: Atomares Dorf Klempicz
Ein Atomkraftwerk, das zweite in Polen, wird in Klempicz entstehen. Diese Information stand in fast allen Zeitungen. Am nächsten Tag morgens begab ich mich in die Gegend von Pila. Zum Woiwoden von Pila zu gelangen, war gar nicht so einfach. Erst nach längerem Beharren erhielt ich eine Audienz beim Woiwoden (Landrat). Der Woiwode Dr. Zbigniew Rosinski drückte sich nicht um eine Antwort auf meine Fragen. Er ist sich bewußt, daß ihn und die Investoren viele schwierige Gespräche erwarten: „In der Umgebung dieser drei unmittelbar interessierten Gemeinden wird eine Meinung über die Atomenergie vertreten, die sich vielfach vor dem Hintergrund der Havarie in Tschernobyl gebildet hat. Man muß den Leuten alle und konkrete Informationen geben. Ich will unterstreichen, daß das ein Kraftwerk der neuen Generation wird, wo ein Sicherheitssystem und allerneueste Technologien angewendet werden. Unter ökologischen Gesichtspunkten werden die Verluste sehr gering sein. Das Bauprojekt aktiviert die Wirtschaft der ganzen Region. Das Gesicht der Gemeinden wird sich ändern. Das ist eine große Chance und man muß sie ausnutzen.“ Ich frage Dr. Zbigniew Rosinski noch nach eventuellem Widerspruch, Beschwerden, Beunruhigung. Er antwortet: „Ich bin im Besitz von Materialien, die gegen den Bau sind - das ist ein Dokument, aufgesetzt und unterschrieben von wissenschaftlichen Mitarbeitern und Studenten der Adam–Mickiewicz–Universität in Poznan. Aber es gab keinen offiziellen Protest seitens der drei betroffenen Gemeinden.“ Die Gemeinde Lubasz liegt ungefähr auf halbem Wege zwischen Poznan und Pila. Ich spreche mit dem Landwirt Zygmunt Kozera, geboren in Milkow, wenige Kilometer von Klempicz entfernt. Er spricht über das Kraftwerk ruhig: „Die Entscheidung habe ich erwartet, aber wir wissen eigentlich nicht, was das für ein Ausmaß haben wird. Es gibt Leute hier, die haben Katastrophenvisionen und solche, die sagen, daß das phantastisch ist. Ich habe auch Landwirte getroffen, die behaupten, daß sich das Klima ändern wird, daß es tropisch wird oder englische Nebel kommen und Regen. Eines ist sicher - wir wollen uns teuer verkaufen. Und im Tausch für die hypothetische Bedrohung hätten wir gerne ein Straßennetz, das die Dörfer verbindet, gute Linienbusverbindungen, Telefone, ein Dienstleistungs– und Handelszentrum, Kaufmärkte, Gesundheitsversorgung auf hohem Niveau, Kanalisation, Gas, Kindergärten, eine Schule mit Sporthalle und einem kleinen Schwimmbecken. Ein solches Programm unserer Wünsche haben wir gemeinsam mit dem Parteikomitee und dem Gemeinderat erarbeitet, aber ein wenig sind wir deswegen mit den höheren Regierungsstellen aneinander geraten. Mich ängstigt nicht der Bau, aber ich befürchte sehr - ähnlich wie viele Einwohner der Gemeinde - daß damit ein neues, negatives Element eindringt. Einige haben schon auf großen Baustellen gearbeitet, die wissen, daß es da keine Ruhe gibt.“ Klempicz liegt auf halbem Wege zwischen Czarnkow und Wronka, elf Kilometer vor Lubasz. Es ist ein kleines Dorf (52 Familien, 160 Personen, fünf bis sechs nennenswerte Bauernhöfe), hübsch gelegen zwischen Wäldern, die reich an Pilzen, Beeren und Wild sind. Still ist es hier und ruhig. Streit unter den Nachbarn gibt es hier fast nie. Es ist kein reiches Dorf, das Leben ist schwer. Ich unterhalte mich im unlängst fertiggebauten Bauernhaus von Tadeusz Filimon und Jerzy Olszowski, die nach dem Landwirtschaftsstudium darauf beharrten, gemeinsam eine prosperierende Farm, eine 60 Hektar–Landwirtschaft, aufzubauen. Tadeusz Filimon sagt: „Seit dem Frühjahr 83 haben wir hart gearbeitet. Zuerst entstand mein Haus, dann erhielt Jerzy die Baugenehmigung. Und nach zwei Wochen, im September 84, erfuhren wir, daß die Genehmigungen für alle Investitionen zurückgehalten werden. Das war ein Schock. Dazu erschienen dann noch die Bohrtrupps. Das war schon ein ernstes Signal, daß Klempicz aufhören kann zu existieren. Man wurde lustlos, der ganze Schwung war weg. Was soll man groß reden - wir sind verbittert. 1984 hat uns niemand irgendwas Konkretes gesagt, die Informationen waren bestimmt tief in der Schublade. Am Anfang waren fast alle gegen das Kraftwerk, die Leute waren kämpferisch gestimmt, aber mit der Zeit haben sie sich an das Problem gewöhnt. Zuerst sagten sie, na, wofür denn, wer braucht sowas Scheußliches und jetzt, wenn man eine Meinungsumfrage machen würde, wäre die ziemlich geteilt, weil sich zeigt, daß ein Teil davon profitieren kann, und die Gegend ist ziemlich arm. Energie ist erforderlich, das stimmt, aber ob das gleich das Atom sein muß. Ich und meine Kollegen sind eher Gegner.“ Den Bürgermeister treffe ich nicht zuhause an, aber die Ehefrau, Bronislawa Grott: „Die Mehrheit ist gegen das Kraftwerk. Es gibt soviel Einöde, und die bauen hier. Da können wir nichts machen. Die fragen uns um nichts. Enthusiasmus gibt es hier keinen. Wir sind ratlos. Und besonders ein Journalist, der hat schon gar nichts zu suchen im Dorf.“ Schlechte Meinungen über die Massenmedien höre ich auch im Geschäft der Landwirtschaftsgenossenschaft: „Man macht aus uns den dummen Bauern, den Hinterwäldler, der vom Leben keine Ahnung hat. Die Menschen hier haben ihre Würde und ihren Verstand und wenn jemand sagt, daß alle für das Kraftwerk sind, dann sagt er ganz einfach die Unwahrheit“, verkündet die in dem Geschäft arbeitende Krystyna Jedrzejewska. Den Kindern von Frau Grott gefällt das alles auch nicht. Schade um den schönen Wald, die Pilze, die Beeren. Das stille, ruhige Antlitz der Umgebung um das Kraftwerk Warta wird sich zur Unkenntlichkeit verändern. Und zum Teil sicherlich die Menschen auch. Piotr Cielesz Übersetzt aus der polnischen gesellschaftlich–kulturellen Wochenzeitschrift Fakty vom 18. Juli
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