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Was ein WAA–Gegner im Auto haben darf

■ Erwartete exemplarische Verurteilung fand nicht statt: Freispruch im Erlanger Zwillen–Prozeß kam überraschend / Staatsanwalt wollte Ausweitung des Versammlungsgesetzes auf das zeitliche und räumliche Vorfeld einer Demo

Aus Erlangen Wolfgang Gast

Erlangen (taz) - Als Richter Dr. Kunz nach kurzem Überlegen den Freispruch bekannt gab, jubelten die Zuschauer im Sitzungssaal. Niemand hatte mehr damit gerechnet, daß Ralf J., angeklagter WAA–Gegner aus Erlangen, freigesprochen würde. Selbst sein Regensburger Anwalt Franz Schwinghammer hatte in seinem Plädoyer auf höhere Instanzen verwiesen, die an einer Verurteilung interessiert seien. Ralf J. sei ausgesucht worden, weil ein Exempel „gegen bekannte Personen aus dem Widerstand“ statuiert und das Versammlungsstrafrecht „in einem Lehrbeispiel“ auf kaltem Wege ausgeweitet werden sollte. Am Vorabend der Großdemonstration in Wackersdorf am 7.6. letzten Jahres war Ralf J. nach einer Fahrzeugkontrolle in Erlangen festgenommen worden. Bei der Durchsuchung des Wagens vor der Erlanger Szene–Kneipe „Wirtschaftswunder“ waren in dem Fahrzeug eine Zwille, Stahlmuttern, Feinstaubfilter, eine Motorradunterziehhaube Haßmaske heißt det, d.sin und ein abgebrochener Stoßdämpfer gefunden worden. Dem Staastanwalt Dr. Dettenhofer, der eigens für das Verfahren von der Nürnberger Anklagebehörde nach Erlangen abgestellt worden war, reichte das aus, einen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz zu konstruieren. Ralf sei gemeinsam mit zwei weiteren Fahrzeuginsassen auf dem Weg zur verbotenen Demonstration im 80 Kilometer entfernten Wackersdorf gewesen. Bei den Gegenständen im Auto hätte es sich um „eine Ausrüstung, die ein militanter WAA–Gegner so hat“, gehandelt, strafbar nach dem Versammlungsgesetz. Zehn Monate ohne Bewährung hatte er gefordert, insbesondere zum Schutz der öffentlichen Rechtsordnung. Die Beweisaufnahme ergab nach und nach, daß die Kontrolle und Durchsuchung des Fahrzeugs keineswegs Zufall gewesen ist. Nach den Aussagen der Polizeizeugen schälte sich heraus, daß das Fahrzeug bereits vor einer Szene–Kneipe „in Nürnberg oder Fürth“ von einem Nürnberger Zivilfahrzeug observiert worden war. Die Besatzung der Zivilen hatte sich dann über Funk mit dem Namen „pegnitz“ (Codename für das Nürnberger Polizeipräsidium) bei der Erlanger Polizeidirektion gemeldet und die Durchsuchung des PKW angeordnet. Dabei sollte besonders nach „aktiven und passiven Waffen“ Ausschau gehalten werden. Die Aktion selber verfolgten sie aus gebührendem Abstand, den ausführenden Streifenbesatzungen erklärten sie über Funk, daß sie am Schauplatz nicht gesehen werden wollten. Das Interesse an der Verfolgung von Ralf J. zeigte sich erneut, als im Dezember gegen ihn Haftbefehl erlassen wurde. Die Ermittlungsverfahren gegen die beiden anderen Fahrzeuginsassen waren unterdessen eingestellt worden, weil die im Fahrzeug sichergestellten Gegenstände nicht eindeutig den Mitfahrern zugeordnet werden konnten. Am 30.6. wurde Ralf J. wegen Fluchtgefahr verhaftet, trotz fester Arbeit und festen Wohnsitzes. Bis zur Verhandlung am Montag saß er in Untersuchungshaft, eine Haftbeschwerde war von Amtsrichter Kunz verworfen worden. „Keinerlei Zweifel“ hatte Staatsanwalt Dettenhofer: Der Angeklagte war auf dem Weg zur WAA–Großdemo, die Anreise am Vorabend hätte der „Risikominimierung“ einer Kontrolle gedient, entsprechende Taktiken für die Demo hätten vorab mit anderen abgesprochen werden sollen und „Gegenstände, die zu Gewalt gegen Menschen und Sachen bestimmt sind, versteckt werden können“. Rechtsanwalt Schwinghammer monierte bei der Staatsanwaltschaft die „Gesinnung, die hinter den Indizien kaschiert“ werde. Wenn gegen seinen Mandanten der Haftbefehl vollstreckt und die Anklage erhoben wurde, so doch nur, um dem „sich konkretisierenden Widerstand die Spitze zu brechen“. Mit der Logik der Staatsanwaltschaft solle das Versammlungsrecht noch weit über die Bestrebungen der Bayerischen Staatsregierung hinaus verschärft werden. Wenn man der Indizienkette der Anklage folge, könnte zukünftig jeder Autofahrer an x– beliebigen Orten nach dem Versammlungsgesetz festgenommen werden, da er auf dem Weg zu einer Versammlung sein könne. Der Benzinkanister im Kofferraum werde dann zum Ausgangsprodukt für Molotow–Cocktails und der Werkzeugkasten zur Waffe im Sinne des Versammlungsgesetzes. Richter Kunz wollte der Logik des Anklägers nicht folgen. Zu dünn schien ihm der Schluß, Ralf J. sei auf dem Weg nach Wackersdorf gewesen. Ebenso sei vorstellbar, daß andere Personen von Erlangen aus mit diesem Wagen hätten weiterfahren wollen. Auch sei nicht hinreichend bewiesen, daß die im Wagen vorgefundenen Ge genstände eindeutig dem Fahrzeugführer zuzuordnen seien. Man könne nicht einmal behaupten, daß er von der Existenz der Schleuder im Auto gewußt habe. Die Urteilsbegründung fand unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Nach den Beifallskundgebungen beim Freispruch hatte Richter Kunz den Saal räumen lassen. Für die sechswöchige Untersuchungshaft soll der Freigesprochene Haftentschädigung erhalten.

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