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Die SED tut sich schwer mit Gorbatschow

■ Während der sowjetische Parteichef mit gesellschaftlichen und politischen Reformen die Modernisierung des Landes voranbringen will, sieht die Führung der SED die DDR–Wirtschaft auf dem richtigen Weg / Auch innerhalb der Partei ist noch keine Reformstimmung aufgetaucht

Von Walter Süß

„Wird die DDR dem Vorbild von Glasnost folgen?“ wurde Erich Honecker kürzlich von einem holländischen Journalisten gefragt. Seine Antwort: „Viele der Veränderungen in der Sowjetunion sind in der DDR bereits gang und gäbe. (...) Sie müssen das so sehen: Beide Länder haben ihre eigenen Rezepte, aber die übernehmen wir nicht so mir nichts dir nichts.“ Noch Anfang der achtziger Jahre war das anders. Solange Honeckers Förderer Breschnew im Amt war, wurde die SED–Führung nicht müde (wohl aber ihre Zuhörer) die vorbildhaften Beschlüsse und Taten der großen Sowjetunion, des „Pioniers des Menschheitsfortschritts“, zu rühmen und ihren Parteimitgliedern als beispielhaft ans Herz zu legen. Im Parteiprogramm der SED, das 1976 verabschiedet worden ist und weiterhin Gültigkeit besitzt, wird die „Stellung zur KPdSU und zur UdSSR“ zum „Prüfstein für die Treue zum Marxismus–Leninismus“ erklärt. Keine dieser Aussagen ist widerrufen worden. Das steht auch gar nicht zu erwarten, doch während es den Parteikontrolleuren damals bitterernst mit diesen Forderungen war, müssen sie sie heute ins distanziert Unverbindliche schieben. Die DDR und Rumänien sind die Warschauer–Pakt–Staaten, deren Führung nicht eimal verbal die sowjetische Reformpolitik als Orientierung auch für die eigene Entwicklung übernommen haben. Je stärker Gorbatschowsches Gedankengut Verbreitung und Sympathie in der DDR–Bevölkerung findet, um so unverhüllter wird die Distanzierung der SED–Führung. Ausnehmend deutlich wurde Kurt Hager - seit Mitte der fünfziger Jahre höchster Parteifunktionär für den Bereich Wissenschaft und Kultur - der in einem Interview mit dem Stern, das das Neue Deutschland nachdruckte, von einem „Tapetenwechsel“ beim sowjetischen „Nachbarn“ sprach. Gorbatschow antwortete schon am nächsten Tag: In einer Rede in Prag sagte er, daß es „mit einer kleinen Reparatur“ im „Haus“ des Sozialismus nicht getan sei, erforderlich wäre eine „Rekonstruktion von Grund auf“. Die SED– Führung aber meint, die alten Tapeten bei ihr zuhause wären noch ganz ordentlich. „Deutscher Weg zum Sozialismus“ Ihre Politik der Distanzierung von den innenpolitischen Experimenten der sowjetischen Führungsmacht beginnt sie jetzt auch historisch zu untermauern. Hager erinnert in demselben Interview, in dem er den sowjetischen Ansatz so „respektlos“ charakterisierte, an den Aufruf des ZK der KPD vom 15. Juni 1945. Schon in ihm sei zu lesen gewesen: „Wir sind der Auffassung, daß der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre, denn dieser Weg entspricht nicht den Entwicklungsbedingungen in Deutschland.“ Hager vergaß jedoch hinzuzufügen, daß genau das mit unwesentlichen Modifikationen drei Jahre später in die Tat umgesetzt wurde. Die SED wurde zu einer „Partei neuen Typs“ nach dem Vorbild der KPdSU umgewandelt und von ihrem sozialdemokratischen Erbe „gesäubert“. Als Protagonist eines „besonderen deutschen Wegs zum Sozialismus“ mußte Anton Ackermann 1948 „Selbstkritik“ üben. Seither hat die SED zwar „nicht alles“, aber doch das meiste, „was in der Sowjetunion geschah, kopiert“ (Hager). Dennoch gab es im Laufe dieser Jahre an einzelnen Punkten erhebliche Differenzen, doch gerade an die würde die SED gegenwärtig bei aller „Eigenständigkeit“ nur ungern erinnern: Die Entstalini sierung in der Sowjetunion 1956 wurde in der DDR nur sehr zögerlich nachvollzogen, fürchtete doch die Führung um Ulbricht, daß die Demontage ihres alten Schirmherrn sich auch auf sie erstrecken könnte (wie das in Ungarn und in Polen geschah) und daß sie einer neuen, reformerischen Funktionärsschicht Platz machen müßte. Als die sowjetische Führung Ende der sechziger Jahre die Entspannungspolitik einleitete, stieß sie auf den hinhaltenden Widerstand der SED–Führung, die nicht ganz zu unrecht befürchtete, daß ihr Anspruch auf ungeschmälerte völkerrechtliche Anerkennung auf dem Altar sowjetischer Staatsraison geopfert würde. Diesmal mußte Ulbricht, der auch noch gegen die Regeln der Blockhierarchie verstoßen hatte, als er sich auf dem 24. Parteitag der KPdSU 1971 als Urmeister der sowjetischen Genossen aufspielte, gehen. Bei den Konflikten handelte es sich jeweils um einen sowjetischen Kurswechsel zu einer weniger dogmatischen Politik und die Bremsmanöver der SED blieben letztlich wirkungslos. Dabei waren die Differenzen im außenpolitischen Bereich für die Führung der kleineren Bundesparteien gefährlicher als innen– oder wirtschaftspolitische Unterschiede. Angesichts dieser Erfahrung bewies die SED–Spitze politischen Mut, als sie sich 1984 auf einen neuen Konflikt mit der sowjeti schen Führung einließ. Während letztere auf die Raketenstationierung in Westeuropa mit einer Verhärtung ihrer Außenpolitik reagierte, propagierten Honecker und die Seinen „Schadensbegrenzung“ und eine Fortsetzung der Entspannungspolitik in Europa. Zu ihrem Glück vollzog sich in der sowjetischen Außenpolitik mit Gorbatschow ein erneuter Kurswechsel, der diese Differenzen gegenstandslos machte. Rechtfertigungen Die Bedeutungslosigkeit der sowjetischen Reformexperimente für die - wie es offiziell heißt - „Gestaltung des entwickelten Sozialismus in der DDR“ versucht die SED–Führung vor allem durch den Hinweis auf das wirtschaftliche Leistungsniveau in ihrem Land zu belegen. Immer wieder wird darauf hingewiesen, daß „Beschleunigung“ und „Umbau“ in der Sowjetunion ein Ziel hätten: die „umfassende Intensivierung“ der Wirtschaft, wobei es - laut Kurt Hager - „keinen Zweifel (daran) gibt, daß die Sowjetunion erst am Anfang dieses schwierigen Weges steht“. In der DDR aber sei dieser Weg bereits Anfang der siebziger Jahre eingeschlagen worden. Der rationale Kern dieses Arguments ist, daß der wirtschaftliche Leistungsstand der DDR– Wirtschaft tatsächlich sehr viel höher liegt als der der sowjetischen Wirtschaft: Das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner ist in der DDR um etwa 80 Prozent höher als in der UdSSR. Dieser Leistungsunterschied macht sich auch in einem besseren Lebens standard der DDR–Bürger bemerkbar. Diese Bürger pflegen allerdings ihre Konsummöglichkeiten eher am Westen als am Osten zu messen und treffen sich dabei durchaus mit der Gorbatschow– Führung, die ihr Reformprojekt im Kontext der globalen Systemkonkurrenz interpretiert: Die sozialistischen Länder insgesamt sollen eine neue Entwicklungsetappe erreichen, in der sie auch auf dem kapitalistischen Weltmarkt konkurrenzfähig sind, ja sogar Spitzenpositionen einnehmen. Gemessen an diesem Vorhaben wäre auch in der DDR noch viel zu tun, denn ihr Leistungsrückstand gegenüber der Bundesrepublik ist fast so groß wie ihr Vorsprung gegenüber der UdSSR und der Abstand ist in den letzten eineinhalb Jahrzehnten fast konstant geblieben. Trotzdem sieht die SED–Führung für ihr System keinen größeren Reformbedarf. Ein sowjetischer Reformökonom, der Direktor des einflußreichen Moskauer Instituts für Ökonomie, Leonik Abalkin, kommentierte diese Haltung kürzlich mit deutlich ironischer Distanz: „Nur ein (sozialistisches) Land, die DDR, behauptet, sie habe keine Probleme, bei ihr sei alles in Ordnung. Ein Blick auf die Geschichte zeigt jedoch, daß es ähnliche Probleme auch in der DDR gab. Es ist allerdings ihr souveränes Recht, Behauptungen aufzustellen, die sie für richtig hält.“ Abwehrtaktik Im Verlauf der letzten zwei Jahre, d.h. seit Gorbatschow im Amt ist, hat die SED–Führung ein ganzes Arsenal von Abwehrtaktiken entwickelt, mit denen unerwünschte Einflüsse aus dem Osten abgewehrt werden sollen. Die wichtigste Taktik ist eine außerordentlich selektive Informationspolitik. DDR–Bürger, die nur auf ihre eigenen Medien angewiesen wären, müßten annehmen, daß in der Sowjetunion jetzt ein jüngerer Breschnew am Ruder ist, der einen ausgeprägten Verbalradikalismus pflegt, jedoch allenfalls wirtschaftspolitisch etwas in Gang gesetzt hat. Außen– und abrüstungspolitisch, wo es keine Differenzen gibt, scheint er dagegen - und das ist ja auch nicht falsch - die internationale Diskussion weitgehend zu bestimmen. DDR–Bürger sind aber nicht nur auf das „Neue Deutschland“ und die „Aktuelle Kamera“ angewiesen, sondern sie gucken Westfernsehen und viele politisch interessierte Zeitgenossen haben - wahrscheinlich das erste Mal in ihrem Leben - begonnen, ihr Schulrussisch zu reaktivieren und die Prawda freiwillig zu lesen. Sie stellen Fragen in den Grundorganisationen der Partei und der Gewerkschaften, in den Schulen, der FDJ und in den Universitäten. Deshalb reicht Totschweigen als Taktik nicht mehr, würde damit doch die ideologische Hegemonie der Partei untergraben. Nach dem Plenum des Zentralkomitees der KPdSU im Januar 1987, auf dem eine „Demokrati sierung“ des Sozialismus propagiert worden war, startete die SED eine ideologische Gegenoffensive, die im wesentlichen aus drei Elementen bestand: Erstens wurde im Neuen Deutschland, dem Zentralorgan der SED eine Reihe von Grundsatzartikeln veröffentlicht. In ihnen wurden orthodoxe Positionen in Fragen der Wirtschafts– und Kulturpolitik und der weiteren Entwicklung des politischen Systems aufgewärmt. Zweitens bediente sich die Parteizeitung sowjetischer Kronzeugen: Aus dem relativ breiten Spektrum wirtschaftswissenschaftlicher Diskussion in der Sowjetunion griff sie sich Beiträge von Vertretern des technokratischen Flügels, die mit Respekt auf die DDR–Wirtschaft blicken, heraus, und publizierte sie als Beleg dafür, daß hier auch nach Meinung „der“ sowjetischen Genossen alles zum besten stünde. Mit dieser Veröffentlichungspolitik wurde zugleich ein weiterer Effekt erzielt, der auch noch anderweitig verstärkt wurde: Es wurden nämlich, drittens, Zweifel daran gesät, ob sich Gorbatschow überhaupt durchsetzen oder auch nur auf Dauer halten kann. Im Gespräch unter vier Augen machen SED– Funktionäre kein Geheimnis daraus, daß sie erst einmal „abwarten“ wollen. In der Presse werden Äußerungen sowjetischer Politiker publiziert, während Reformer (mit Ausnahme von Gorbatschow) keine Chance haben, zu Wort zu kommen. Die Lehre, die der Leser daraus ziehen soll, ist klar: Die Gegenkräfte sind übermächtig, Gorbatschow steht eigentlich allein da. Sich offen für seinen Kurs einzusetzen verrät also wenig Weitblick. Drohungen Wer all diese Zeichen nicht versteht oder nicht verstehen will, dem wird gedroht. Da scheut sich das SED–Zentralorgan dann nicht, den tschechoslowakischen Altstalinisten Bilak in seiner Leitartikel–Spalte zu Wort kommen zu lassen. Der rückt Sympathisanten des sowjetischen Reformprozesses in die politisch immer noch gefährliche Nähe der - wie er sich auszudrücken beliebt - „rechtsopportunistischen“, „antisozialistischen“ und „volksfeindlichen“ „Kräfte“ von 1968, d.h. des Prager Frühlings. Nicht weniger deutlich wurde vor einer FDJ–Tagung Margot Honecker, DDR– Volksbildungsministerin und Gattin des Staatschefs: „Wer damit liebäugelt, unter dem Motto nach mehr Öffnung (...) an der Herrschaft des Volkes zu rütteln, dem werden durch die Herrschaft der Arbeiterklasse und aller Werktätigen die Grenzen gesetzt.“ Eingesperrt, weil er sich auf Gorbatschow beruft, wird in der DDR zwar niemand, aber wer z.B. einen Ausreiseantrag laufen hat, der kann dessen Bewilligung gewaltig beschleunigen, wenn er sich offen mit der sowjetischen Reformpolitik identifiziert. Gerade für die politisch aufgeweckten Teile der jüngeren Generation aber, die bestimmte Restriktionen des DDR–Systems (besonders das Reiseverbot in den Westen) nicht mehr fraglos hinzunehmen bereit sind, ohne deshalb das System ganz abzulehnen, ist durch die gegenwärtige politische Lage eine bemerkenswerte Situation entstanden: Sie haben nun eine Autorität, auf die sie sich weitgehend ungestraft berufen können, um die herrschenden Verhältnisse zu kritisieren. Die Autoritäten im eigenen Land können darauf nur relativ hilflos, defensiv reagieren. Die Gorbatschow–Rufe bei den Pfingstauseinandersetzungen in Ost–Berlin waren dafür ein beredtes Beispiel. Das bedeutet freilich nicht, daß die Rechnung nicht eventuell bei anderer Gelegenheit präsentiert würde. Freiräume Intellektuelle und Künstler haben auch in der DDR einen gewissen Freiraum. Sie bilden eine Bevölkerungsgruppe, die sich - außer bestimmten Funktionären - am ehesten über die sowjetische Reformpolitik informieren kann und sind wohl auch weniger anfällig für die spezifisch deutsche Arroganz gegenüber dem angeblich kulturell weniger entwickelten Osten, eine Arroganz, die schon 1980/81 bei der Abwehr polnischer Einflüsse eine herrschaftsstabilisierende Rolle gespielt hat. Schon aus beruflichen Gründen müssen sie für Slogans wie „glasnost“ besonders empfänglich sein. Die SED–Führung aber meint wohl, hier am ehesten noch dem wachsenden Druck von unten etwas nachgeben zu können, getreu Honeckers Einsicht, daß „Diskussionen über Kunstwerke sehr oft zu schöpferischen Diskussionen über Fragen des Lebens selbst werden“. Diese Funktion einer Ersatzöffentlichkeit hat vor allem die DDR–Literatur schon lange. Wenn auch bei weitem nicht alles, so kann in ihr doch mehr gesagt und hinterfragt werden als in anderen Bereichen. Dafür, das dies auch jetzt gilt, gibt es erste, noch sehr vorsichtige Zeichen. So finden sich in den Zeitschriften Kunst und Literatur und Sinn und Form sowjetische Beiträge, die das DDR–offiziell vermittelte Bild des sowjetischen Reformprozesses sprengen. Es handelt sich hier um Publikationen für einen sehr kleinen Leserkreis. Welchen Einfluß die Ideen und Impulse, die auf diesem und auf anderen Wegen in die Diskussion kommen, tatsächlich haben, wird sich wohl erst in einigen Jahren zeigen. Genauer gesprochen dann, wenn entweder durch erneute wirtschaftliche Schwierigkeiten oder über die Lösung der Nachfolgefrage für Honecker kurspolitische Entscheidungen anstehen. Der Boden dafür wird aber jetzt bereitet.

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