: Atommanager auf der Anklagebank
■ Heute beginnt in Hanau der ALKEM–Prozeß / Aus Frankfurt Klaus–Peter Klingelschmitt
Die 5. Große Strafkammer des Landgerichts Hanau eröffnet heute das Hauptverfahren gegen die ehemaligen ALKEM–Geschäftsführer Alexander Warrikoff (CDU–MdB) und Wolfgang Stoll sowie gegen die Staatsbeamten Ulrich Thurmann, Herrmann Frank und Angelika Hecker, die den illegalen Betrieb der ALKEM aus dem hessischen Wirtschaftsministerium heraus „gedeckt“ haben sollen. Damit wurde erstmals in der BRD wegen „Beihilfe zum illegalen Betrieb einer Atomanlage“ Anklage erhoben.
Die rund 650 Seiten starke Anklageschrift, die von den ermittelnden Staatsanwälten Farwick und Hübner in zweijähriger Arbeit zusammengestellt wurde, wirft den zwei Atommanagern Stoll und Warrikoff und den drei Staatsbeamten Thurmann, Frank und Hecker vor, „fortgesetzt tateinheitlich und gemeinschaftlich handelnd eine kerntechnische Anlage und ihren Betrieb ohne die erforderliche Genehmigung wesentlich verändert“ zu haben. Die Staatsanwaltschaft konstatierte einen Verstoß gegen den § 327 des Strafgesetzbuches, der für das unerlaubte Betreiben einer Atomanlage eine Geld– oder Gefängnisstrafe von „bis zu fünf Jahren“ fordert. Im Kern geht es in der Anklageschrift um die sogenannten „Vorabzustimmungen“ oder „Vorabgenehmigungen“, mit denen die Angeklagten - „gemeinschaftlich handelnd“ - den Betreibern der Plutoniumfabrik ALKEM gestattet haben sollen, Änderungen an der Anlage oder im Betriebsablauf vorzunehmen, obgleich die ALKEM über keine ordentliche atomrechtliche Betriebsgenehmigung verfügt. Im Zuge ihrer Ermittlungsarbeit hatten sich die Staatsanwälte nur auf die „Vorabgenehmigungen“ konzentriert, mit denen das Sicherheitsniveau der ALKEM herabgesetzt worden war. Daß die seinerzeit für die Atomaufsicht und -genehmigung verantwortlichen Vorgesetzten der Ministerialbeamten, die hessischen SPD– Wirtschaftsminister Heribert Reitz und Ulrich Steger, heute nicht selbst auf der Anklagebank sitzen, haben sie lediglich dem Umstand zu verdanken, daß ihnen eine Kenntnis dieser „Vorabgenehmigungen“ nicht nachzuweisen gewesen sei, wie Staatsanwalt Farwick im April 86 gegenüber der taz erklärte. Nach dem Stand der Ermittlungen haben die drei Ministerialbeamten Thurmann, Frank und Hecker an ihren Ministern vorbei mit den ALKEM–Geschäftsführern Warrikoff und Stoll strahlende Geschäfte getätigt. So wurde es der Plutoniumfabrik, die seit der Novellierung des Atomgesetzes im Jahre 1975 ohne atomrechtliche Genehmigung mit der giftigsten chemischen Substanz umgeht, die die Menscheit kennt, u.a. gestattet, ihre Spaltstoffkapazität zu erhöhen oder neue Produktionstechniken einzuführen, bei denen die Mitarbeiter einer erhöhten Strahlenbelastung ausgesetzt wurden. Mit der Praxis der „Vorabgenehmigungen“, so die Interpretation nicht nur der Hanauer Staatsanwaltschaft, werde die vom Atomgesetz geforderte Öffentlichkeitsbeteiligung bei atomaren Genehmigungsverfahren fortwährend „unterlaufen“. Bei allen Änderungsmaßnahmen, die von den ALKEM–Geschäftsführern Warrikoff und Stoll im Laufe der letzten zwölf Jahre im damals noch zuständigen hessischen Wirtschaftsministerium angemeldet worden waren, konnten die Atommanager auf das Wohlwollen der für die Atomaufsicht und -genehmigung zuständigen Ministerialbeamten rechnen. Die Ministerialdirigentin Dr. Angelika Hecker etwa, leitende Mitarbeiterin in Ulrich Thurmanns Abteilung „Genehmi gungsverfahren für Kernanlagen“, war vor ihrem Eintritt in das Ministerium wissenschaftliche Angestellte bei der NUKEM. Abteilungsleiter Thurmann selbst gehört dem „Deutschen Atomforum“ an, einem im den 50er Jahren gegründeten Gremium, das sich aus führenden Köpfen der Atomwirtschaft und der Politik zusammensetzt und sich die „Förderung der Atomtechnologie“ auf die Fahnen geschrieben hat. Im Zuge ihrer Ermittlungsarbeiten, bei denen bei der ALKEM und im Wirtschaftsministerium mehr als tausend Aktenordner beschlagnahmt wurden, stießen die Staatsanwälte auch auf andere „Ungereimtheiten“ in den Beziehungen zwischen den Hanauer Atommanagern und den angeklagten Ministerialbeamten. So soll Abteilungsleiter Thurmann am 17.5.85 mit drei Managern der „ALKEM–Mütter“ KWU und RWE - die RWE sind über NUKEM an der ALKEM beteiligt - über die Zukunft der in die Schlagzeilen geratenen Plutoniumfabrik verhandelt haben. Denn aufgrund der Strafanzeige des Hanauer Rechtsanwaltes Mattias Seipel gegen den „illegalen Betrieb“ der ALKEM und der politischen Aktivitäten der damals mit der SPD in Koalitionsverhandlungen stehenden Grünen, war die elf Jahre dauernde Verschleppung des Antrags auf eine ordentliche Genehmigung nach dem Atomgesetz nicht länger zu leugnen. Thurmann machte den Atombossen klar, daß diese Verschleppung - angesichts der nach Tschernobyl sensibilisierten Öffentlichkeit - von der SPD–Landesregierung nicht länger hingenommen werden könne. Allerdings hatte Thurmann, im Auftrag von SPD–Wirtschaftsminister Steger, gleich einen Lösungsvorschlag mit in die RWE–Zentrale nach Essen gebracht: In einem demonstrativen administrativen Akt, durch den Steger sein ramponiertes Ansehen in der Öffentlichkeit auffrischen wollte, sollte die ALKEM–Geschäftsführung vom amtierenden Wirtschaftsminister zum Rücktritt gezwungen werden. Warrikoff und Stoll waren noch aus einem anderen Grund nicht länger „haltbar“. Die im Zuge der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsarbeiten öffentlich gewordenen Vorwürfe gegen die beiden stellten die vom Atomgesetz geforderte „Zuverlässigkeit der Betreiber einer kerntechnischen Anlage“ zunehmend in Frage. Bevor die Staatsanwaltschaft dann im Oktober 86 Anklage gegen Warrikoff, Stoll und die drei Ministerialbeamten erhob, ließ sich Warrikoff denn auch von seinem Amt als ALKEM– und RBU–Geschäftsführer beurlauben. Konkreten Anlaß bot ein Zwischenfall bei der „Reaktor–Brennelemente– Union“ (RBU) im Spätsommer 86. Als öffentlich wurde, daß die ALKEM im sogenannten „Raum 13“ der RBU plutoniumhaltige Brennelemente zusammenbastelte, ohne daß die RBU dafür eine Genehmigung besaß, verfügte Steger eine Teilstillegung und verlangte „Konsequenzen“ im Bereich der Geschäftsleitung. Mit dem nur halben Bauernopfer - Stoll blieb ALKEM–Geschäftsführer - war die Plutoniumfabrik bis zum sogenannten „Steger– Coup“ vom Januar 87 aus den Schlagzeilen. Für die Hanauer Staatsanwaltschaft war der ganze Akt lediglich ein unstatthafter Versuch, die Öffentlichkeit über den „schleppenden Gang“ des Genehmigungsverfahrens bei ALKEM hinwegzutäuschen. Und in der Tat konnte sich die ALKEM mit der „Wiederherstellung der Zuverlässigkeit der Betreiber“ - es wurde ein neuer Geschäftsführer ernannt, der von der NUKEM kam - bis heute ohne Genehmigung über die Runden retten. Allerdings reichte das Unternehmen Ende 86, nach elf Jahren der Illegalität, „gestraffte Genehmigungsantragsunterlagen“ ein, die zu der von Wirtschaftsminister Steger im Januar 87 angekündigten Teilerrichtungsgenehmigung führten, die dann im Februar die rot–grüne Koalition in den Suizid trieb.
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