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„Es is so a netter Stammtisch wordn“

■ Volkszählung im Allgäu: Ein hartes Brot für Boykotteure / Der Verwaltungsapparat reagiert schnell / „Hier kennen uns alle“ / Initiative gibt auf / Prozesse nur in aussichtsreichen Fällen / Überredungsversuche beim Schafskopf

Von Luitgard Koch

Sonthofen (taz) - „Das ist der seltene Fall, daß wir in der Provinz mal vorn dran sind“, bemerkt Karl Fels* mehr oder weniger ironisch. Der 29jährige Fotograf aus dem Luftkurort Sonthofen ist Mitglied einer Allgäuer Vobo–Gruppe. Wöchentlich treffen sich rund 60 Aktive aus Sonthofen und Umgebung im Gasthof Fluhenstein. Während im benachbarten Kempten erst die ersten Zwangsgeldandrohungen eintrudeln, sind hier einige bereits mit 700 Mark und der Anhörung zum Bußgeldbescheid dabei. Führend bei der schnellen Verfolgung der Boykotteure ist der Leiter der Erhebungsstelle der 2.500 Einwohner zählenden Gemeinde Burgberg: der CSU–Landtagsabgeordnete und stellvertretende Bürgermeister Alfons Zeller. Innerhalb weniger Wochen wurde gegen ein Burgberger Ehepaar das ganze Verfahren vom ersten Zwangsgeldbescheid bis zum Bußgeld über 500 Mark durchgezogen. „Der Regierungsbezirk Schwaben ist der absolute Vorreiter auf dem Gebiet“, vermutet Alois Gruber von den Grünen. Beim Treffen vor zwei Wochen hatte die Stimmung der Gruppe ihren Tiefpunkt erreicht. Der 32jährige Anwalt der Vobos machte den Mitgliedern klar, daß nicht zuletzt nach dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 1.Juli wenig Hoffnung bestehe. (Das Gericht schmetterte eine Klage auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ab und bezeichnete die Volkszählung insgesamt als rechtmäßig.) Runde 50.000 Mark würde es kosten, allein für die Gruppe von 62 Leuten die Verfahren durchzuziehen. „Wir wollen dem Staat nicht unbedingt auf die Tour die Volkszählung finanzieren“, so der Anwalt. Auch Eberhard Bueb, Vorstandssprecher der Grünen, erklärte vergangene Woche: „Wir wollen keine Märtyrer“, und schlug vor, daß vor allem „Härtefälle“ auf dem Land ihre Bögen abgeben sollten. Danach stand das Telefon in der Grünen–Landesgeschäftsstelle nicht mehr still. Es hagelte empörte Anrufe. „Von einem Aufruf zur Abgabe der Bögen kann keine Rede sein“, versucht der grüne Volkszählungsbeauftragte Winfried Eckhard die Gemüter zu beruhigen. Die Sonthofener Vobo–Gruppe hatte sich bereits beim letzten Treffen darauf geeinigt, nur in fünf aussichtsreichen Fällen, wie etwa bei einem Selbstständigen, zu prozessieren. Weiterkämpfen wird auch Schorsch Huber aus Rettenbach. Er hat sich schon zu weit aus dem Fenster gelehnt, um noch einen Rückzieher zu machen. CSU–Bürgermeister Wörl aus dem 3.000–Seelen–Ort unweit von Sonthofen hat ihn persönlich immer wieder angerufen und zuhause besucht. „Als ich ihn gefragt hab, ob denn ein Verweigerer seine Karriere gefährdet, hat ers verneint“, erzählt der 34jährige. Beim ersten Telefonat konnte er mit dem Hinweis, daß man gerade eine Prozeßgemeinschaft gegründet habe und er das nächste Treffen abwarten möchte, eine Gnadenfrist von einer Woche herausschinden. Danach kamen die Zwangsgeldbescheide. Mit der Drohung, wenn er jetzt seinen Bogen nicht endlich abgebe, sei das dritte Zwangsgeld fällig, versuchte ihn der rührige Bürgermeister weichzukochen. Gleichzeitig machte er dem aufrechten Vobokämpfer das Angebot die 700 Mark Zwangsgeld zu vergessen, falls er jetzt sofort zum Stift greife. „Wart ma mal bis Sonntag, hab i gsagt, da hamma wieda Sitzung“, erzählt Schorsch unter Gelächter der Gruppe von seinem Roßhändlertalent. Mit Zuckerbrot und Peitsche waren die Behörden am Werk. Per Anruf bei ihrem Schuldirektor versuchte ein Bürgermeister eine junge Lehrerin zu erpressen. „Mich hat der Zähler, ein Spezl meines Vaters aus seiner Schafkopfrunde, auf ein Glas Wein eingeladen und gemeint, bei der Gelegenheit könnt ma ja des Zeug ausfüllen“, lacht der Verkäufer Hannes Mader. „Das Problem ist, die kennen uns alle“, zuckt er mit den Schultern. Seiner Zwangsgeldandrohung lag ein handgeschriebener Brief eines Gemeindeangestellten bei, mit dem väterlichen Rat, es gäbe doch noch andere Sachen, um sich zu engagieren. Außerdem würde ihn das ganze Theater teuer zu stehen kommen. Darüber war sich die Gruppe schon vorher im klaren. 100 Mark zahlten die Mitglieder in ihren Prozeßfonds. Bei der Kontoeröffnung auf den Namen „Initiative kritischer Bürger zur Volkszählung“ gab es jedoch Schwierigkeiten. Die Raiffeisenkasse lehnte ab. Erst bei der Volksbank hatten die Vobos mit dem Kennwort „Aktion Schadensbegrenzung“ mehr Glück. Resigniert und niedergeschlagen wirkt an diesem Montagabend keiner der Verweigerer im Nebenzimmer des Wirtshauses. Der Grund liegt nicht zuletzt darin, daß einige Sonthofener ungeschoren davongekommen sind. Die Erhebungsstelle wurde nämlich bereits geschlossen. Auch in Burg berg ist dies der Fall. „Wir müssen ihnen leider mitteilen, daß wir aus Konsequenzgründen von einer Vollstreckung der Zwangsgelder nicht absehen können“, heißt es jedoch in einem Brief, den der Burgberger Alfons Schmidt auf den Tisch legt. Bezahlen soll der Vater von drei Kindern trotzdem, obwohl er die Bögen noch kurz vor Torschluß abgegeben hat. „Es is so a netter Stammtisch wordn, was mach me denn weiter“, meint Alois, bevor alle aufbrechen. „Mir kenna ja an VZ–Veteranenverein gründen, dann verdräng ma no die Gebirgsjäger, oder a Fußballspiel Vobos gegen Erhebos organisiern“, kommen scherzend die Vorschläge aus der Gruppe. * (Namen von der Redaktion geändert)

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