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Knapp an der Katastrophe vorbei

■ „Experimente“ im AKW Oskarshamn schockieren Schweden / Entgegen den Vorschriften Schnellabschaltung blockiert / Sogar Betreibergesellschaft entsetzt

Aus Stockholm Reinhard Wolff

„Das hätte ein kleines Tschernobyl werden können.“ Mit diesen Worten kommentierte Schwedens Energieministerin Brigitta Dahl sichtlich schockiert und entsetzt einen Vorfall im schwedischen AKW Oskarshamn. Der Vorfall, der jetzt bekannt geworden ist, ereignete sich am 24. Juli im AKW Oskarshamn III. In diesem neuesten und modernsten schwedischen Reaktor führte das Personal ein „Experiment“ durch, das verblüffend den Ereignissen ähnelt, die zur Tschernobyl–Katastrophe geführt hatten. Nach den durchgesickerten Informationen wurde ein Probelauf durchgeführt, für den man das automatische hydraulische Schnellabschaltsystem blockiert hatte. Mit diesem Experiment wurde bereits gegen die grundlegenden Bedienungsvorschriften verstoßen. Nachdem das sekundäre (elektrische) Schnellabschaltsystem, das nicht zu blockieren war, den Reaktor abgeschaltet hatte - in vier Minuten anstatt in vier Sekunden, wie das primäre hydraulische System -, wiederholte man das gleiche Experiment noch zweimal. Die Umstände, die zu der ersten Schnellabschaltung geführt hatten, wurden hierzu vorher nicht weiter untersucht. Ein Unglück wurde nur dadurch abgewendet, daß der Reaktor abgeschaltet und nur „schwach kritisch“ (so die Betreibergesellschaft) war. Nach Ansicht von Experten hätte aber auch in diesem Betriebszustand der Reaktor innerhalb eines Sekundenbruchteils aufgrund des Experiments soweit „kritisch“ werden können, daß es aufgrund des Blockierens des primären Schnellstopps zu einer nicht mehr beherrschbaren Kettenreaktion hätte führen können. Die Experten der Atomsicherheitsbehörde arbeiten noch an einer Stellungnahme. Nach ersten Äußerungen ist aber damit zu rechnen, daß sie den Vorfall herunterspielen werden. Dem widerspricht sogar die Reaktion der Reaktorbetriebsgesellschaft OKG, die das Verhalten des Personals als absolut unzulässig und unverständlich bewertete und personelle Konsequenzen ankündigte. Die Anti–Atomkraftbewegung nahm den Vorfall zum Anlaß, erneut den sofortigen Ausstieg aus der Atomkraft zu fordern.

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