des doppelten Schlüssels im Gespräch. Das vitale Interesse der Bundesrepublik ist jedoch nach wie vor darauf gerichtet zu verhindern, daß Frankreich von sich aus und ohne Absprachen mit der NATO als erster in einem Konflikt Atomwaffen einsetzt und damit die Nuklear– Eskalation, und das heißt die Zerstörung des eigenen, deutschen Landes auslöst. Dieser Tatbestand sollte auch den Herren Messmer und Hernu bekannt sein, und man muß sich fragen, warum ausgerechnet heute, wo es um die Verminderung der Atomwaffen in Europa geht, aus Paris und von der unheiligen Allianz eines Gaullisten und Sozialisten ein derartiger Querschuß kommt, der zu allem Überfluß eine Debatte akut werden läßt, welche beide Regierungen bisher vermieden haben. *Walter Schütze ist seit 27 Jahren wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Französischen Institut für Außenpolitik (IFRI) in Paris. Er leitet dort die Forschungsgruppe für deutsch–französische Beziehungen (CERFA). Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a. regelmäßig in politique etrangere, der offiziellen Revue für französische Außenpolitik.

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