I N T E R V I E W „Der Paragraph gehört gestrichen“

■ Gespräch mit Sandro Canestrini, Verteidiger der wegen „anti–italienischer Umtriebe“ angeklagten Südtiroler Separatisten

Sandro Canestrini, 63, Ex–Partisan, in den sechziger Jahren PCI–Abgeordneter, hat 1960 vor Gericht Südtiroler Bombenleger verteidigt. Er vertritt neun der 16 Angehörigen des „Heimatbundes“ und der „Jungen Generation“. taz: Normalerweise empfindet die Linke nicht sonderlich viel Sympathie für den separatistischen Heimatbund. Diesmal ist das anders: Eine Art große Koalition aus Kommunisten, Sozialisten, Grünen und Christdemokraten verteidigt die Abspalter, denen der Staatsanwalt wegen „anti–italienischer Umtriebe im Ausland“ an den Kragen will. Canestrini: Die Linke hat lange Zeit so etwas wie eine Erbsünde mit sich herumgeschleppt - sie hat sich kaum um nationale und schon gar nicht um Minderheiten–Probleme gekümmert. Sie sah immer nur die soziale, nie die nationale oder ethnische Frage. Aufgeschreckt wurden die Linken erst in den sechziger Jahren, als in Südtirol Bomben hochgingen: Man entdeckte plötzlich, daß da Leute waren, die seit Jahren die ihnen verweigerten Rechte einklagten - die ihnen übrigens in den Pariser Verträgen von 1954 ausdrücklich zugestanden worden waren. Das Problem für viele Linke bestand doch wohl darin, daß die Autonomisten vielfach kulturell und politisch überaus konservative bis reaktionäre Ansichten hatten ... Richtig. Nur muß man das schlichte Recht auf ethnische Selbstverwirklichung und politische Freiheit trennen von der konkreten Politik der Gruppenvertreter. Deshalb habe ich mich - als einer der ersten in Italien, gerade als Linker - schon 1960 nach den „Feuernächten“ entschlossen, den Südtiroler Autonomisten die notwendige juristische Unterstützung zu geben. Ich habe keinen Zweifel gelassen, daß sich viele in den Mitteln - blutigen Attentaten - vergriffen hatten: doch das berührt nicht das Recht auf Autonomie. Die Unterstützung durch die Linke, auch durch den PCI nahm zweifellos in den sechziger Jahren fühlbar zu, das Autonomiestatut Südtirols von 1971 ist wohl auch ein Stück linker Arbeit gewesen. Eine Wende in der politischen Ausrichtung der Regionalherrscher brachte das aber auch nicht ... Das hat seine Ursachen auch in einer deutlichen Instrumentalisierung der Südtirol– Frage durch die bundesdeutsche Rechte, insbesondere die Strauß–nahen Nationalisten. Aus der deutschen Minderprivilegierung ist in den Augen vieler Italiener bereits eine Dominanz geworden, die italienische Minderheit fühlt sich teilweise bedroht und wählt neofaschistisch. Ist die Verfolgung der Wiener Flugblattverteiler des „Heimatbundes“ vor diesem Hintergrund zu sehen? Der hier erstmals im demokratischen Italien aktivierte §269 ist ein reiner Paragaph gegen Meinungen; Mussolini hat ihn geschaffen, um Leute wie Pertini, Togliatti, Nenni für antifaschistische Interviews mit der Auslandspresse zu bestrafen. Der Paragraph gehört aus jeder Demokratie heraus. Für den Staatsanwalt sind diese Bündler gefährliche Umstürzler ... Jeder hat das Recht auf seine Träume; die Geschichte wird den Traum der Separatisten von einem „Freistaat Südtirol“ sowieso wohl nie erfüllen. Wie verdreht die Anklage ist, zeigt die Beweisführung. Ich zitiere aus dem Haftbefehl: „In einem Communique anläßlich jener Konferenz in Wien fehlt jeglicher Hinweis auf die Unverletzlichkeit der Staatsgrenzen ...“; du lieber Himmel, soll jetzt jeder, der zu Südtirol Stellung nimmt, zuerst ein Credo Marke „Aber die Grenze ist heilig“ voranstellen? Oder, eine andere Stelle: „Absichtlich verwenden die Flugblattautoren den Begriff „Volk“ für die Südtiroler Einwohner, um mithilfe des Begriffes „Völkerrecht“ Verwirrung in der Separatismusfrage zu stiften ..“, da macht man sich dann auch strafbar, wenn man von einem „Volk der Basken“ oder einem „bayerischen Volk“ spricht ... Wie geht es weiter? Steht nun, endlich, das noch immer geltende faschistische Strafrecht Italiens zur Debatte? Schön wärs, und hoffen werden wir das auch diesmal. Nur leider haben wir das schon so oft gehofft, und immer vergeblich. Das Interview führte Werner Raith