: Geschäfte mit dem Deutschtum
■ Fälscherring aufgeflogen, der jahrelang ausreisewilligen Polen Dokumente zum Nachweis ihrer „Deutschstämmigkeit“ beschaffte / Süd– und Osteuropäer erhalten Vergünstigungen / Allein 143 in Bochum
Aus Bochum Corinna Kawaters
Gute Geschäfte mit dem Nachweis der „Deutschstämmigkeit“ machte jahrelang ein Fälscherring, der jetzt aufflog. Ein Bochumer, der selbst aus Polen eingereist war, beschaffte für ein rundes Sümmchen seinen als Touristen oder Asylbewerber eingereisten Landsleuten die erforderlichen Nachweise und Abstammungsurkunden, mit denen sie ihr „Deutschtum“ nach dem Bundesvertriebenengesetz von 1953 belegen konnten. Anders als Flüchtlinge aus sonstigen Ländern wird denen aus Süd– und Osteuropa in der Bundesrepublik einiges geboten: „Ar beitslosengeld oder Sozialhilfe, zinsverbilligte Einrichtungsdarlehen, Entschädigung für den Hausrat, den sie zurücklassen mußten, Steuerermäßigungen und Flüchtlingskredite“, nennt Herr Vicking, der Pressesprecher der Stadt Bochum, als Vergünstigungen für Spätaussiedler. Anders auch als die übrigen Flüchtlinge können die Aussiedler nach der Registrierung ihrer Deutschstämmigkeit die Stadt wählen, in der sie leben wollen. Der endgültige Abstammungsnachweis, der ihnen das „Bleiberecht“ und die genannten Vergünstigungen sichert, muß vor dem örtlichen Sozialamt geführt werden. Doch schon im südniedersächsischen Durchgangslager Friedland war in den vergangenen Monaten aufgefallen, „daß Angaben gemacht wurden, die so nicht stimmen konnten“, sagt Herr Zurhausen, Sprecher des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS), das für Vertriebene und Spätaussiedler zuständig ist. Ein weiteres Merkmal war, daß die Antragsteller offenbar in zu vielen Fällen mit den gleichen „Betreuern“ auftraten, die sich später als Mitglieder des Fälscherringes entpuppten. Anonyme Hinweise kamen dazu, so daß das MAGS mit Unterstützung des Landeskriminalamts und der Schwerpunktstaatsanwaltschaft Dortmund direkt vor Ort ermittelte. Im Bochumer Sozialamt wurden die Ermittler fündig: Bisher fielen bei den Untersuchungen 143 Fälle „falscher Deutscher“ auf. Im Bochumer Sozialamt hat diese Affäre inzwischen einiges Chaos verursacht. Nicht nur, daß geprüft wird, ob ein Mitarbeiter in den Schwindel verwickelt ist, jetzt müssen auch sämtliche Anträge datiert ab 1.1.85 überprüft werden. Es handelt sich dabei „sicherlich um eine vierstellige Zahl von Fällen“, schätzt Pressesprecher Vicking. Und bis zur Auflösung des Rätsels, wer zu unrecht kassiert hat, würden erstmal „alle auf Null gestellt“, erklärte er.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen