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„Unsere Worte, unsere Taten, sie zählten nichts“

■ Vor sechzig Jahren, am 22. August 1927, wurden in Boston die beiden italienischen Anarchisten Sacco und Vanzetti auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet / Fünfzig Jahre nach ihrem Tod, im August 1977, wurden die beiden vom Gouverneur von Massachusetts rehabilitiert

Von Ulf Damann

Berlin (taz) - „Ich habe die anarchistischen Bestien erledigt“, kommentierte Richter Thayer gegenüber Freunden den Ausgang des Prozesses, in dem die beiden italienischen Einwanderer Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti am 14. Juli 1921 zum Tode auf dem elektrischen Stuhl verurteilt wurden. Die beiden Anarchisten waren Opfer der vom konservativen Bürgertum zur Zeit der großen Depression in den USA der 20er Jahre geschürten Kommunistenjagd und Ausländerhetze geworden. Den beiden „ausländischen Tätern“ wurde ein Raubüberfall angehängt, bei dem zwei Geldboten ermordet wurden. Eine dürftige Beweiskette genügt dem ehrgeizigen Staatsanwalt, dem voreingenommenen Richter und der von der roten Hysterie angesteckten Jury aus weißen Neuengländern. Nach Bekanntwerden des Urteils bricht ein Sturm der Entrüstung aus. Linke und Liberale setzen sich für Sacco und Vanzetti ein. Ein Verteidigungskomitee wird gegründet. Ihm gehören prominente Juristen, Künstler, Politiker an. Auch im Ausland protestieren Millionen Menschen für die beiden Verurteilten, unter ihnen Albert Einstein, Thomas Mann, George Ber nard Shaw, sogar Mussolini, der faschistische Führer Italiens. Es nützt nichts. Das amerikanische Justizsystem erweist sich als unfähig, Fehler zu korrigieren. Bis ins Jahr 1927 zieht sich der Kampf hin. Schließlich weigert sich auch Gouverneur Fuller, gestützt auf den dubiosen Bericht einer von ihm eingesetzten Kommission, Sacco und Vanzetti zu begnadigen. Seit ihrem Tod sind viele Gedichte, Theaterstücke, Romane und ein Hollywoodfilm über das Schicksal der beiden Anarchisten entstanden. John Dos Passos, Upton Sinclair, Kurt Tucholsky waren unter den Autoren. Auch Sacco und Vanzetti selbst haben sich wiederholt zu Wort gemeldet. In seinem letzten Brief aus der Todeszelle, gerichtet an seinen kleinen Sohn, schrieb Bartolomeo Vanzetti: „Wäre es nicht wegen dieser Sache gewesen, vielleicht hätte ich mein Leben da mit verbracht, an Straßenecken zu zornigen Männern zu sprechen. Ich wäre gestorben, unbeachtet, unbekannt, ein Versager. Dies ist unsere Karriere und unser Triumpf. Nie im Leben hätten wir hoffen können, so viel für die Toleranz, die Gerechtigkeit, für das Verständnis der Menschen untereinander tun zu können wie durch diesen Zufall. Unsere Worte - unsere Taten - unsere Schmerzen - sie zählten nichts! Uns das Leben zu nehmen - das Leben eines guten Schumachers und eines armen Fischhändlers - das zählt alles! Der letzte Moment gehört uns - diese Agonie ist unser Triumph.“ Fünfzig Jahre nach ihrem Tod, im August 1977, rehabilitierte der Gouverneur von Massachusetts, Michael Dukakis, Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti. Ihnen sei das Recht auf einen fairen Prozeß verwehrt worden.

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